Livereview: Phil Campbell And The Bastard Sons - Andrea Bignasca

20. Oktober 2016, Solothurn – Kofmehl
By Rockslave
Es geht nicht mehr lange und dann jährt sich der der Tod von Rock’n’Roll Ur-Gestein Lemmy Kilmister (R.I.P.) bereits zum ersten Mal. Doch das Leben der Hinterbliebenen, sei das der Familie (Sohn Paul Inder), von Freunden und speziell seinen beiden Bandkumpels, sprich Gitarrist Phil Campbell sowie Drummer Mikkey Dee, geht weiter. Während Letzterer inzwischen James Kottak (Ex-Kingdom Come) bei den Scorpions (!) abgelöst hat, geht Phil solo voran. Seine neue Truppe nennt sich „Phil Campbell And The Bastard Sons“ und das von wegen den „Söhnen“ ist kein blosses Anhängsel, sondern stimmt gleich in dreifacher Ausführung! In der Tat besteht die ganze Hintermannschaft aus echten Campbells und zwar Todd (g), Dane (d) und Tyla (b). Dazu kommt Frontmann Neil Starr, der mich am heutigen Abend bei meiner Premiere am meisten interessierte. Der Grund lag darin, dass mir ein paar YouTube-Clips mit Live-Schnippeln überhaupt nicht gefallen haben. Der Gesang hörte sich phasenweise derart grottig an, dass ich deswegen beinahe nicht hingegangen wäre. Zum Glück war ich aber da. Das Vorprogramm bestritt der Schweizer Solo-Musiker Andrea Bignasca, der angenehm überraschte.

Andrea Bignasca

Wer sich jeweils als Einzelkünstler betätigt, muss nebst dem technischen Können vor allem eines haben: Ausstrahlung! In einer Band wirkt das Kollektiv und dann können gewisse Schwächen, falls vorhanden, elegant kaschiert werden. Wer ganz alleine auf eine Bühne steigt, ist sich selbst überlassen und muss deshalb was darstellen. Andrea Bignasca, seines Zeichen Gitarrist und Sänger, war jedoch nicht ganz alleine auf der Bühne. Nebst einer elektrischen und akustischen Gitarre stand simpel und einfach noch eine im Stehen bedienbare Bass-Drum da. Von einem Drummer war jedoch nichts zu sehen, und darum war das Ganze nicht mit The Black Keys oder Royal Blood zu vergleichen, die jeweils nur als Duo enorme Erfolge einfahren konnten. So trat dann also M. Bignasca als Opener alleine vor sein gespanntes Publikum, schnallte sich die E-Guitar um und…, legte los! Kaum angefangen, merkte man gleich, dass hier ein Vollblutmusiker am Werk war. Ob mit der der akustischen oder der elektrischen und…, teils eben mit der erwähnten Bass-Drum, wurde der mit viel Herzblut vorgetragene Gesang optimal untermalt. Obwohl einem so natürlich keine Soundwalze entgegen blies, lag der Fokus ganz auf der agilen Performance des Tessiners. So erstaunte es nicht, dass Andrea das Kofmehl so zu sagen „im Sturm“ nahm und der Applaus immer lauter wurde. Das freute den Vollblut-Musiker sichtlich und manch einer hätte beim ersten Anblick wohl nicht erwartet, was er zu sehen und zu hören kriegen wird. Ein besseres Statement für seine Zunft hätte er nicht abgeben können.

Phil Campbell And The Bastard Sons
Ich musste mir den berühmten Tritt in den Arsch zuerst gleich selber setzen, sonst wäre ich womöglich nicht nach Solothurn gefahren. Das hatte freilich nichts mit dem Hauptprotagonisten Phil Campbell zu tun, sondern vielmehr mit dem Frontmann Neil Starr. Wie in der Einleitung beschrieben, kann eine YouTube-Konsultation unterschiedliche Reaktionen auslösen. Ich wollte dem Typ aber eine faire Chance gewähren und ging also hin…, ins Kofmehl zu Solothurn. Nach dem erfrischenden Opener war es nun an der Zeit, der neuen Truppe des ehemaligen Motörhead Gitarristen zu lauschen. Nachdem der Auflauf des männlichen Teils der Familie Campbell abgeschlossen war, legte diese mit «Big Mouth», einem eigenen Song ab der aktuellen selbstbetitelten 5-Track EP, recht ordentlich los. Dass der Hauptteil des Sets jedoch überwiegend aus Motörhead-Songs bestehen würde, war abzusehen und «Deaf Forever» (ab dem 86er-Album «Orgasmatron») eröffnete den Reigen dessen, was man nie mehr so wie früher wird erleben können. Geschichte ist hier auch die Energie, die von Lemmy und seinen Kumpels jeweils losgetreten wurde, denn davon waren der gute Phil und sein Jungs weit davon entfernt. Dennoch vermochte die sichtliche Spielfreude das gut gelaunte Kofmehl-Publikum zu erreichen und so entstand eine tolle Stimmung, die vor allem bei den alten Schoten immer mehr Nahrung fand. Der von mir kritisch beäugte Mr. Starr entpuppte sich dabei zwar nicht gerade als Göttersänger, aber immerhin kam die Chose live deutlich besser rüber, als ab Internet-Konserve. Warum dann von den gespielten Cover-Versionen auch ZZ Tops «Sharp Dressed Man» verbraten wurde, wissen nur die Götter. Dieser sonst zweifellos kultige Gassenhauer passte überhaupt nicht ins Set. Black Sabbaths «Sweet Leaf» hingegen schon. Bei den ersten Klängen von «Ace Of Spades» brandete der Applaus umgehend auf und die Jugend veranstaltete danach sowas wie einen Mini-Moshpit, zu dem meine alten Knochen natürlich sofort Reissaus suchten. Dass dabei auch der eine oder andere Becher Bier samt Inhalt hochgeworfen wurde, fanden definitiv nicht alle lustig. Musikalisch vermochte der Hawkwind Klassiker «Silver Machine» zu punkten, während «Heroes» von David Bowie die nächste Fehlbesetzung im Set markierte. Mit dem passenden Rausschmeisser «Killed By Death» ging ein insgesamt kurzweiliges Konzert zu Ende, das aber nicht alle Erwartungen erfüllen konnte. Positiv war sicher, dass sich Phil Campbell völlig relaxed zeigte und seine Söhne, trotz „unmetallischer Optik“ mit Bärten und Kurzhaarschnitt, einen guten Job ablieferten. Mal sehen und hören, wie die erste full length Scheibe klingen wird und ob diese das gute Niveau der EP zu halten vermag.

Setliste: «Big Mouth» - «Deaf Forever» - «Nothing Up My Sleeve» - «Spiders» - «R.A.M.O.N.E.S.» - «Orgasmatron» - «Take Aim» - «Sharp Dressed Man» - «Born To Raise Hell» - «Sweet Leaf» - «Ace Of Spades» - «Eat The Rich» - «Silver Machine» -- «Going To Brazil» - «Rock Out» - «Heroes» - «Killed By Death».