Szene! Das Buch "Julischatten"
07. Juli 2012
By Roger W.
Heavy Metal-Bands werden nur selten in Romanen zitiert. Umso erstaunlicher ist es, dass die Frutiger Medusa’s Child sogar in einer Geschichte mit realem Hintergrund eingeflochten wurden. Das Buch heisst Julischatten und stammt von der Thüringer Schriftstellerin Antje Babendererde.

Es ist in diesem Frühling erschienen. Julischatten handelt von einem jungen deutschen Mädchen, welches wegen Alkoholproblemen von seinen Eltern zu seiner Tante ins Pine Ridge Indianer-Reservat geschickt wird. In dieser Gegend ist der Alkohol vermeintlich verboten. Während ihrer Ankunft lernt das Mädchen nicht nur zwei fesche junge Lakota-Indianer kennen, sondern erlebt die aktuellen täglichen Probleme der amerikanischen Ureinwohner hautnah. Die Musik vom aktuellen Medusas Child Album Damnatio Memoriae helfen ihr dabei nicht nur in Deutschland, sondern ebenfalls während ihre fünf Wochen in Amerika. Metal Factory hat sowohl mit der Autorin Antje Babendererde wie auch mit Medusas‘ Child-Sänger Crow über ihre gemeinsame Zusammenarbeit und über die aktuelle Situation der Indianer gesprochen. Hier findet ihr die dazu gehörige Radio Sendung (gesendet über Radio Kanal K und Rockstation) mit dem Interview, einer Vorlesung und Musik von Saxon, Manowar, Crow’s Fligh und Medusas Child. Am besten hört ihr aber während dem Interview lesen Medusa's Child’s Vierteiler um „Wounded Knee“ und „The Old Man Say“ an.


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Interview mit der Autorin Antje Babendererde:

MF: Antje: Wie bist du auf Medusa's Child aufmerksam geworden?

Antje: Ich glaube das war Anfang Januar 2010. Da hat mir ihr Sänger Crow ins Gästebuch reingeschrieben. Er hatte sich gerade auf seine USA-Reise vorbereitet und ist dabei auf mich und meine Bücher gestossen. Er hat mir ein paar so nette Zeilen geschrieben, und auch gleich noch einen Link zu seinem Songs „Old Man Say“ angehängt. Ich habe mir das dann angehört und es hat mir richtig gut gefallen. Ich habe ihm zurück geschrieben und mich bedankt. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Crow aus Bald-Salzungen stammt. Wir sind also beide Thüringer und unser Herz schlägt für die Ureinwohner Amerikas. Irgendwie haben wir beide versucht mit unserer Kreativität auf die problematische Situation der heutigen Indianer aufmerksam zu machen . Und das verbindet.

MF: Gibt es noch andere Hard Rock und Metalmusik, welche Einfluss auf dieses Buch hatte? Zum Beispiel Blackfire (Indianische Punkband)?

Antje: Die Sache mit der Punkband Blackfire kommt daher, dass die jedes Jahr in Deutschland auf Tournee gehen. Und die sind dann auch immer hier bei mir in der Nähe. Ich habe die Bandmitglieder einmal persönlich kennen gelernt und war derart überrascht wie offen die sind. Es ist meistens nicht ganz so einfach mit den Indianern. Aber die Jungs sind klug und sie setzen sich für ihr Volk ein. Sie polarisieren auch nicht so unter dem Motto „Die Indianer sind bessere Menschen!“ Das machen die nicht. Denn es geht ja wirklich nur gemeinsam und mit viel Verständnis. Und das gefällt mir.

MF: Ich höre daraus, dass viele Indianer so oder so sind?

Antje: Naja. Ich habe es mit meinen Büchern auch nicht ganz einfach. Indianer sind sehr vorsichtig, wenn andere aus anderen Kulturen, oder Weisse überhaupt, über sie schreiben. Aber die Leute von Blackfire waren einfach nur total interessiert und haben dann gesagt: „Oh, sie würden es gerne lesen.“ Sie waren ganz offen und ganz anders als es mir sonst manchmal begegnet ist.

