Livereview: Avantasia

24. März 2016, Pratteln – Z7
By Tinu
Das Unternehmen Avantasia, anders kann man dieser Tour nicht sagen, schwimmt wieder einmal auf einer noch grösseren Erfolgswelle als das letzte Mal. Initiator Tobias Sammet (Edguy) versammelte einmal mehr diverse Gastsänger um sich und gastierte gleich zwei Mal im ausverkauften Z7. Dabei stand der Sänger jeweils 3.5 Stunden auf der Bühne. Eine beachtliche Leistung, die aber auch ihren Tribut forderte. So hustete Mister Sammet immer wieder während des Gigs und man sah dem Shouter die Anstrengung der letzten Tage an. Dabei leidet die Performance in keinster Weise, sondern zeigte Tobi wie gewohnt als gesanglich starke Persönlichkeit auf der Bühne, welche die Fans mit seinen verbalen Ergüssen immer wieder zum Lachen brachte.

Unterstützt wurde Mister Avantasia von einem weiteren Plappermaul in Person, nämlich Jørn Lande. Der Norweger ist, was kaum zu glauben ist, der noch grössere Quasselonkel. Neben dem Nordländer wurde Tobi gesanglich von Ronnie Atkins (Pretty Maids), Bob Catley (Magnum), Eric Martin (Mr. Big), Michael Kiske (Unisonic), Oliver Hartmann (auch an der Leadgitarre), Herbie Langhans (Sinbreed) und Amanda Somerville unterstützt. Die musikalische Begleitmannschaft bestand aus den beiden Gitarristen Oliver Hartmann und Sascha Paeth, Keyboarder Michael «Miro» Rodenberg, Edguy-Schlagzeuger Felix Bohnke und Bassist André Neygenfind. Zählt man alle involvierten Personen zusammen, besteht der Tourtross von Avantasia aus dreissig bis vierzig Leuten, die entweder auf, neben oder hinter der Bühne stehen und das Unterfangen zu einem einmaligen Erlebnis machen.

Es ist in der Tat eine unglaubliche Geschichte, die an Edguy, Queen, Meat Loaf und eine rockigere Musicalaufführung erinnert. Bestens ins Szene gesetzt durch einen vorzüglichen Sound und gewaltiges Licht. Die Bühne besteht aus einem Laufsteg, der zwischen Schlagzeug und Keyboard und dem Podest für die Backing-Sänger (Herbie, Amanda) von einer Erhöhung herab führte. Ganz im Glanz des letzten Studioalbums «Ghostlights» gehalten, von welchem auch der Sensenmann mit seiner Laterne als imposantes Backdrop zu sehen ist. Der Abend wurde zu einem «…Win/Win-Spiel. Ihr habt Spass und wir haben Spass», erklärte Tobi dem Publikum. Dass er nicht ein Mann von leeren Versprechungen ist, bewiesen die folgenden 210 Minuten. Gestartet wurde der Abend mit «Mystery Of A Red Rose», das, gefolgt von «Ghostlights», schon den ersten Gastsänger präsentierte. Auch wenn Michi Kiske sicherlich zu den besten Rock-/Metal-Sängern gehört, war er an diesem Abend für mich der schlechteste Shouter, wenn man überhaupt von schlecht sprechen konnte. Da präsentierte sich Ronnie Atkins bei «Invoke The Machine» um einiges agiler, bewegungsfreudiger und mit mehr Spass in den Backen als der ehemalige Helloween-Sänger. Ronnie war an diesem Abend, wie nicht anders zu erwarten war, eine richtige Rampensau. Er bangte, animierte das Publikum und war ständig in Bewegung. Als ob die Bühne ihm gehört und alle anderen blosse Statisten sind, präsentierte sich der Pretty Maids-Mastermind als charismatischer Entertainer. Auf eine andere Art überzeugt Bob Catley mit seinem Charisma. Der legendäre Magnum-Sänger grinste ins Publikum, genoss den Auftritt und zelebrierte mit seinen Händen imaginäre Magier-Rituale, als würde er einen magischen Segen fürs Publikum vorführen. Mit seinem fast 70 Jahren traf er jeden Ton und sang wie ein kleiner Gott. Er war, und dies sei nett und ehrfürchtig gemeint, der alte Mann mit viel Charme und Witz.

