Livereview: Rock The Ring 2016

18. Juni 2015, Hinwil – Rock The Ring
By Tinu
Die Open-Air Saison war bis anhin eine regnerische Angelegenheit. Versoff doch zum Beispiel das Sonisphere in Luzern am Freitag völlig im Regen und trübte den Auftritt von Iron Maiden. Die Regenmassen liessen den Boden in der Innerschweiz am folgenden Samstag sehr matschig erscheinen. Dies hielt aber einige Fans nicht davon ab, sich förmlich in der braunen Sauce zu suhlen. Auch das «Rock The Ring» musste am Freitagabend kurzzeitig unterbrochen werden, als die Regenmassen den Auftritt von Queen beeinträchtigten. Am Samstag schien durchwegs die Sonne, ausser dass Petrus nochmals kurzzeitig bei der Show von Europe seine Blase entleeren musste. Die freitäglichen Regengüsse liessen meine Karre am Samstag dann gleich mal absaufen, als ich auf den Parkplatz, sprich die Wiese, eingewiesen wurde. Schnell eilten aber Festivalbesucher herbei und halfen, meine Familienkarosse aus dem Dreck zu befreien. An dieser Stelle herzlichen Dank an die unbekannten Heinzelmännchen! Ansonsten blieb aber der Samstag, wie schon erwähnt, fast regenfrei und liess die 10'000 Besucher mal locker eine tolle Party feiern.

Tempesta
Der zweite Festivaltag wurde von den helvetischen Tempesta eröffnet. Nun ja, nicht ganz, denn vorher stand Manu Burkart vom Duo Divertimento auf der Bühne und kündete die Truppe an, bei welcher er wenig später sogar selber in die Saiten griff. Manu ist nicht nur ein ausgezeichneter Entertainer und Komiker, sondern auch eine kleine Wildsau auf der Bühne («Hinwil!!! Düredräie!!!!!!»). Der Unterhaltungswert wurde jedenfalls sehr gross geschrieben. Ansonsten rockten Tempesta flott nach vorne los. Auch wenn das Material nicht das Level oder die Hitdichte von den nachfolgenden Shakra, Gotthard oder Krokus erreicht, um mal bei den einheimischen, musikalischen Vergleichen zu bleiben, so wippte das Standbein beim Publikum artig mit. Ob Tempesta nun eine Truppe für die grosse Bühne ist, muss jeder für sich selber beantworten. Zumindest in einem Club kann der Vierer durchaus über sich hinaus wachsen. Im Vergleich mit den nachfolgenden Truppen wurde aber sehr schnell deutlich, wieso Tempesta diesen Tag eröffneten.


Shakra
Was danach folgte glich einem kleinen Heimspiel. Satz, Game, Sieg! Shakra rockten Hinwil und Hinwil liess sich von den Emmentalern rocken. Man kann über den Spruch "Hinwil, ihr sid huere geil!" denken was man will, für die einen ist die Aussage von Sänger Mark Fox das ultimative Evangelium, für die anderen nach dem zweiten Mal peinlich. Eins ist aber sicher, dass diese Message aus dem Herzen kommt und den nach wie vor bei seinen Ansagen fast scheu erscheinenden Shouter sehr ehrlich rüberkommen lässt. Wie auch beim Foto, welches er mit seinem Handy machte… Facebook lässt grüssen. Fakt ist aber auch, dass Mark der nach wie vor beste Sänger für das Quintett ist. Mit seiner leicht krächzenden Stimme verkörpert er den Rock'n'Roll wie kein anderer und verleiht Liedern wie «Hello», «High Noon», «Trapped», «Wild And Hungry» oder «Rising High» das passende Flair. Optisch gesehen war es nicht nur Mark, der sehr viel auf dem Laufsteg ins Publikum zu sehen war, sondern auch Dominique Pfister am Bass, der mit seiner Performance immer mehr Platz für sich beansprucht. Etwas zurückhaltender als auch schon präsentierte sich Rhythmusgitarrist Thomas Muster, der aber mit einem breiten Grinsen auf der Bühne stand und den Auftritt sichtlich genoss. Ebenso wie Thom Blunier, der seine Leads in die Nachmittagssonne haute und mit seinen Grimassen, sowie den solistischen Darbietungen zusätzliche Dramaturgie verlieh. Roger Tanner war derweilen das, was er immer ist. Ein verdammtes Uhrwerk an seinem Drum. Shakra spielten in meinen Augen viel zu früh, nutzten aber ihre Spielzeit für einen wahrlich sensationellen Gig und boten einen sehr interessanten Querschnitt ihrer Karriere, bei dem vier Tracks des neuen Album «High Noon» gespielt wurden. Über der Truppe thronte der grosse Eulen-Kopf des letzten Werks und überwachte diesen in die Geschichtsbücher eingehenden Gig. Alleine der Applaus nach «Ashes To Ashes» und «Trapped» war Beweis genug für die Bedeutung dieses Konzertes.

