Livereview: Hirax - Nervosa - Contorsion

20. Juli 2015, Olten – Coq d’Or
By Rockslave
Seit “unser” Kissi das Restaurant Coq d’Or in Olten als Geschäftsführer übernommen hat, müssen wir gegenwärtig auf seine geschätzten CD-Reviews und Interviews verzichten. Doch das Ganze wirft auch etwas Positives für Metal Factory ab, denn seit dem nötigen sowie brandpolizeilich verordneten Umbau des Konzert-Kellers geht es nun konzertmässig wieder voll ab im „Güggel“. Auch wenn die dort aufspielenden Bands, bis auf ein paar Ausnahmen, meist der Untergrund-Szene angehören, kann die Stadt Olten endlich wieder zusätzliche, respektive regelmässige Konzerte anbieten. Was dann aber auf den 20. Juli 2015 angekündigt wurde, war für True Metaller und Thrasher schlechthin eine Sensation, denn die amerikanischen Kult-Thrasher Hirax, die es als Band mit zig Line-Ups schon über dreissig Jahre gibt, spielten ihren allerersten Gig auf Schweizer Boden..., und das in Olten! Dazu kommt, dass der sympathische schwarze Sänger Katon W. De Pena mit seiner Truppe zwei Tage zuvor noch auf der grossen Festival-Bühne des BYH!!!-Festivals in Balingen (D) stand! Wahnsinn!!

Contorsion

Wie es sich für eine richtige Konzert-Sause gehört, braucht es ergänzend zum Headliner hin gute Support-Bands, um die Fans auf Betriebstemperatur zu bringen. Dass dies, also die Sache mit der Temperatur, so was von heiss werden würde, war einem an diesem Abend schon nur bewusst, wenn man sich einfach mal runter in den Keller begab. Als dann die Seetaler Thrasher als erste Band des Abends auf die Bühne kamen, dauerte es nur wenige Minuten, bis meine Einschätzung voll ins Schwarze traf. Contorsion, dessen musikalische Leitbilder gemäss dem Fratzenbuch-Eintrag (unter dem Topic "Einflüsse) "Exodus, Slayer, Testament, Sepultura, Pantera and many others..." sind, gaben sich von Anfang an keine Blösse und bratzten im Geiste ihrer Idole volle Kanne los. Fronter Marc Torretti war darauf schon bald pitschnass wie ein begossener Pudel und seine Hintermänner Simon Freiburghaus (g), Jon Schnider (g), Dani Bürkli (b) und Matthias Eschmann (d) nicht weniger. Und dies trotz der knappen Fläche, die eigentlich kaum Bewegungsfreiheit zuliess. Zusammen mit dem schummrigen Licht wähnte man sich beinahe zu Gast bei Lucifers Vorgarten. Ein guter Teil der rund fünfzig Nasen schädelte bereits heftig ab und liess sich von den thrashigen Riffs und Soli mittragen. Fast die Hälfte der Songs stammte aber dem letztjährigen zweiten Album «Planet Parasite», das sich technisch wie songtechnisch locker auf Augenhöhe mit den internationalen Acts positionieren konnte. Schon das Top-Debüt «Solace Through Lies» von 2010 liess sich nicht lumpen und wies den Weg in die musikalische Zukunft. Und eben dieses energetische Thrash-Kraftfutter liess die Temperaturen im Keller des Coq d'Or ein erstes Mal wirklich tierisch ansteigen. Da das dürftige Licht meine Fotoserie am Bühnenrand merklich verkürzte, war natürlich entsprechendes headbangen angesagt, was mich (51) aufgrund des vollen Einsatzes bereits ordentlich aufheizte, aber das war ja erst der Anfang! Als Zugabe gab es noch den Exodus-Klassiker «War Is My Shepherd» voll auf die Zwölf, dessen Refrain lauthals mitgesungen wurde, geiler gehts ja kaum! Contorsion gehören für meine Begriffe, wenn man die internationalen "Big Four" (Metallica, Slayer, Megadeth und Anthrax) auf die Schweiz runter bricht, hin zu Poltergeist, Battalion und Comaniac, wobei Letztere auf dem besten Weg dazu sind.

