Szene! Graham Bonnet (Alcatrazz, Rainbow, Impellitteri, MSG)
24. Mai 2018
By: Tinu

«All Night Long», «Since You Been Gone», «Desert Song» oder «Hiroshima Mon Amour» sind nur ein paar Hits, auf welchen der Brite Graham Bonnet mit seiner Stimme glänzte. Der Shouter überzeugte nicht nur mit seinem Gesang, sondern überraschte immer wieder mit seinem Kurzhaarschnitt oder auch seinen bunten Bühnenoutfits. Aktuell sitzt Mister Bonnet nicht nur beim Michael Schenker Fest im Boot, sondern tourt auch mit seiner Soloband durch die Welt. Dies, nachdem er mit seiner Truppe Alcatrazz (Mit Yngwie Malmsteen und Steve Vai), oder Rainbow (Ritchie Blackmore), Impellitteri (mit Chris Impellitteri) und der Michael Schenker Group in den achtziger Jahren für viel Furore sorgte.

"Bei mir begann vieles mit den Bee Gees, die ich bei einem Konzert von ihnen persönlich traf. Dies dank meines Bruders", startet der Shouter das Interview. "Mein Bruder ist mein Idol. Vieles lernte ich durch ihn kennen. Er kommt aus der Rockabilly-Szene, in der ich mich zu Beginn auch aufhielt. Erst durch den Einstieg bei Rainbow lernte ich den Classic- oder Hardrock kennen. Kennst du die Geschichte, wieso ich kurze Haare trage?", fragt mich der sehr relaxte und äusserst freundliche Engländer. "Es störte mich immer, wenn ich im Studio meine Haare wegen des Kopfhörers hinter meine Ohren legen musste. So wurden sie kürzer und kürzer, bis zu meinem bekannten Kurzhaarschnitt, der in der Rockabilly-Szene zum guten Ton gehört", grinst Graham.

"Ich habe doch keine unglaubliche Stimme", lacht Mister Bonnet ins Aufnahmegerät und beantwortet die Frage, wie er sein Instrument fit haltet, folgendermassen: "Ich habe früh gelernt, dass meine Stimme ein Geschenk ist, zu der man eigentlich Sorge tragen muss. Auch wenn ich mich nie einsinge und somit ein bisschen liederlich mit ihr umgehe. Aber irgendwie scheine ich mehr Glück als andere Shouter zu haben, die heute kaum mehr einen Ton treffen, oder sich schon lange aus der Szene verabschiedeten. Eigentlich ist es eine Tragödie, dass ich viele meiner alten Freunde aus dem Musikbusiness nicht mehr treffen kann. Der Tod hat einige geholt und könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich mehr Zeit mit ihnen verbringen wollen. Die Zeit vergeht und mit ihr verändert sich vieles. Weisst du, früher war doch alles viel besser. Die Musik war spannender und aufregender, ja frischer! Heute interessiert mich diese ganze Tanz-Musik nicht. Okay, das ist meine persönliche Meinung, aber was für Emotionen wecken heute neue Tracks, und wie lange bleiben sie im Gedächtnis der Hörer? Das ist doch alles seelenlos, was da fabriziert wird! Es gibt doch nichts Einfacheres, als eine Idee zu einem neuen Lied zu formen", grinst Graham und fährt weiter: "Zuerst bildest du die Bridge, dann den Refrain und drum herum formst du die Strophen. Zusammen mit einem einprägsamen Riff bildest du eine effiziente Nummer. Ich weiss, das hört sich für viele sehr langweilig und altbacken an, aber dieses Rezept funktioniert noch heute. Und aus welcher Zeit stammen die grossen Klassiker? Und nach welchem Strickmuster wurden sie komponiert? Das Business interessiert mich heute nicht mehr. Gibt es denn noch ein Musikgeschäft? Veröffentlichst du heute ein neues Album, wird das von den Wenigsten gekauft. Wenn, dann laden sich die Leute deine Lieder runter und du verdienst überhaupt nichts mehr. Es ist eine Schande, wie man heute mit der Kreativität von Musikern umgeht."

"Das Wichtigste in meinem Leben ist meine Familie. Auch wenn ich kaum ein Privatleben habe, aber es war schon früher wichtig, dass man sich durch ganz normale Dinge wieder erdet. Roger Glover (ehemals Rainbow- und heutiger Deep Purple-Bassist) hat mich nach einem Konzert gefragt: "Weisst du, auf was ich jetzt Lust habe?" Ich setze mich jetzt hin und du entertainst mich, wie die Fans im Publikum", lacht Graham und erinnert sich an seinen alten Bandkumpel. "Es sind diese einfachen Dinge im Leben, welche dir helfen, dich auf den Boden der Realität zurück zu holen. TV zu schauen oder Dinge, wie hier mit dir zu plaudern, einen Kaffee zu trinken und zu erkennen, dass es noch gute Menschen auf diesem Planeten gibt. Ritchie Blackmore verdanke ich nicht nur den Einstieg ins Hardrock-Metier, sondern auch, dass ich plötzlich vor einer sehr grossen Kulisse auftreten konnte. Bei meiner damaligen Band war die Luft raus. The Marbles bestanden aus meinem Cousin Trevor Gordon und mir. Dank Barry, Robin und Maurice Gibb hatten wir Single-Hits. Ritchie holte mich in seine Band, die eine völlig andere Welt für mich war. Ihm habe ich einiges zu verdanken, und auch wenn es nur zu einer Platte reichte («Down To Earth»), lernte ich vieles kennen und ebnete mir die Türe für meine Truppe Alcatrazz. Logisch suchten wir damals eine Kopie von Ritchie", lacht Graham und erzählt weiter: "Mit dem jungen Schweden Yngwie Malmsteen fanden wir auch den geeigneten Gitarristen. Es war unglaublich, was der Typ alles spielen konnte und wir waren sehr beeindruckt. Yngwie verliess uns dann, weil er seine eigene Karriere vorantreiben wollte, was ich absolut verstand. Er mit seinem Talent war prädestiniert dazu, seinen eigenen Weg zu gehen.