«Das Publikum muss man zuerst 15-mal beleidigen, bevor es richtig warm wird», bemerkte Tobi mit einem breiten Grinsen, da er mit den Reaktionen des ausverkauften Z7 noch nicht zufrieden war. «Pratteln! Seid ihr wach? Hände hoch (und alle Hände der Besucher streckten sich in die Höhe) Hier kommt ein Song aus einer Zeit, in der die meisten von euch noch gar nicht gebohrt waren». Und da waren sie wieder, die Sprüche von Tobi, welche die einen zum Lachen und die anderen zum «Kotzen» bringen. Meine Lieben, das ist Entertainment, etwas, das vielen anderen Bands schon lange abhanden gekommen ist und bei einer Sammet-Show einfach dazu gehört. Er ist aber nicht nur ein vorzüglicher Showman, sondern auch ein begnadeter Sänger, sofern ihm nicht gerade ein Hustenanfall einen Strich durch die Rechnung macht und ein weiterer Hammersänger bei «The Scarecrow» den Gesang übernehmen muss. Jørn tat dies mit einer unglaublichen Locker- und Sicherheit. Als Dank wurde Jørn mit den Worten: «…ein Mann, der drei Fässer Bier trinkt und noch immer nicht lallt», begrüsst. Dieser bedankte sich gleich selber mit «Switzerland is beautiful as Norway» bei Tobi und dem Publikum, was dem Skandinavier gleich mal sämtliche Sympathien einbrachte. So wurde Mister Lande mit lauten «Jørn»-Rufen nach seinem ersten Auftritt («The Scarecrow» - «Lucifer») verabschiedet. Mit Oliver Hartmann, der sich als Sänger bei «The Watchmakers' Dream» in den Mittelpunkte stellte, hat Tobi auch eine tollen Leadgitarristen in den Reihen. Dabei teilen sich Oli und der ehemalige Heavens Gate-Gitarrist Sascha Paeth die Solo-Parts und überzeugten von der ersten bis zur letzten Sekunde. Mit Eric Martin, dem Sympathiebolzen von Mr. Big, stürmte ein weiterer Gastsänger die Stage. Wie nicht anders zu erwarten war, verzauberte der Sonnyboy die Anwesenden mit seiner natürlichen und unkomplizierten Art. «What's Left On Me» war dann auch die perfekt auf die Stimme und den Charakter von Eric abgestimmte Ballade. Kein anderer Sänger als Mister Martin hätte diese amerikanische Balladen-Dramatik dermassen ehrlich verkörpern können. Dies war aber bei jedem Song so. Die Lieder passten perfekt zu den jeweiligen Sängern, und dies macht aus einer Avantasia-Show einfach ein ganz spezielles Erlebnis, weil alles sehr authentisch vorgetragen wird. Da passt es auch wie der berühmte Deckel auf den Arsch, wenn sich Tobi eine kleine Auszeit nimmt und «The Wicked Symphony» von Oliver, Jørn, Amanda, Herbie und Eric singen lässt. Und wenn wir dann schon bei Amanda und Herbie sind… Über Amanda noch was zu schreiben, bedeutet Wasser ins Meer zu tragen. Einmal mehr überzeugte sie mit einer unglaublichen Stimme und Präsenz. Hinter der brauchte sich der bis anhin ziemlich unbekannte Herbie Langhans keineswegs zu verstecken. Wer sich schon mal mit der Band Sinbreed auseinander gesetzt hat, weiss, zu was der Shouter in der Lage ist. Dies bewies er beim für ihn eher untypischen «Draconian Love», das sich mehr in der HIM-Ecke wiederfindet. Aber die tiefe Stimme von Herbie überzeugte hier ebenso, wie wenn er richtige geile Screams von sich lässt. Nach diesem Track war dann auch das Publikum aufgewärmt, was Tobi veranlasste zu sagen: «Pratteln, das ist richtig gut, und da nehme ich meine Beleidigungen wieder zurück! Pratteln! Ihr seid ein tolles Publikum, vielen Dank! Wer war damals dabei, als wir den Dezibelmeter auf 160 db brachten?», wollte der Shouter vom Publikum wissen. «Nein, es waren nur 123 (lacht). Meint ihr wir schaffen dies heute nochmals?», animierte der Sänger das Publikum um den Lärmpegel nochmals anzustacheln. «115… Na, ganz knapp 124 aufgeblitzt, das lass ich durchgehen» beglückwünschte Tobi mit einem breiten Grinsen die Leistung des Publikums.