Setliste: «March» - «Buthers Of Evil» - «Privilege Of War» - «Planet Parasite» - «Betrayers Of Humanity» - «New World Order Z.ombie N.ations U.nited» - «Rise And Fall» - «Thrash Metal Domination» - «Sargent "D" (Reprise)» - «War Is My Shepherd».


Nervosa
Von den brasilianischen Thrash-Girls Nervosa hatte ich bisher noch keinen blassen Schimmer, respektive noch nie was Musikalisches von denen aufgeschnappt. Das lärmige Trio aus São Paulo, bestehend aus Fernanda Lira (v/b), Prika Amaral (g/v) and Pitchu Ferraz (d) spielt seit Februar 2013 in dieser Besetzung zusammen. Den Start machte Prika 2010 und im Sommer 2011 stiess Fernanda dazu. Bis Pitchu, die älteste und erfahrenste Musikerin, die neue Band komplettierte, erfuhr das Video zu «Masked Betrayer» (noch mit der ersten Schlagzeugerin) einen beachtlichen Erfolg im Youtube. Das Resultat davon mündete in der Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Jeff Keller, der auch das Management von Destruction und Hirax inne hat. So kam eins zum andern und nach dem ersten 3-Track CD-Demo (nur in Brasilien erschienen) mit dem simplen Titel «2012» konnte ein Record-Deal mit Napalm Records abgeschlossen werden, die davon zunächst eine Single in verschiedenen Farben machten. Nuclear Blast doppelte kurz darauf mit einer Ausgabe in "clear vinyl" nach. Dass die kleinen Auflagen inzwischen längst vergriffen sind, versteht sich von selber. Die Debüt-CD «Victim Of Yourself» kam im letzten Winter heraus und mit diesen Songs traten die Mädels an und brachten die Lauschklappen zum Schlackern. Die beiden Saiten-Akrobatinnen gaben dann auch optisch was her und von diesem Standpunkt aus gesehen war das wiederum sehr dürftige Licht keine Hilfe für meinen Job da unten. Obwohl nett anzuschauen ging es aber in erster Linie um den Sound und der war präsent, keine Frage. Leadsängerin Fernanda keifte, schrie und riss en masse diabolische Fratzen. Dabei blitzten auch stets ihre tadellosen schönen Zähne auf, was das Gesamtbild der jungen Bassistin zusätzlich abrundete. Die mittlerweile leicht gestiegene Anzahl Besucher (etwa gut sechzig vielleicht) geriet ab dem brasilianischen Thrash-Gebräu alsbald aus dem Häuschen und die kollektive Abschädlerei (inklusive meiner Wenigkeit) nahm seinen Fortgang. Damit einher ging natürlich die sich laufend grösser werdende Hitze, die den Schweiss in Strömen fliessen liess. Auch wenn die Performance technisch, vor allem das Spiel von Prika noch etwas mehr an Präzision und Druck hätten vertragen können, blieb die Wirkung des harten Sounds von Nervosa im Sinne von Spass und Freude nicht aus. Da bekam dann entsprechend auch meine Nackenmuskulatur zu spüren, die sich bis hierher und insgesamt aber wacker hielt, ja auch musste, denn der Headliner stand ja noch an! Nervosa nutzten auf jeden Fall ihre Dreiviertelstunde und empfahlen sich mit dem praktisch durchgespielten neuen Album plus natürlich «Masked Betrayer» nachdrücklich für künftige Thrash-Gewitter.


