Studio-Bericht: The Ocean
By El Muerte
2009 hat wie erwartet die Liste der möglichen Gründe zur Abkehr vom herkommlichen Datenträger CD und der damit verbundenden Kunstform erneut um einige zusätzliche Faktoren erweitert. Schuld daran darf meinetwegen viel sein – Gegensteuer wird vielleicht nicht gerade deswegen, aber trotzdem vehement und mit Inbrunst von einer überzeugten und exponentiell dafür eintretenden Schar an Musikern und Künstlern geboten: Denn egal ob die Gründe dafür nun in der Nostalgie oder den Möglichkeiten des Mediums stecken, es geht schlussendlich um Inhalte – Und die werden auch heute noch mit hübscher Regelmässigkeit auf neue Qualitätsstufen gehoben.

Eine Band, oder besser gesagt Formation, die sich diese Aufgabe zum Ziel gesetzt hat, sind The Ocean (Ehemals aus Berlin/England/Restderwelt, heutzutags aber vor allem …/La-Chaux-De-Fonds). Die mittlerweile zu einem festen Kern aus einer Handvoll Musikern zusammengeschrumpfte Truppe um Chefgrübler Robin Staps hat sich aktuell im höchstgelegenen Städtchen Europas zusammengerauft, um den (Oder besser gesagt 'die') Nachfolger des 2007 erschienenen Achtungserfolgs 'Precambrian' einzuspielen. Die Wahl hatte dabei allerdings weniger mit touristischen Attraktionen der 37'000-Seelen Hochburg, als mit der tatsächlichen Mitglieder-Situation von The Ocean zu tun: Vier der aktuell beteiligten Parteien (Gitarrist Jona, Drummer Luc, Bassist Louis und Mischer Julien) kommen alle aus La-Chaux-De-Fonds, plus Julien hat hier unter dem Namen 'Studio Mecanique' sein eigenes Tonstudio aus dem Boden gestampft – Sogar Grund genug, einen Grosstädter wie Herrn Staps in die Wildnis der Schweizer Berge zu locken.

Normalerweise sind Studioaufnahmen eine bierernste Angelegenheit, die finanzielle Situation verbunden mit dem dadurch entstehenden Zeitdruck sorgt bei den meisten Bands für rote Köpfe. Da liegt man klar im Vorteil, wenn der Hausmischer gleich ein eigenes Studio besitzt, wie mir Robin erklärt: «Hier können wir ohne grossen Stress basteln, und das hört man auch raus». Feine Sache also. Aber eine Ladung durchgeknallter junge Ausnahmetalente an den Instrumenten dabei zu haben, hilft sicher auch ein wenig. Ich will das mal kurz an einem praktischen Beispiel erläutern: Abend vorher, Treffpunkt Sommercasino/Basel – Fast die ganze The Ocean-Mannschaft ist versammelt, um sich The Dillinger Escape Plan anzusehen, nur Drummer Luc fehlt. «Macht ja auch Sinn!» sage ich mir, der wird sich wohl ausruhen, immerhin stehen diese Tage die Schlagzeug-Aufnahmen auf dem Plan. «Nö», werde ich gleich darauf von Robin korrigiert, «Der spielt mit einer anderen Band einen Gig». Na dann…

Situations-Wechsel: Wieder der Tag darauf, La-Chaux-De-Fonds, 13h00 Uhr – Luc steht auf der Matte, spielt sich 40 Minuten lang warm, und trommelt darauf in drei Durchgängen einen 8-Minüter ein. «Mit Luc ist es um Längen einfacher, als noch mit dem Vorgänger», kommentiert Robin das Geschehen. «Ihm muss ich nicht alles vorschreiben, sondern gebe im Endeffekt höchstens noch Richtlinien und Vorschläge durch, wenn mal was anders klingen könnte». Und genau das ist auch einer der Gründe, weswegen The Ocean mittlerweile vom weiterverstreuten Kollektiv zu einem festen Kern geschrumpft sind: Musste Staps früher für jede Facette der weitläufigen The Ocean-Alben einen entsprechenden Musiker suchen, so wird anno 2009 dies von einer Handvoll Instrumentalakrobaten locker aus dem Ärmel geschüttelt. «Die neuen Songs werden auch wieder Streicher und dergleichen haben, da greifen wir schon auf weitere Musiker zurück», wird meine entsprechende Frage kommentiert, «Aber die Grundarrangements und die entsprechende Musik kriegen wir mittlerweile zu fünft hin». Und während Robin mir das aktuelle Geschehen darlegt, lungert hinter uns in der etwas eng werdenden Tonregie und der angrenzenden Kaffee-Ecke die Nachwuchselite rum: Während Luc und Julien eine kurze Verschnaufpause hinlegen, begnügt sich Jona damit, für die Kamera Possen zu reissen.

