Livereview: Rock Meets Classic - Tour 2016

12. April 2016, Bern - Festhalle
Text & Pics by Oliver H.

Bereits zum siebten Mal, aber erstmals in der Berner Festhalle, wurde bei der renommierten "Rock Meets Classic-Tour" ein einzigartiges Konzerterlebnis aus legendären Rocksongs und klassischer Musik in Perfektion versprochen. Das musikalische Crossover-Projekt verschmilzt in einem dreistündigen Liveprogramm weltbekannte Rock-Hits mit gefühlvoller Klassik. Das Ambiente liess mich aber erst einmal zweifeln – gähnende Leere im hinteren Teil der Halle, abgesehen vom Wurst- und Merchandise-Stand und vorne durchnummerierte Stuhlreihen – das schrie förmlich nach Spiessertum und hatte nicht einen Hauch von Rock. Auch die Mehrheit des Publikums hatte die Spitze ihrer jugendlichen Blütezeit merklich überschritten und T-Shirts mit Prints von Iron Maiden oder Europe waren klar in der Minderheit. Es sollte ein Abend der Gegensätze werden und Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an. Pünktlich um 20.00 Uhr ging der Vorhang auf und ab da war ich nur noch geflasht.


Das Prager Bohemian Symphonie Orchester, das mehrheitlich aus herausgeputzten weiblichen Mitgliedern bestand, eröffnete zusammen mit dem "Rock Meets Classic" Mastermind Mat Sinner (Sinner, Primal Fear etc.) und seiner Band mit einem Medley aus Aerosmith-, Led Zeppelin- und anderen hochkarätigen Rocksongs den Abend. Im Hintergrund wurden passend dazu Bilder diverser Rockgrössen eingeblendet. Ebenso treffend, mutierte Dirigent Bernhard Wünsch innert Kürze zum Headbanger und agierte ausser Rand und Band.

Gleich im Anschluss erhob sich das Publikum zum ersten Mal von den Sitzen als Steve Walsh (Ex-Kansas) «Carry On My Wayward Son» anstimmte. Der Stimme des Sängers waren die Jahre auf dem Buckel deutlich anzuhören, aber dies tat der Ehrfurcht des Publikums keinen Abbruch. Von den stehenden Ovationen zeigte sich Walsh sichtlich angetan. In grossartiger Spiellaune präsentierten sich auch Andy Scott und Pete Lincoln von The Sweet. Mit Hits wie «Action» oder «Fox On The Run» brachten sie das Publikum zum Tanzen und Mitsingen. Die Stühle waren schon bald nur noch lästiges Accessoire oder dienlich als Kleiderständer. Gerade als die Massen ihnen aus der Hand zu fressen begannen und die Party zu kochen anfing, wurde mit Doro (Doro Pesch) aus Deutschland der nächste Künstlerwechsel vollzogen. Zu ihrem Leidwesen bremste dies die Zuschauer ein wenig aus und sie hatte es schwer mit ihren Songs «Für Immer» (trotz brennenden Feuerschalen) und «Love's Gone To Hell» für die richtige Stimmung zu sorgen. Mit ihrem Hit «All We Are» schaffte sie es aber dann doch noch, die Massen wieder zu begeistern und zumindest die Kenner zum Mitbrüllen zu animieren.

Was Doro sich hart erarbeitet hatte, durften Scott Gorham und Ricky Warwick von Thin Lizzy/Black Star Riders grinsend übernehmen. Im Hippielook versus Nadelstreifenanzug präsentierten Gitarrist Gorham und Sänger Warwick Hits wie «Jailbreak&» oder «Rosalie». Zu späterer Stunde brachten sie dann mit «The Boys Are Back In Town» die Zuschauermenge noch richtig zum Kochen und einige ganz eingefleischte Fans in den ersten Reihen zum Headbangen. Als Abwechslung streute das Bohemian Symphonie Orchester das «Star Wars-Theme» ein und Dirigent Wünsch tauschte zu diesem Anlass seinen Taktstock gegen ein Laserschwert aus. Herzzerreissend und höchst emotional war dann im Anschluss der Auftritt des gesundheitlich angeschlagenen Dan McCafferty (Ex-Nazareth). Krankheitsbedingt musste er den jahrelangen Dienst als Sänger bei Nazareth quittieren (1971-2014), liess sich aber für "The Last Goodbye" zu diesem Projekt überreden. Sichtlich gezeichnet und auf einem Stuhl sitzend stimmte er «Dream On» an. Die Nackenhaare stellten sich reihenweise auf und in den Gesichtern des Publikums war Rührung und Ehrerbietung abzulesen.