Hirax
Hinter meinem Rücken, respektive zu Hause in meinem MF-Headquarter, hängt schon eine ganze Weile, genauer seit zwölf Jahren (!), eine grosse Unterschriftenkarte von Hirax. Hätte mir damals beim BYH!!!-Festival 2003 einer gesagt, dass ich just diese Band mehr als eine Dekade später oder vielmehr diesen Sänger, quasi um meine Hausecke herum, live wieder sehen und hören würde, hätte ich jeden gleich in eine Zwangsjacke stecken und schnurstracks in die nächstgelegene Klappse einliefern lassen! Tja, und nun sitze ich da und versuche das Erlebte irgendwie in Worte zu fassen, was an diesem denkwürdigen Abend, gerade mal 48 Stunden nach dem Auftritt in Balingen, im Oltner "Güggel" geschah. Ein paar Stunden vor dem Auftritt konnte ich vom Bartresen aus allen drei Bands beim Nachtessen zuschauen, das im Restaurant oben von der Coq d'Or Crew vorbereitet worden war. So wechselten sich die MusikerInnen an ein paar zusammengeschobenen Tischen mit dem Essen ab, bis jeder satt war. Was an anderen Orten in Backstage-Räumen fast ausschliesslich unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, läuft hier eben anders ab. Kein Wunder wollen eigentlich alle, wenn sie mal da waren, gerne wieder kommen. Nachdem ich also die beiden Vorbands halbwegs unbeschadet überlebt hatte, musste ich nach der Foto-Session mit Nervosa eilig wieder ins "Loch" runter, wo der Headliner gerade angefangen hatte zu spielen. Was sich danach da unten ereignete, lässt sich wirklich kaum beschreiben! Es war einfach nur schweinegeil und, Ihr ahnt es, noch heisser als zuvor.

Zu zwischenzeitlich echt abgefahrenen Moshpits liessen es die Amis krachen wie Anton. Die 80er Kult-Band, die nun von total etwa siebzig bis vielleicht knapp achtzig Fans frenetisch abgefeiert wurde, spielte sich regelrecht in einen Rausch hinein. Katon, wie immer mit der entsprechenden Lederkluft, Nieten-Armbändern und Ketten ausgestattet, riss abermals seine eigentümlichen Grimassen und feuerte den durchdrehenden Mob unentwegt an. Und da stand ich nun in der ersten Reihe schädelte ab wie schon ganz lange nicht mehr. Nach einer gewissen Zeit jappste ich echt nach Luft, doch es gab kein Entrinnen. Und so moshte ich zusammen mit Fans und Freunden, die wahlweise zehn, zwanzig oder locker auch dreissig Jahre jünger waren als ich, als gäbe es kein Morgen mehr. Die Setliste war mehr als lecker, deckte alle full length Alben ab und beinhaltete natürlich auch EP-Material. Als der massive Flächenbrand, den Katon W. De Pena (v), Lance Harrison (g), Steve Harrison (b) und Jorge Iacobellis (d) im Coq d'Or zu Olten gezündet hatten, durch war und ich komplett durchnässt nur noch nach Wasser und Sauerstoff bettelte, wussten alle Besucher, dass soeben Musik-Geschichte geschrieben wurde! Dass am gleichen Abend Death Angel im Z7 in Pratteln zu Gast waren, verkam angesichts dieses unfassbar geilen Abends zur kaum beachteten Randnotiz. Dass Hirax in wenigen Stunden nach dem Auftritt bei uns eine etwa achtstündige Fahrt nach Slowenien (!) ans «Metal Camp» vor sich hatten, machte den Abstecher nach Olten noch um einiges wertvoller.

Setliste: 100'000 Strong» - «Hellion Rising» - «Baptized By Fire» - «Lucifer's Infierno» - «Blind Faith» - «The New Age of Terror» - «Black Smoke» - «Hate, Fear And Power» - «Hostile Territory» - «El Rostro De La Muerte» - «La Boca De La Bestia» - «Destroy» - «Killswitch» - «El Diablo Negro» - «Atlantis» - «Barrage Of Noise / Walk With Death / The Plague» - «Broken Neck» -- «Bombs Of Death» - «Assassins Of War» - «Unleash The Dogs Of War» - «Battle Of The North».