MF: Welche Rolle spielt für dich die Musik von Medusa’s Child in dieser Geschichte?

Antje: Da muss ich jetzt etwas ausholen. Crow war ja 2010 im Indianerland unterwegs und speziell im Pine Rigde-Reservat, in dem auch Julischatten spielt. Während dieser Zeit hatten wir E-Mail Kontakt. Und ich habe dann schon gemerkt, dass er manchmal traurig und enttäuscht war. Er war im März da, und in dieser Zeit ist es dort sehr unwirtlich und die Menschen sind es dann möglicherweise auch. Ich glaube, er musste mit einigen Enttäuschungen kämpfen. Ich habe versucht, ihn ein Bisschen bei der Stange zu halten, um zu verhindern, dass er sich entmutigen liess von dem was er da sieht und erlebt. Seine Reise hat dann Ausdruck in den Texten und der Musik von Damnatio Memoriae gefunden. Ich mag die CD sehr. Als ich dann Julischatten geschrieben habe – das für mich schwierigstes Jugendbuch über die Lakota-Indianer in Pine Ridge Reservat – da hat mich die Musik von Medusa's Child begleitet.

MF: Wieso war gerade Julischatten das schwierigste Buch für dich?

Antje: Ich habe ja bereits einige Bücher geschrieben, die im Pine Ridge-Reservat spielen. Es ist auch das Reservat, in dem ich am häufigsten und am längsten war. Aber 2010 bin ich zwei Monate dort gewesen und habe noch sehr viel mehr erfahren. Ich habe einfach noch tiefer hinein geschaut. Und auf einmal habe auch alles nur noch schwarz gesehen. Julischatten ist ein Jugendbuch. Für mich ist es wichtig, dass ich am Ende eines Buches einen positiven Gedanken oder Ausblick mitgeben kann. Und in dem Moment als ich anfing, das Buch zu schreiben, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich diesen Schluss überhaupt schreiben könnte. Ich hatte dadurch auch eine schwere Schreibblockade. Nach einiger Zeit ging es aber wieder. Es ist ein sehr langes Buch geworden.

MF: Der Roman erzählt ja die heutige Situation, zeigt aber auch, was in der Vergangenheit passiert ist. Wie schlimm ist es denn heute wirklich?

Antje: Also in Pine Ridge ist es wirklich sehr schlimm. Das kann man in Julischatten auch lesen. Ich könnte jetzt darüber einen Roman erzählen, was natürlich nicht geht. Die schlimmsten Probleme kommen im Grunde durch die Perspektivlosigkeit im Reservat zustande. Alkohol und Drogen sollen die Leere in den Herzen der Leute füllen. Aber daran zerbrechen die Familien, Frauen und Kinder sind häuslicher Gewalt ausgesetzt. Das ist etwas, was es früher überhaupt nicht gegeben hat. Das ist etwas, was völlig gegen den Ehrenkodex der Lakota-Indianer geht. Etwas vom schlimmsten in Pine Ridge ist, dass eine immens hohe Kinderselbstmordrate herrscht. Die Kinder sehen, wie ihre Eltern leben und glauben einfach nicht daran, dass es noch anders werden könnte. Wenn man keine Liebe bekommt, kann man auch keine weitergeben. Diese Apathie hat mich sehr erschreckt. Wenn sich die Lakota nicht aus ihrer Opferrolle befreien, dann weiss ich auch nicht, wo ihr Weg hinführen wird. Im Augenblick sieht es so aus, als wäre ihre Zukunft wenig vielversprechend.

MF: Das heisst, anstelle dass sie den Mut hätten aufzustehen und etwas zu ändern, zermürben sie in ihrer Opferrolle?

Antje: Ja, das ist immer noch so. Es gibt ein paar, die versuchen, etwas anderes zu machen. Die werden dann aber wieder vom Rest zurückgezogen. Sie machen sich gegenseitig das Leben schwer.

MF: Julischatten ist ja nicht dein erster Roman, welcher sich mit der aktuellen Situation der Indianer befasst. Was fasziniert dich an diesen Menschen, Orten und Reservaten?