Setliste: «Hello» - «Nothing To Lose» - «Raise Your Hands» - «High Noon» - «Life Is Now» - «Ashes To Ashes» - «Trapped» - «Wild And Hungry» - «Rising High»


Uriah Heep
Nach Shakra erschien es mir extrem schwer, den Publikumsjubel auf dem gleichen Level zu halten. Auch wenn der Erfolg Shakras nicht erreicht wurde, so wollten unzählige das Set der englischen Hardrocker geniessen. Dass dabei das Durch-schnittsalter der Besucher gleich mal in die Höhe schoss, war ebenso klar, wie dass Uriah Heep mit «Lady In Black» einen unsterblichen Klassiker spielen würden. Die alten Herren hatten sichtlich Spass, allen voran der kanadische Sänger Bernie Shaw, der mit einer unglaublichen Ausstrahlung die Stage betrat und mit seiner sympathischen Art alle auf seine Seite zog. Die Setliste hatte es auch bei Uriah Heep in sich. Der Fünfer baute neue Lieder des letzten Albums «Outsider» ein und verband diese mit zahlreichen Klassikern der Heep-Geschichte. Ob dann bei «July Morning» Bernie ganz vorne auf dem Laufsteg sass und den Text sang, Gitarrist Mick Box mit seinen magischen Händen auf oder über den Saiten wandelte, Keyboarder Phil Lanzon nicht nur mit seinen Backingvocals glänzte, Bassist Dave Rimmer optisch fast wie ein Fremdkörper wirkte und besser in eine Sleaze-Band passen würde oder Trommler Russell Gilbrook sein Schlagzeug fast zu Kleinholz zertrümmerte, über all dem stand nur eines: S.P.A.S.S.! «Wollen sie alle mit uns singen? Fantastisch!» fragte der Kanadier mit leichtem britischen Akzent, fehlerlosem Deutsch und breiten Grinsen das Publikum, um dann in den wohl grössten Klassiker einzusteigen. «Lady In Black» wie auch «Easy Living» beendeten eine extrem tolle Show, bei der leider der Sound leider zu dumpf aus den Boxen kam und so dem Konzert das Flair raubte. Trotzdem zeigten die alten Herren allen Jungspunden, wie man Hardrock richtig spielt, was die elementaren Teile zu einem erfolgreichen Gig sind und wie man das Publikum beherzt in die Show miteinbezieht. Nach der Show von Uriah Heep zogen neun Pilatus Porter PC-7 ihre Kreise am Himmel und überzeugten mit einer absolut tollen Flugshow die Besucher des Rock The Rings.

Setliste: «Gypsy» - «Look At Yourself» - «The Law» - «Sunrise» - «Stealin'» - «One Minute» - «July Morning» - «Lady In Black» - «Easy Livin'».


Shinedown
Mit Shinedown änderte sich die musikalische Richtung schlagartig. Man ging weg vom traditionellen Rock und räumte der neuen Härte den Weg frei. Analog wie letztes Jahr mit Five Finger Death Punch, wurde nun mit einer Mischung aus melodischer Härte und modernen Sounds gerockt und das Publikum, speziell das Jüngere, begeistert. Was in den Staaten auf einer Erfolgswelle reitet, scheint sich auch in Europa zu bestätigen. Trotzdem, es reicht nicht aus, wenn Sänger Brent Smith mit einem unzerstörbaren Charisma versucht, ruhig auf der Bühne zu stehen. Dies bleibt alleine Gene Simmons von Kiss und Tom Araya von Slayer vorbehalten mit einer solchen Aktion, Riesenfanreaktionen einzuheimsen. Auch wenn Brent wie ein zum Sprung bereiter Panther auf der Bühne steht, sich mit einem erhabenen Grinsen der Reaktionen des jungen Publikums bewusst ist, beim älteren Semester verliert dies eindeutig an Durchschlagskraft. Ebenso wie auch die Songs, die in meinen Ohren mit zunehmender Spielzeit völlig austauschbar und monoton wirkten. Auch wenn ich mit meiner Meinung vielleicht sehr alleine dastehe, aber die Faszination für die Band hat mich absolut nicht gepackt und ich bin mir sicher, dass ich so schnell keine Show von Shinedowm Show mehr erleben werde.