Mit lauten Kiske-Rufen begrüssten die Anwesenden die Bühnenrückkehr von Michael. «Die haben dich nicht vergessen», lobte Tobi seinen Sangespartner, worauf dieser erwiderte: «Das liegt an der Frisur und dass ich zugenommen habe.» Mit «Shelter From The Rain», dem unter die Haut gehenden «The Story Ain't Over», göttlich vorgetragen von Bob und Tobi, der Bandhymne «Avantasia» - «Twisted Mind», erneut ohne Tobi vorgetragen und «Dying For An Angel» verfügte die Show über weitere Highlights. Solche, die von weiteren Sprüchen Tobis unterbrochen wurden. "Wir lieben das Z7, ob dies nun mit Edguy oder Avantasia ist, wir kommen immer wieder gerne ins Z7, und dies liegt nicht nur am tollen Essen und der tollen Bühne, sondern speziell an euch, dem Publikum". Dass es aber überhaupt möglich ist, dass eine Truppe wie Avantasia auf Tour geht, liegt am Dackelblick von Tobi, wie Jørn zu berichten wusste. "Dem kann niemanden widerstehen", verkündete der Norweger mit einem breiten Grinsen. Eine weitere Tour stellte Tobi ganz am Schluss des Konzertes aber in Frage. Nicht in Frage stellen musste man hingegen die Reaktion des Publikums an diesem Abend. "Zwei ausverkaufte Shows. Wir können jetzt eigentlich aufhören und den Rest morgen spielen. Pratteln, morgen werden wir in äh… Pratteln sagen, wie geil es in äh… Pratteln war. Oder, dass das Publikum morgen schlechter war als heute, weil ja einige morgen auch schon wieder hier sein werden. Also, dass es viel besser sein wird als heute." Die Verwirrung war perfekt und der Lacher auf der Seite von Tobi. Mit dem Rausschmeisser «Lost In Space», einem fantastischen Duett zwischen Tobi und Amanda und dem grossen Finale, bei dem sich alle Sänger für «Sign Of The Cross / The Seven Angels» ein letztes Mal auf die Bühne stellten, beendeten Tobi und sein Ensemble einen hammergeilen Abend. Ob es Avantasia nochmals auf der Bühne zu sehen geben wird, wird die Zukunft weisen. Ob ein Abend wie dieser zu toppen sein wird, wage ich zu bezweifeln. Das Schöne daran war, ich war dabei!

Setliste: «Also sprach Zarathustra - (Theme from "2001: A Space Odyssey")» - «Mystery Of A Blood Red Rose» - «Ghostlights (with Michael Kiske)» - «Invoke The Machine (with Ronnie Atkins)» - «Unchain The Light (with Ronnie Atkins and Michael Kiske)» - «A Restless Heart And Obsidian Skies (with Bob Catley)» - «The Great Mystery (with Bob Catley)» - «The Scarecrow (with Jørn Lande)» - «Lucifer (with Jørn Lande)» - «The Watchmakers' Dream (with Oliver Hartmann)» - «What's Left Of Me (with Eric Martin)» - «The Wicked Symphony (with Oliver Hartmann, Jørn Lande, Amanda Somerville, Herbie Langhans and Eric Martin; without Tobias)» - «Draconian Love (with Herbie Langhans)», «Farewell (with Amanda Somerville and Michael Kiske)» - «Stargazers (With Michael Kiske, Jørn Lande, Ronnie Atkins and Oliver Hartmann; without Tobias Sammet)» - «Shelter From The Rain (with Michael Kiske and Bob Catley)» - «The Story Ain't Over (with Bob Catley)» - «Let The Storm Descend Upon You (with Jørn Lande and Ronnie Atkins)», «Promised Land (with Jørn Lande)» - «Prelude» - «Reach Out For The Light (with Michael Kiske)» - «Avantasia (with Michael Kiske)», «Twisted Mind (with Eric Martin and Ronnie Atkins; without Tobias Sammet)» - «Dying For An Angel (with Eric Martin)» - «Lost In Space (with Amanda Somerville)» - «Sign Of The Cross / The Seven Angels (with everyone on stage)».