Antje: Ich bin als Kind bereits grosser Indianerfan gewesen. Wir hatten hier im Osten auch unseren Film Indianer, den Gojko Mitic. Damals sah es nicht so aus, als ob ich das Indianerland jemals persönlich bereisen werden könnte. Als ich vor etlichen Jahren dann anfing zu schreiben, habe ich mich wahrscheinlich aus Deutschlands Enge weggeschrieben. Wildnis und Abenteuer – das war schon immer meine Welt. Nach der Wende habe ich mir dann meinen Traum verwirklicht und bin in die USA geflogen. Da hatte ich aber bereits zwei, drei dicke Romane geschrieben - aber natürlich erstmals nur für die Schublade. Auf dieser Reise war ich dann auf der Suche nach den Helden meiner Kindheit und habe sie in ihrer total Problem beladenen Alltag gefunden. Warum es so schwer für sämtliche Indianerstämme ist, dem zu entkommen, das ist eigentlich die grosse Frage, die mich seither antreibt und mich auch immer wieder rüber fliegen lässt. Auf meinen Reisen habe ich aber auch viel Schönes gesehen und eine Menge Gutes erlebt. Zum Beispiel die lebendige Spiritualität, welche die Menschen auffangen kann, wenn sie nur ihre Kraft erkennen und anerkennen. Oder grossartige Gastfreundschaft und auch den herrlichen Humor, den sich die Indianer trotz allen Widrigkeiten bewahrt haben.


Interview mit Crow:

MF: Antje Babendererde sagt, dass da durch deine Reise eine gewisse Verbindung zwischen euch entstanden ist. Siehst du das genau so?


Crow: Das war genauso wie sie es beschrieben hat. Ich war wirklich im Internet auf der Suche nach neuen Ideen. Ich beschäftige mich regelmässig mit der Thematik der Indianer und überhaupt mit Urvölker. Ich bin da über ihre Seite gestolpert und habe gedacht, dass ich mal einen schönen Link liegen lasse und etwas nettes schreibe. Da kam auch prompt eine ganz nette Antwort zurück. Eine riesen lange E-Mail, was typisch für Schriftsteller ist. Es ging dann über zwei Jahre immer so hin und her und plötzlich habe ich eine E-Mail von ihr gekriegt. Darin beschrieb sie, dass sie gerade an einem neuen Buch arbeiten würden. Es ginge da um eine Mädchen, welches auf seinem IPod die ganze Zeit eine bestimmte Band hören würde. Antje fragte mich dann, ob diese Band Medusa's Child sein könnte und ob sie auch Textzeilen verwenden dürfe? Der Grund dafür war, dass sich unser letztes Album mit der Thematik der Indianer im Allgemeinen und dem Wounded Knee im Pine Ridge-Reservat und die jetzige Situation im Speziellen beschäftigt. Das war der Link zu Antje und wieder zurück.

MF: In Julischatten wird zu Beginn diese Einöde des Reservates beschrieben. Ist diese Einöde wirklich so gross?


Crow: Ja, das kannst du eigentlich gar nicht beschreiben – weder in einem Buch noch in einem Hörbuch. Das musst du gesehen haben. Da ist nichts. Da ist einfach eine grosse Wiese. Da stehen Blechhütten drauf – und komischerweise ebenfalls ein nagelneues Casino. Und wenn du dann weiter in ihre Welt eintauchst findest du eine neu gebaute Schule, welche von der Kirche finanziert wurde. Aber grundsätzlich ist es wirklich nicht besonders schön anzusehen. Gerade mit dem ganzen Müll der da rum liegt und den Menschen, die da vor sich hin vegetieren. Das muss man selber gesehen haben um zu begreifen, was aus diesen Menschen geworden ist.

MF: Antje hat gesagt, dass du beim Besuch dieses Pine Ridge Rerervates eine Krise hattest. Warum genau?

