Livereview: Opeth - Burst
15. Dezember 2005, AbaRt Zürich
By El Muerte
Dass im Zusammenhang mit Opeth "Voraussicht" so was wie eine unmüglich einsetzbare Fähigkeit ist, das dürfte manchem da draussen klar sein. Ob songtechnische Stilsprünge, musikalische Flexiblität oder eben Publikumsaufmarsch, es lässt sich einfach nicht im Voraus sagen, was im Endeffekt der Fall sein wird. Betrachtet man den nüchteren Fakt, dass Opeth im Grunde eine wuchtvolle Death Metal Band sind, so würde man nicht zwingend mit einem ausverkauften Abart rechnen, dafür eher mit eingefleischten Haarsportlern. Aber natürlich darf man auch nicht vergessen, dass gerade durch's "Damnation"-Album eine Vielzahl an neuen Fans Zugang zu den dunklen und atmosphärischen Fantasiewelten der fünf Schweden gefunden haben. Wer also sollte an diesem Abend die Überhand behalten, welche Sorte Musikfanatiker würde das Geschehen vor der Bühne dominieren? Rückblickend lässt sich das leider genauso wenig feststellen - Denn die glückliche Masse aus vollbedienten Schwarzklamottenträgern liess sich partout nicht mehr in gängige Kategorisierungen unterteilen. Aber genau so sollte es schliesslich auch sein - Und dass gerade Opeth dieses Kunststück zustande bringen konnten, das wäre eigentlich das wirklich einzig Voraussehbare an diesem Abend gewesen (Nebst kollektivem Kieferaufdenbodenklatschen und hemmungslosem Gruppentraumschwelgen).

Opeth waren so freundlich, ihre schwedischen Kollegen von Burst mit auf Tour zu nehmen. Parallelen innerhalb der Musik der beiden Bands lassen sich dummerweise fast keine ziehen, denn Burst's Wurzeln liegen klar im Hardcore. Wenn während des 40-minütigen Aufwärmgigs ab und zu flächige Passagen die Überhand gewannen, so liessen sich diese eher Szene-Klassikern wie Neurosis zuordnen, als progressive Elemente darin zu erkennen. Das Publikum wusste zu Beginn des Sets nicht wirklich, wie es sich verhalten sollte, gewann den oftmals lärmigen Songs im Laufe des Auftritts aber immer mehr ab, und so wurden am Schluss sogar einige Zugaben- Wünsche in Richtung Bühne gerufen. Burst gaben sich professionell, wenn auch leider etwas zurückhaltend. Der Sänger bedankte sich zwischen den Songs artig beim Publikum und versuchte sich etwas an Smalltalk, ohne aber einen wirklichen Draht herstellen zu können. Als nach einer 40-minütigen Umbaupause die Lichter ausgingen und ein melodisches Intro ab Band lief, waren Burst dann auch schnell vergessen.

Was dann folgte, waren ungefähr zwei Stunden reich an musikalischer Genialität, ungezähmter Spielfreude und zynischem Humor. Frontgrunzer Martin Akerfeldt stand mehr oder weniger allein im Scheinwerferlicht, konnte aber perfekt mit seiner Leader-Position umgehen und wusste das Publikum mit Hilfe zahlreicher Spässe bei Laune zu halten. Peter Lindgren (Lead-Gitarre), Martin Mendez (Bass), Neuzugang Per Wiberg (Keys, Hammonds, Backing-Vocals) und Martin Axenroth (Drums, Ersatz für Martin Lopez -> siehe Interview) kümmerten sich dafür um das musikalische Fundament, und bildeten so quasi die Plattform für Herrn Akerfeldt. Sie kamen dieser Aufgabe mehr als perfekt nach, hämmerten sich arschtight durch die jeweils mindestens sechs Minuten dauernden Songs, und schafften obendrauf auch noch das Kunststück, die Wechsel zwischen harten Sounds und ruhigen Momenten völlig natürlich und homogen rüber zu bringen. Mit anderen Worten: Opeth sind so fit wie nie zuvor, quasi ein Lehrstück in Sachen Einheit und Perfektion.