Europe präsentierten dann, was man sich von den Schweden erhoffte. Eine Hammershow von einer der besten Live-Bands. Dies insbesondere dank der erneut starken Performance von Sänger Joey Tempest, der über die ganze Bühne sprintete, dabei immer wieder mit Bassist John Levén sowie Gitarrist John Norum poste und wie in den guten alten 80er-Jahren seinen weissen Mikrofonständer um die eigene Achse wirbelte. Auch wenn der Sound im Vergleich zu Shinedown schon fast dünn erklang, spürte man die unglaubliche Magie von Mister Norum, wenn er in die Saiten greift. Er war noch nie der grosse Entertainer, sondern hält sich lieber im Hintergrund auf. Dort ist sein Platz bei all seinen Effektgeräten und Pedalen, die er für seine unglaubliche Leistung braucht. Ist es das fantastische Solo beim aus allen Kehlen laut mitgesungenen Smash-Hit «The Final Countdown», das rockige fette Riff bei «Hole In My Pocket», die fast schon metallischen Parts bei «Wasted Time» oder die rockigen Elemente bei «Days Of Rock'n'Roll», John begeisterte alle. Von jung zu alt, vom Rocker zum Thrasher oder vom Männlein zum Weiblein. Er ist einer der letzten, wahren Gitarren-Helden, der aber nie an seinem Ego scheitern würde, sondern seine Genialität songdienlich allen zur Verfügung stellt. «Grüezi zäme», begrüsste Joey das Publikum, das kollektiv auf den Auftritt von Europe wartete. «Händers guet?», wollte Mister Tempest in fast akzentfreiem Schwyzerdütsch vom Publikum wissen und das laute Geschrei liess grundsätzlich nur eine Antwort zu. JA!

Die Setliste bestand zu einem grossen Teil aus dem erfolgreichsten Album der Nordländer. Logisch, denn mit «Rock The Night», «Cherokee» und dem Titelsong von «The Final Countdown» kann man nichts falsch machen, und wohl jeder schien die dazugehörenden Riffs oder Refrains in- und auswendig zu kennen. Dass Europe aber weitaus mehr zu bieten haben, als nur auf den Keyboards aufgebaute Evergreens zu spielen, beweist das Quintett schon seit Jahren. Alleine eine schwere Nummer wie «Last Look At Eden» oder der harte Opener «War Of Kings» zeigen die ehemals falsch betitelten Plüschrocker in der Welt beheimatet, die sie schon mit den ersten beiden Werken betraten. Kerniger Hardrock, der auf tollen Melodien aufbaut und mit vielen kleinen Finessen bestückt ist. Auch wenn der Regen wieder einsetzte, tobte Joey über die Bühne und kaum jemand verliess seinen Platz vor der Stage. Grinsend nahm dies Joey mit dem Bewusstsein zur Kenntnis, dass er sich auf die Europe-Fans verlassen kann. Für Mister Tempest war es auch nicht irgendeine weitere Show, sondern eine, bei der er um jeden Besucher kämpfte und nicht ruhte, bevor der letzte Ton gespielt war. Mit «Enjoy the Scorpions! Thank you! Beautiful! God bless you and see you soon!», verabschiedete sich ein völlig durchnässter Joey, zusammen mit seinen Jungs, von der Bühne. Dies war eine Bandleistung in der Keyboarder Mic Michaeli ebenso wichtig ist, wie Joey und John oder die fette Rhythmusmaschine mit Mister Levén und Trommler Ian Haugland. Wer das "Rock The Ring" nicht besuchte, hat am 16. November 2016 die Möglichkeit, Europe auf ihrer «30th Anniversary The Final Countdown» Tour zu sehen.