Crow: Wie Antje beschäftige ich mich auch seit meiner Kindheit mit den Indianern. Das ging damals ebenfalls über Bücher und übers Fernsehen. Ich war 2010 auch nicht zum ersten Mal dort, sondern habe bereits vorher gezielt Besuche in den Reservaten abgestattet. Und eben dort im Pine Ridge-Reservat habe ich einige Sachen gesehen, mit welchen ich in diesem Ausmass nicht gerechnet hätte. Dinge, welche so konträr sind, dass es einem ziemlich mitnimmt. In der Nähe der ziemlich grossen Stadt Rapid City habe ich von weitem einen ziemlich grossen Laden gesehen, wo man Kopfschmuck und Büffelfälle kaufen konnte. Draussen war eine grosse Indianerstatue. Es sah von aussen aus wie ein Museum. Es stellte sich dann aber heraus dass es eigentlich nur ein riesen grosses Geschäft war, wo man quasi die ganze indianische Kultur kaufen konnte. Kunst für unglaublich viel Geld. Das Zeugs ist brandschwarz teuer. Und komischerweise direkt vor diesem Laden, bevor ich rein ging, sass ein Indianer, der so was von besoffen war, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Der sass davor mit einer Flasche in der Hand. Dieses Bild hat sich bei mir eingeprägt. Dieser Indianer so völlig hoffnungslos betrunken, ein wirklich abhängiger Alkoholiker, und hinter seinem Rücken wird augenscheinlich seine ganze Kultur verkauft. Also praktisch seine Geschichte, was eigentlich seins ist. Und selbst das haben jetzt andere, während er praktisch gar nichts mehr hat. Das war eines von vielen Erlebnissen. Ein anderes war mein Besuch am Wounded Knee, einem historischen Ort, wo du denkst, dass du an diesem Geschichtsträchtigen Ort ein Monument finden würdest. Dann kommst du hin und siehst einen Friedhof mit umgestossenen Grabsteinen und Plastikblumen, mit schrägen Kreuzen drauf und einem völlig heillosem Durcheinander. Das hat mich ziemlich erschüttert.

MF: Wie wird es denn deiner Meinung nach dort weitergehen? Wie lange wird diese Hoffnungslosigkeit noch anhalten?


Crow: Das steht in den Sternen. Die Antje hat es ja bereits gesagt, dass es nicht ganz so rosig aussieht. Wir sind zu weit weg davon, um da irgendwie Einfluss darauf zu haben. Es ist tragisch, aber vielleicht ist es schlicht der Verlauf der Geschichte. Ich weiss es nicht. Ich wünschte, ich könnte voraussagen, dass es positiv wird. Aber das kann niemand. Da haben ja nicht einmal die Indianer selber Einfluss darauf.

MF: Wie stark können da Musik und irgendwelche Bücher helfen, die Situation zu verbessern? Im Buch von Antje merkt man, dass diese Veränderung vor allem in den Köpfen der Leute geschehen muss.


Crow: Ich finde es gut, dass sich Menschen damit beschäftigen und auch darauf hinweisen. Die Beschreibungen in Antjes Bücher basieren ja wirklich auf Tatsachen-Berichte und nicht auf irgendwelchen erfundenen Geschichten. Die Schlacht am Wounded Knee war eigentlich eher ein Massaker. Es war nicht eine Schlacht sondern ein Hinrichten von wehrlosen, unbewaffneten Frauen, Kindern und alten Männern. Es ist wirklich so, dass du nur auf sowas hinweisen kannst, damit viele Menschen damit konfrontiert oder berührt werden. Die einzige Art wie man den Menschen helfen könnte ist nicht durch irgendwelche Kirchenbauten oder durch die Kirche finanzierte Schulen, sondern durch das Schulen der Leute überhaupt. Wissen! Die Menschen brauchen Bildung, damit sie sich selber aus ihrem Elend befreien können. Denen kann niemanden helfen. Das können sie nur selber. Und am besten befreist du dich durch Bildung. Das ist meine Meinung. Man hilft ihnen auch nicht durch irgendwelche Geldspenden, mit denen niemand was anfangen kann. Geldspenden helfen vielleicht ein, zwei Jahre und dann ist es wieder wird für irgendwelche Projekte verballert, welche kein Mensch braucht. Bildung ist das einzige, was den Menschen wirklich helfen könnte.