Livereview: Drifter - Gonoreas - Emerald - The Vibes
                              Hangman's Nooze - Radwaste
30.08.2008, Casino Wohlen (AG)
by Kissi
«Do It Yourself» ist das Motto der Stunde in der (rockenden) Musikszene. Auf ein Label warten, dass einem die Arbeit abnimmt scheint passé zu sein, auf jeden Fall, wenn man sich die Schweizer Melodic Metal Institution Gonoreas anschaut. Im Alleingang liess man «Plead Not Guilty» Anfang diesen Jahres auf die helvetischen Mosher losgelassen, momentan tingelt man straff organisiert durch die nationale Clublandschaft und zu allem hin ist nun auch noch ein waschechtes Live-Dokument der Aargauer in der Mache. Aufgezeichnet wurde das noch nicht veröffentlichte Stück am 30.08. im Wohlener Casino. Und um die Sause nicht im kleinen Rahmen feiern zu müssen lud man sich gleich noch einen ganzen Reigen anderer Combos ein wie etwa die Thrash-Veteranen Drifter, die truen Emerald, die TBC-Rocker von The Vibes, die transnationale Vereinigung Hangman's Nooze wie auch Radwaste, die noch blutjunge Band von Gonoreas-Basser Daniel Jerosch. Bevor der metallische Reigen aber zum Headbangen vor leider nicht allzu vielen Leuten aufspielen konnten gabs für die früh Anwesenden gekühltes Blondes aufs Haus. Das darf man ruhig Fan-Nähe nennen.

Radwaste
Im warsten Sinne des Wortes «Vorhang auf!» hiess es zum ersten Mal an diesem flauen, sommerlichen Samstagabend um 18.35 Uhr, nachdem das Gratisbier schon weggezischt war. Letztes Jahr erst gegründet, hängen Radwaste noch als unbeschriebenes Blatt an der Metal-Eiche, so dass auch meine Wenigkeit einzig die Soundfiles auf der Bandpage zur Orientierungshilfe heranziehen konnte. Anhand dieses Gigs kann man den vier Jungspunden, ohne sich gross aus dem Fenster lehnen zu müssen, die besten Aussichten für die Zukunft bescheinigen. Wirkte man in den ersten Minuten auf der wohl ungewohnt grossen Bühne noch etwas verloren, konnte man die ca. 40 mehrheitlich jungen Leute ohne Weiteres mitreissen. Angeführt von Daniel Jerosch als Sänger/Klampfer, der wie schon erwähnt bei Gonoreas für die tiefen Töne zuständig ist und somit das «Auf-der-Bühne-Stehen» schon wie aus dem FF kennt, schmiss man den Kopf zu Thrashern wie «Operation: False Freedom» oder «Strike The Match» auf und ab (v.a. Basser Fabian Treier) und sich selber in klassische Metalposen. Und wenn man dazu noch beweist, dass man Humor hat, so ist einem die Sympathie des Publikums mehr als gut gesinnt. Die Thrash-Version von Manni Matters «Arabisch» regt zumindest zum Schmunzeln an und leitet perfekt in die zweite Gratisbier-Runde über.

Hangman's Nooze
Metallische Globarisierungsergebnisse: Die Grenzen fallen, auch die der Schweiz. Zumindest, wenn es um die Besetzung neuer Bands geht. Bestes Beispiel dafür die noch taufrischen Hangman's Nooze, die zweite Truppe dieses Abends, welche mit einem deutsch-österreichisch-schweizerisch-ungarischen Potpurri aufwarten konnte. Deren Fans hatten den Weg nach Wohlen wohl trotz Navi-Gerät und Karte nicht gefunden, denn nur wenige Nasen standen während des etwas unkoordinierten Gigs vor der Bühne herum. Etwas zu rau und roh schmettert man räudige Rock-Tracks wie «Burn» oder «Cannonball Fire» aus den Hüften. Gitarrero Zoltan Daraban (Ex-Inishmore) zeigt sich dabei in Posing wie Riffing souverän wie immer, doch sein dünner Gitarrensound ist bei weitem nicht das Mass aller Dinge, wobei dieser sowieso unter den zu lauten Vocals zeitweise zu verschwinden droht, die Mr. Andy Pichler (optisch eine Mischung aus Marc Storace und Neil Young) mit gesegnetem, wenn auch manchmal noch nicht ganz im Zaum zu haltendem Singorgan intoniert. Joey Roxx, gekleidet in klassisches Glam-Outfit (und meines Wissens nicht verwandt mit unserm Scheffe) und Schlagwerker Hans Gebhart liefern derweil einen musikalisch unauffälligen aber souveränen Job ab. Und auch wenn am Sound noch etwas geschliffen werden muss, Optik wie Gehabe stimmt, sodass einem die Combo schon leid tun kann, wenn auf ihre Motivierungsversuche im feuchtfröhlichen Bikerrocker «Beer Song» keine Reaktion zu vermelden ist. Noch etwas Schleiffarbeit und ausgefeilteres Songwritting, dann wird das mit der Mischung aus straighten Riffsongs und an die 80's angelehnten Stadionrock sicherlich etwas.