Nach so viel Emotionalität hatten auch die Zuschauer wieder Partystimmung sichtlich nötig und dieser Bitte kam Ultravox-Sänger und -Gitarrist Midge Ure gerne nach. Er bezeichnete sich selbst als „König von Schottland“ und die Bühne plus Orchester als sein Gefolge. Er begeisterte mit Stimme, Darbietungsweise und Ausstrahlung. Bei seinen Songs «If I Was» oder «Dancing With Tears In My Eyes» hatten auch die eher Pop-Erprobten endlich Gelegenheit mitzuträllern. Nach der Pause machte die Mat Sinner Band mit Whitesnake's «Here I Go Again» mächtig Dampf im Kessel. Herausragend waren dabei die Gastsänger Sascha Krebs und die Sopranistin Eilika. Danach reihten sich Hit an Hit, das Publikum tanzte und blieb sogar bei McCaffertys zweiter Ballade «Love Hurts» stehen. Ein bis dahin wirklich gelungener Konzertabend mit vielen Höhepunkten.

Getoppt wurden diese aber noch von Europe's Sänger und Rampensau Joey Tempest, der sich erst zum Finale die Ehre gab und den grossen Entertainer markierte. Motiviert und vor überschäumender Energie nur so strotzend, machte er mit «Rock The Night» den Anfang, bei «Superstitious» liess es sich Tempest nicht nehmen von der Bühne zu springen, einzelne Fans abzuklatschen oder sogar kurz zu umarmen, um dann anschliessend auf der Bühne, den Mikrofonständer herumwirbelnd, wieder Vollgas zu geben. Die Schmusenummer «Carrie+ versetzte wohl viele Anwesende wieder zurück in die Schulzeit oder in den privaten Kellerraum eines Freundes, bei dem die Paare der Klassenparty eng umschlungen „slow“ tanzten. Der unvermeidbare Party-Hit «The Final Countdown» kam etwa zur gleichen Zeit wie die Meldung, dass der SCB Schweizermeister geworden ist. Kanonen feuerten Papierregen in die Zuschauermenge, die das Spektakel unter Jubelrufen begrüssten. Passender ging es nun wirklich nicht… obwohl ich mir einen anderen Meister erhofft hatte (Anm. d. R.). Nach «Ready Or Not» folgte schliesslich noch das grosse Finale in dem von allen Sängern gemeinsam interpretierten Led Zeppelin-Klassiker «Rock And Roll», der nach der fast dreistündigen Show letzte Kraftreserven im Publikum freisetzte und die Menschen mit einem wohligen Gefühl in die verregnete Nacht entliess. Auch das als sonst eher langsame Bern hat tierisch gerockt – Bitte mehr davon!

Setliste: «Carry On Wayward Son» «Action» - «Fox On The Run» - «Für Immer» - «Love's Gone To Hell» - «All We Are» - «Jailbreak» - «Rosalie» - «Star Wars Theme» - «Dream On» - «If I Was» - «Vienna» - «Here I Go Again» - «Love Is Like Oxygen» - «Ballroom Blitz» - «Dust In The Wind» - «Dancing In The Moonlight» - «The Boys Are Back In Town» - «Dancing With Tears In My Eyes» - «Love Hurts» - «Game Of Thrones» - «Rock The Night» - «Superstitious» - «Days Of Rock'n'Roll» - «Carrie» - «The Final Countdown» - «Ready Or Not» -- «Rock'n'Roll».



Nachdem ich etlichen grölenden Fans des SC Bern ausgewichen bin und Tom Naumann hinter der Festhalle erklärt hatte, dass die Berner nicht im Fussball, sondern im Eishockey Schweizermeister geworden sind und dass sie keinen Stau auf der A1 zu fürchten brauchen, da diese in Lugano und nicht in Luzern gespielt haben, spickte er die Zigarette auf den Boden, verabschiedete sich und die Bustür schloss sich langsam hinter ihm. Ich ging im Regen zu meinem Auto, bedeckte während der Ausfahrt meinen HC Davos Wimpel und drehte Avantasia's «Draconian Love» noch etwas lauter auf.