Scorpions
Der Headliner an diesem Samstagabend bot die gewohnt tolle Performance mit einer unglaublichen Video-Show, die vor, hinter und unter dem Drumriser von Mikkey Dee das Set wuchtig unterstützte. Mickey Dee? Ja, der ehemalige Motörhead-Trommler ersetzte James Kottak, der aus gesundheitlichen Gründen nicht auftreten konnte. Auch wenn James mit seiner verrückten Art und dem amerikanischen Power-Drumming, inklusive seiner wilden Show mit seinen Drumsticks bei den Scorpions schwer weg zu denken ist..., was Mister Dee an diesem Abend bot, war eine unglaubliche, powervolle und arschtretende Performance. Der typische Drive und die erneut bemerkenswerte Power wurde nicht erst bei «Dynamite», «Blackout» oder der Eröffnungsnummer «Going Out With A Bang» klar. Auch bei den eher stampfenden Momenten wie «The Zoo» oder den fetzigeren Teilen von «Big City Nights» und dem Abschluss «Rock You Like A Hurricane», Mikkey haute mit einem extrem breiten Grinsen auf sein Arbeitswerkzeug ein, dass man sich schon fast wünschte, dass er das stechende Spinnentier niemals verlassen wird…

Ein weiterer Aktivposten war Rudolf Schenker. Mit seiner Gestik, seinem Grinsen, seinen Sprüngen und seiner Rastlosigkeit durchlebt der Hannoveraner wahrscheinlich seinen x-ten Frühling. Seine 68 Lenze sieht man dem Gitarristen kaum an, und anhand seiner agilen Präsentation geht man eher von einem spritzigen Mittedreissiger aus. Da bleibt Sologitarrist Matthias Jabs ein kleines bisschen ruhiger. Der sieben Jahre jüngere Saitenteufel genoss den Auftritt sichtlich. Selten habe ich Mister Jabs mit einem dermassen breiten und zufriedenen Grinsen gesehen (was nicht bedeuten soll, dass er sonst nicht grinst!). Selbst sein solistischer Ausflug bei «Delicate Dance» war nochmals eine Spur riffiger, angriffiger und virtuoser und nicht nur deswegen gehört er in meinen Augen nach wie vor zu den unterbewertetsten Saitenakrobaten. Sänger Klaus Meine sang erneut auf einem sehr hohen Level. Seine 68 Jahre sieht man den Shouter eher an als Rudolf. Trotzdem bewegte sich Klaus sehr viel, animierte unaufhörlich das Publikum und verkündete nicht ohne Stolz, dass sie damals in der Krautrock-Zeit niemals damit gerechnet hätten, dermassen erfolgreich zu werden und dass sie heute auf dieser tollen Bühne vor diesem fantastischen Publikum spielen könnten. Man lasse es sich auf der Zunge zergehen… Die Scorpions existieren schon seit fünfzig Jahren, also somit einem halben Jahrhundert! Somit ist die Truppe länger im Geschäft, als ich auf der Welt, und wer seit fünf Jahrzehnten noch immer die Festivals und die grösseren Hallen auf der ganzen Welt als Headliner besteigt, dem darf man zurecht einfach mal mit grossem Respekt applaudieren.

Die Show, im Vergleich zum Auftritt vom 28. November 2015, bot ziemlich das Gleiche bezüglich der Videosequenzen und der Setliste. Abgesehen davon, dass das Balladen-Medley und «In The Line Of Fire» dem verkürzten Zeitrahmen zum Opfer fiel. Dafür bauten die Deutschen mit «No One Like You» einer ihrer erfolgreichsten Radio-Songs ein. Das Set wirkte extrem homogen, bot mit dem Drum-Solo eine sehr gute Abwechslung, was bei Schlagzeugsolos nicht immer der Fall ist und war logischerweise mit vielen Songs der äusserst erfolgreichen 80er-Zeit gefüllt. Dass dabei halt der eine oder andere Hit über Bord geschmissen werden musste, ist leider klar. Ganz ehrlich, welche andere Band kann es sich erlauben, Klassiker wie «Tease Me, Please Me», «Rhythm Of Love», «Bad Boys Running Wild» und Balladen wie «When The Smoke Is Going Down» oder «Holiday» in der Kiste zu lassen? Eben! Die Scorpions boten wie gewohnt eine hammergeile Performance mit vielen passenden Videosequenzen und einer fantastischen Lichtshow. Zu Recht liessen sich die Herren nach der Show feiern, und auch wenn die Musiker sicher nicht mehr die Jüngsten sind, diese Leistung muss ihnen zuerst einmal eine andere Truppe nachmachen!

Setliste: «Going Out With A Bang» - «Make It Real» - «The Zoo» - «Coast To Coast» - «Top Of The Bill/Steamrock Fever/Speedy's Coming/Catch Your Train» - «We Build This House» - «Delicate Dance», «Wind Of Change» - «Rock'n'Roll Band» - «Dynamite» - «Drum-Solo Mikkey Dee» - «Blackout» - «No One Like You» -- «Big City Nights» - «Still Loving You» - «Rock You Like A Hurricane».