The Vibes
National noch eher unbekannt, im Dreieck Zofingen, Aarau, Olten aber doch nicht ohne Name rocken The Vibes schon seit einigen Jahren durch die Clubs, dabei den Spirit des guten alten Rock'n'Roll der 70er wieder aufleben lassend. Eigentlich bekannt für ihren von Hammond-Sounds geschwängerten Stil bekannt, packte man heute die Rotzrock-Seite aus und verzichtete komplett auf Tasten. Dafür schnallte sich Basser Matlock die Mundharmonika um den Mund, deren Wirkung leider auch wieder durch den eher mässigen, soll heissen undurchsichtigen Sound geschmälert wurde. Gitarrero Mojo und bis anhin auch Leadsänger der Truppe überliess seinem Bruder Matlock dabei auch vermehrt das Mikro. Fans indes konnte das Trio nicht wirklich mobilisieren, sodass noch weniger als bei Hangman's Nooze ihr Köpfe kreisen lassen. Die TBC-Rocker jedoch lassen sich davon nicht irritieren, sondern geben vor allem in Sachen Performance alles, sodass ihre Show, wenn auch für ihre Verhältnisse äusserst brachial, Spielfreude und Professionalität vermittelt. So hätte man wohl die eine oder andere Kopie ihrer letzten Scheibe «Whiskey, Sex & Rock'n'Roll» an den Mann bringen können, wären nur einige da gewesen. Scheiss drauf, einen echten Rocker kratzt das nicht und so rattert man trotz leerer Halle das Casino mit «Fatten The Cattle» und «Ride Your Horse Down» straight und energiegeladen wie eh und je runter, wobei die psychedelische Tasten-Version schon mehr Reiz zu versprühen vermag.

Emerald
Leder statt Jeans, schwarz statt verwaschen blau und true statt kickass: Vom Rock'n'Roll direkt in die Fantasy-Welt des traditionellen Metals führten Emerald. Das Quintett um Ivo Julmi, dessen Stimmlage zehn Mal höher liegt als seine Körpergrösse, konnte in der Vergangenheit schon auf einigen Bühnen im In- und Ausland überzeugen konnten, konnten zwar mit ihrem professionell inszenierten (Intro, selbstgemachte, glühende Smaragd-Lichter und das schon erwähnte Outfit) Auftritt beeindrucken, hielten mit der Agilität und Spielfreude der Vibes jedoch nicht mit. Dafür glänzte man mit dem klarsten und epischsten Sound des bisherigen Abends, der quasi Voraussetzung für Hymnen aus Stahl («Hymn Of Steel») wie «Hard To Be True» oder «Forces Of Steel» darstellt, da diese sonst wohl wenig funktionieren würden. Locken kann man mit diesem Stil deutlich mehr Leute und so finden sich doch wieder gut zwei Dutzend Headbanger ein, die zwar nicht regelrecht abfeiern, den Düdingern aber gebührenden Tribut zollen. Emerald machen dies hingegen jemand anderem, nämlich Edguy, deren «Vainglory Opera» sie makellos zum Besten geben. Wegen der schon reichlich fortgeschrittenen Zeit (mind. eine halbe Stunde hinter dem Zeitplan) streicht man zwei Songs und so kann die vielleicht trueste Band der Schweiz nur einen Bruchteil ihrer Diskographie, welche doch schon drei Scheiben umfasst und mit «Hymns To Steel» letztes Jahr ihren bisherigen Höhepunkt erlebte, zum besten geben konnten. Gerade dies wäre aber ein Grund gewesen, in der verbleibenden Zeit körperlich etwas mehr Gas zu geben.