Doch genug der Lobeshymnen, wir wollen uns nun auf die tatsächliche Abfolge des Gigs konzentrieren. Wie zu erwarten, wählten sie den ersten Track der neuen Scheibe, "Ghost of perdition", auch als Show-Opener, und bereits der erste Akkord löste sämtliche Anspannung im Publikum - selten habe ich so viele grinsende Gesichter an einer Metalshow gesehen. Zum Vergleich lässt sich höchstens der Gesichtsausdruck eines Kindes beim Betreten eines Süssigkeiten-Ladens heran ziehen. Von sämtlichen Akteuren auf der Bühne bewegte sich Basser Martin Mendez am meisten, nebst ausufernden Bangorgien suchte er immer wieder Blickkontakt mit Drummer Martin Axenroth, der, ganz der Profi, voll konzentriert die wahnwitzigsten Beats und Grooves aus seinem Kit herausprügelte. Hier müsste vielleicht noch einmal mit dem Finger auf die Glanzleistung dieses Herren gezeigt werden - Mal so nebenbei als Aushilfe bei Opeth einzuspringen und die neue CD (oder wenigstens einige der Songs) auswendig zu lernen, diese Leistung ist beinahe nicht mehr steigerbar. Klar ersetzt er keinen Martin Lopez, er schafft es aber, den Partituren seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Doch zurück zum Geschehen auf der Bühne: Während zwei Stunden brillierte die Band mit einem Querschnitt aus beinahe sämtlichen bisher erschienen Alben, lediglich der alte Gassenhauer "The drapery falls" (Von "Blackwater Park") wird nur ein paar Sekunden lang angespielt.

Martin Akerfeldts Interreaktion mit dem Publikum sollte übrigens ebenfalls nicht unerwähnt bleiben: Er schaffte es, dank lockeren Sprüchen und Anekdoten, das Publikum in den Auftritt mit einzubeziehen, und sorgte auch nebst der dargebotenen musikalischen Kunst für Höhepunkte. So machte er unter anderem mehrere Male auf humorvolle Art und Weise klar, dass er der alleinige Herrscher über das Mikro sei, und deswegen ungeniert schmutzige Dinge sagen dürfe (die ich hier nicht auflisten will, sie wären eh der Zensur zum Opfer gefallen). Dafür durfte das Publikum dem Gitarrentechniker «Happy Birthday» singen, obwohl Mikael laut eigener Aussage eigentlich gar nicht mehr wisse, wo er den Typen aufgegabelt habe. Aber weil Opeth so grossherzig seien, würden sie ihn ab und zu mit Brotkrümeln, abgeschnittenen Fussnägeln und sonstigen auf dem Boden des Tourbusses aufgefundenen Häppchen füttern (O-Ton Mikael). Offensichtlich befindet sich Mikael sowie der Rest der Band (Und auch die Crew) in blendend guter Verfassung, anders kann ich mir den gelungenen Abend nicht erklären.

Als die Band nach circa zwei Stunden die Bühne verliess und das Publikum langsam wieder auf den Boden der Realität zurück kehrte, war es dann auch Zeit für ein zusammenfassendes Schlusswort: Mit erstens etwas mehr Platz im Zuschauerraum und zweitens akustisch besseren Räumlichkeiten, hätte dieser Auftritt der Höhepunkt des Konzertjahres 2005 werden können - Aber auch ohne diesem Titel musste sämtlichen Besuchern klar geworden sein, dass sie hier Zeuge einer ungewöhnlich starken Performance geworden waren und Opeth einmal mehr ihrem Mythos gerecht wurden - Als eine Band, die sämtliche positiven Aspekte der Musik in sich vereinte und über perfekte Songs zum Ausdruck brachte.

Gespielte Songs: "Ghost of perdition", "Baying of the hounds", "The grand conjuration", "Closure", "Deliverance", "A fair judgement", "Bleak", "Blackwater Park", "When", "White cluster", "Under the weeping moon".