Als Ersatz kam Steve Vai, der sich aber nicht sicher war, ob er die Lücke von Yngwie schliessen konnte, da er spielerisch ein völlig anderer Gitarrist ist. Oft mussten wir ihm sagen, dass er einfach sich selber sein soll. Steve verliess uns dann in Richtung David Lee Roth und mit Danny Johnson trat ein weiterer völlig unbekannter Gitarrist bei uns ein", berichtet Graham stolz von der Zeit mit Alcatrazz. "Die Zeit bei MSG und Impellitteri war sehr spannend und wenn ich sehe, wie ich den Weg zurück zu Michael Schenker gefunden habe, schliesst sich der Kreis irgendwie wieder. Es ist eine unglaubliche Erfahrung, heute mit Michael Schenker Fest und Robin McAuley, Gary Barden und Doogie White auf der Bühne zu stehen. Was für einen Spass haben wir zusammen auf der Bühne! Gefällt dir das neue Album «Resurrection»? Meine Güte, Michael ist unglaublich", lacht der Shouter. "An einem Tag schickt er mir zwanzig neue Lieder und am Tag darauf neunzehn weitere. Wo nimmt der Typ bloss seine Kreativität her? Ich sollte mir die Besten aussuchen und ihm sagen, auf welchen ich singen wolle. Bei all den Ideen, vielleicht hätte man am Schluss aber trotzdem ein bisschen mehr an den Tracks arbeiten und ihnen einen Feinschliff verpassen sollen? Trotzdem denke ich, dass «Resurrection» für die Fans ein tolles Album geworden ist", gibt sich der Engländer leicht kritisch dem neusten Studioalbum gegenüber. Mit den Egos der bekannten Gitarren-Virtuosen schien Graham aber nie ein Problem zu haben: "Nein, ich denke bei uns allen stand der Wille tolle Songs zu schreiben und eine noch bessere Performance auf der Bühne abzugeben im Mittelpunkt. Okay, Yngwie war ab und zu ein bisschen überambitioniert, aber ich konnte ihn verstehen. Er wollte mit der Musik seinen Lebensunterhalt verdienen. Der Erfolg gab ihn Recht", grinst Mister Bonnet.


"Du kannst dir nicht vorstellen, wie stolz ich bin, einige der grossen Klassiker eingesungen zu haben, da schliesst sich aber auch der Kreis. Weisst du?! Früher war einiges neu und frisch, vielleicht auch gefährlicher und wilder", grinst mein Gegenüber. "Es war so eine Art Aufbruchstimmung, und die Musik hatte damals noch einen anderen Stellenwert. Noch heute macht es mir grossen Spass diese Hits zu singen, und mit meiner Soloband, in der alle tolle Musiker sind, macht es gleich nochmals mehr Spass, weil sie diese Tracks auch leben und nicht nur runterspielen. Meine Güte Beth (Beth-Ami Heavenstone, der Bassistin, fiel der Unterteil des Wasserkochers runter) mach doch nicht so einen Lärm", lacht Mister Bonnet. "Ich darf das berühmte "F"-Wort in ihrer Nähe nicht aussprechen. Wir sind wie eine grosse Familie, ständig auf Tour und verstehen uns bestens. Auch wenn ich schon wieder Wechsel in der Band hatte", lächelt Graham. "Aber! Das gehört heute einfach dazu. Es ist nicht einfacher geworden, du musst deine Rechnungen bezahlen können, und wenn man ständig aufeinandersitzt, musst du miteinander klar kommen", beendet der Sänger das Interview nicht ohne sich für das Gespräch zu bedanken. "Martin, herzlichen Dank, dass du dir die Zeit für mich genommen hast, es war sehr angenehm mit dir zu plaudern und ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft. Weisst du, genau solche Gespräche entschädigen für vieles, was ansonsten in diesem Business schief läuft".

Der Dank gebührt aber diesem grossartigen Sänger, der viele Höhen, aber auch einige Tiefen in seinem Leben durchschritt und trotzdem sehr bodenständig, ehrlich und auch mit dem nötigen Humor gesegnet ist. Man weiss ja nie, was einem passiert bei einem Interview, wenn man einem Musiker zum ersten Mal gegenüber sitzt. Aber solange sich die Mucker so nett und freundlich präsentieren, darf man zu Recht von einem mehr als nur gelungenen Interview-Einstand sprechen. Ich danke Graham für diese fantastische Erfahrung und das ebensolche Gespräch.