Gonoreas
Wie man knackigen Power/Melodic Metal mit einer noch knackigeren Live-Performance zustande bringt, das zeigten nach Emerald Gonoreas, die Gastgeber des Abends. Für ihre DVD-Produktion hatten sich die Aargauer nämlich nicht lumpen lassen, von was in Sachen Lightshow schon die Aufwärmer profitieren konnten. Gonoreas jedoch kombinierten das Licht noch mit einer Bühne, die manche internationale Band gerne ihr Eigen nennen würde. Zwei Treppen führten neben den Kesseln von Jonas Lotar zu Podesten, auf welchen sich zuerst Gitarrenelfe Miriam Zehnder und Doppelrocker Jerosch in Szene warfen, dann aber immer wieder wechselnd in Beschlag genommen wurden. Davor rocken die beiden Köpfe der Truppe, Fronter Gilberto Meléndez und Saitenflitzer Damir Eskic mit Hummeln im Hintern über die Bühne, stehen keine Sekunde still (was das Photographieren nicht gerade begünstigt) und können damit mächtig Power ausstrahlen. Nicht unschuldig daran ist sicher auch das Publikum, welches mit etwas etwa 60 Personen das grösste des Abends darstellte und euphorisch feiernd auch das enthusiastischste war. So fiel es Gilberto alles andere als schwer, die Anwesenden zum Mitfeiern zu bringen. Klatschen, Mitsingen und Bangen ging von alleine, was bei Songs wie «Breaking The Chains», «Hope» (beide vom aktuellen und superben «Plead Not Guilty») oder «Freedom» (vom Vorgänger «Outbreak») auch nicht verwundert. Die Bühne wackelt, die Köpfe davor auch, was will man mehr? Gut, ein wenig mehr Leute hätten die läppischen 15.- Eintritt schon berappen können, doch letzlich lassen sich Gonoreas davon nicht im Geringsten irritieren, haben sichtlich ihren Spass und können das durchwegs hohe Niveau ihrer Darbietung mit Hits wie «Love To Rock» oder «Bang Your Head» noch steigern, sodass Gonoreas mit diesem Gig eine Garantie dafür ablegen konnten, dass ihre kommende DVD keine Sekunden Langweile oder Mittelmass dokumentieren wird.

Drifter
Sie sind Kult, haben Erfahrung und geben live alles, können daneben noch mit echten Thrash-Perlen aufwarten. Drifter waren und sind (zumindest meines Erachtens) eine der besten Metalbands der Schweiz. Dennoch muss auch ich eingestehen, dass nach dem Auftritt von Gonoreas die Sause im Casino eigentlich gelaufen war. Nicht nur, dass die Mehrheit wirklich nur wegen den Gastgebern nach Wohlen getingelt war, sondern auch die gottlose Zeit um 00.50 Uhr führte wohl dazu, dass die Halle bis auf zwei, drei wackere Thrasher leergefegt war, als «Burning Circles» das Set eröffnete. Dabei erwischte man auch nicht gerade einen Glanzstart, konkreter, man versemmelte, wohl infolge akustischer Schwierigkeiten, den Anfang des Songs und geriet für ein paar Takte ins rhythmische Schlingern. Bei «Strontium Dog» und dem knapp ein Jahr alten Track «The Eagle» war dann aber wieder alles im Lot und die Show, wie man sie von Drifter erwartet, nahm ihren Lauf: Der bangende Dreier Marcon/Szabo/Naef sorgen für Thightness, Peter Wolff spielt sich, auch wenn nicht immer gut hörbar, die Finger blutig und Mr. Tommy Lion schreit sich theatralisch wie immer die Seele aus dem Leib. Die drei, vier Hartgesottenen vor der Bühne, darunter auch der Rezensent, bangen sich dazu die Birne wirr, doch schon nach «The Elder» scheinen sich technische Probleme einzustellen. Ivano Marcon trottet einige Male sichtlich angepisst zu seinem Verstärker, kann seinen Sound zeitweise auch wieder herstellen, doch das Problem wird bis zum Ende nicht behoben sein. Bis dahin beisst man aber tapfer durch, überbrückt Ausfälle mit spontanen Einlagen wie einem Drum-Solo und lässt die leere Halle wenigstens noch mit Krachern wie «Banners On The Battlefield» oder «Highlander» erzittern. Dazu kredenzte man einen weiteren neuen Song, nämlich «The Clown». Da sich der Zustand von Marcons Klampfe aber weiter verschlechterte, so blieb Drifter letztendlich nichts anderes mehr übrig, als die letzten drei Songs ihres Gigs («So Much Blood», «We Can't Be Beaten» & «Reality Turns To Dust» - schnief!) sausen zu lassen. Dass einem in diesem Moment das abgenutzte Sprichwort «Glück im Unglück» einfiel, nämlich dass diese Bredouillen von lediglich ein paar Nasen mitverfolgt werden konnten, machte die Sache nicht wirklich besser, was sich auch in der Stimmung der Band nach dem Gig spiegelte. Pannen, Pech und einige Patzer in der Organisation verliehen dem ganzen Abend in Wohlen und vor allem dem Gig von Drifter ein unwürdiges Ende. Und wenn man dann noch vom Basser Szabo selbstlos nach Hause gefahren wird, dann tun einem die Thrash-Dinos doppelt leid (danke nochmal, Gabor!).

Pannen, Pech und einige Patzer in der Organisation verliehen dem ganzen Abend in Wohlen und vor allem dem Gig von Drifter ein unwürdiges Ende. Dennoch muss festgehalten werden, dass die ganze Casino-Sache doch ein Beispiel dafür war, wie viele Schweizer Truppen das Potential haben würden, in höheren Ligen mitzuspielen, würde nur das Glück einmal auf sie herabregnen. Gerade Gonoreas hätten kein Problem, in der Champions League um den Metalpokal zu rocken.