Die Frage nach Robin's Situationsbefinden unter so jungen und talentierten Musikern drängt sich auf, doch ehe ich sie stellen kann, fällt mir auf, dass noch jemand anderes den Raum betreten hat: Loïc Rossetti, seines Zeichens frisch auserkorener Frontmann von The Ocean, Schweizer wie die weiteren fünf Siebtel der Band, diesmal aber aus dem angrenzenden Wallis. Knapp 150 Bewerbungen hatte die Band erhalten, verstreut um den ganzen Globus trudelte das Material rein. «Loïc wurde uns durch Julien empfohlen, der seine andere Band aufgenommen hat», meint Robin. «Nebst dem ganzen Geschreie hat Loïc in erster Linie eine fabelhaft Stimme für die melodischen Sachen, und davon wollten wir diesmal sowieso mehr auf unserer Platte». Oha, sollte man sich Sorgen machen? «Es wird zwei Platten geben, wobei auch diesmal der grösste Unterschied in der Heftigkeit des Materials liegt – Die erste wird etwas flächiger. Louis hat einen Song geschrieben, Jonas auch ein Paar, die sind ziemlich wild…» erklärt Robin.

Der erste Höreindruck bestätigt das auch, obwohl ich nicht weiss, welchen Song ich denn im Endeffekt eigentlich gehört habe - Mir rutschten Definitionen wie etwa 'Nervös', 'Schwer atmend' und 'Intensiv' in Reichweite, das Drumming erinnerte mich spontan etwas an The Mars Volta. Meine Frage wurde von der Runde mit vielsagendem Grinsen aufgenommen, offensichtlich war man sich über Luc's Trommelstil mehr als einig. Und während Robin sich mit Kopfhörer und Laptop bewaffnet ans Umarrangieren eines weiteren Tracks macht, bereitet sich Luc auf einige letze Korrekturen am Song vor - Knapp 70 Minuten später sollte der letzte Take im Kasten sein. «Optimal, ich muss nachher noch was anderes proben gehen» kommentiert der Fellgerber seine Meisterleistung lapidar, während die anwesenden Mitmusiker erneut hämisch grinsen: The Ocean sind anno 2009 um einiges lockerer geworden, so viel steht fest. Nebst der mittlerweile mehr als offensichtlichen musikalischen Brillianz sowie der unbändigenden Experimentierlust der Formation vielleicht ein weiterer entscheidender Faktor, der den Jungs im 2010 den verdienten Schub bringen könnte.

Zum Abschluss meines Besuchs wurde noch mit einige Namen für den Mix der Platte jongliert – Wie sich später jedoch herausstellen sollte, würde die 'Heliocentric' getaufte Scheibe komplett in La-Chaux-De-Fonds veredelt werden, Julien Fehlmann schien auch hier die beste Wahl gewesen zu sein.


HELIOCENTRIC erscheint am 12. April über Metal Blade, die Zwillings-Platte ANTHROPOCENTRIC im Oktober. Die Plattentaufe von HELIOCENTRIC findet am 26. März im Bikini Test in La-Chaux-de-Fonds statt – Während die Band bis anhin in der Standard-Rock'n'Roll-Konfiguration auf die Bühne stieg, werden sie nach dem Release in zwei unterschiedlichen Formationen unterwegs sein: Einmal wie beschrieben traditionell mit zwei Klampfen, Bass, Drums und Vocals, und dann noch als erweiterte Formation inkl. Streicher und Pianist – Die Plattentaufe wird also auch hierfür als Inaugurations-Anlass dienen. Desweiteren wird die ganze Sache noch für einen möglichen DVD-Release aufgenommen, was den Event zusätzlich interessant macht. Wer sich das nicht entgehen lassen will, der sollte sich schleunigst Karten besorgen…