«All Night Long», «Since You Been
Gone», «Desert Song» oder «Hiroshima Mon Amour» sind nur ein paar Hits,
auf welchen der Brite Graham Bonnet mit seiner Stimme glänzte. Der
Shouter überzeugte nicht nur mit seinem Gesang, sondern überraschte
immer wieder mit seinem Kurzhaarschnitt oder auch seinen bunten
Bühnenoutfits. Aktuell sitzt Mister Bonnet nicht nur beim Michael
Schenker Fest im Boot, sondern tourt auch mit seiner Soloband durch die
Welt. Dies, nachdem er mit seiner Truppe Alcatrazz (Mit Yngwie Malmsteen
und Steve Vai), oder Rainbow (Ritchie Blackmore), Impellitteri (mit
Chris Impellitteri) und der Michael Schenker Group in den achtziger
Jahren für viel Furore sorgte.
"Bei mir begann
vieles mit den Bee Gees, die ich bei einem Konzert von ihnen persönlich
traf. Dies dank meines Bruders", startet der Shouter das Interview.
"Mein Bruder ist mein Idol. Vieles lernte ich durch ihn kennen. Er kommt
aus der Rockabilly-Szene, in der ich mich zu Beginn auch aufhielt. Erst
durch den Einstieg bei Rainbow lernte ich den Classic- oder Hardrock
kennen. Kennst du die Geschichte, wieso ich kurze Haare trage?", fragt
mich der sehr relaxte und äusserst freundliche Engländer. "Es störte
mich immer, wenn ich im Studio meine Haare wegen des Kopfhörers hinter
meine Ohren legen musste. So wurden sie kürzer und kürzer, bis zu meinem
bekannten Kurzhaarschnitt, der in der Rockabilly-Szene zum guten Ton
gehört", grinst Graham.
"Ich habe doch keine unglaubliche Stimme",
lacht Mister Bonnet ins Aufnahmegerät und beantwortet die Frage, wie er
sein Instrument fit haltet, folgendermassen: "Ich habe früh gelernt, dass
meine Stimme ein Geschenk ist, zu der man eigentlich Sorge tragen muss.
Auch wenn ich mich nie einsinge und somit ein bisschen liederlich mit
ihr umgehe. Aber irgendwie scheine ich mehr Glück als andere Shouter zu
haben, die heute kaum mehr einen Ton treffen, oder sich schon lange aus
der Szene verabschiedeten. Eigentlich ist es eine Tragödie, dass ich
viele meiner alten Freunde aus dem Musikbusiness nicht mehr treffen
kann. Der Tod hat einige geholt und könnte ich die Zeit zurückdrehen,
würde ich mehr Zeit mit ihnen verbringen wollen. Die Zeit vergeht und
mit ihr verändert sich vieles. Weisst du, früher war doch alles viel
besser. Die Musik war spannender und aufregender, ja frischer! Heute
interessiert mich diese ganze Tanz-Musik nicht. Okay, das ist meine
persönliche Meinung, aber was für Emotionen wecken heute neue Tracks, und
wie lange bleiben sie im Gedächtnis der Hörer? Das ist doch alles
seelenlos, was da fabriziert wird! Es gibt doch nichts Einfacheres, als
eine Idee zu einem neuen Lied zu formen", grinst Graham und fährt
weiter: "Zuerst bildest du die Bridge, dann den Refrain und drum herum
formst du die Strophen. Zusammen mit einem einprägsamen Riff bildest du
eine effiziente Nummer. Ich weiss, das hört sich für viele sehr
langweilig und altbacken an, aber dieses Rezept funktioniert noch heute.
Und aus welcher Zeit stammen die grossen Klassiker? Und nach welchem
Strickmuster wurden sie komponiert? Das Business interessiert mich heute
nicht mehr. Gibt es denn noch ein Musikgeschäft? Veröffentlichst du
heute ein neues Album, wird das von den Wenigsten gekauft. Wenn, dann
laden sich die Leute deine Lieder runter und du verdienst überhaupt
nichts mehr. Es ist eine Schande, wie man heute mit der Kreativität von
Musikern umgeht."
"Das Wichtigste in meinem Leben ist
meine Familie. Auch wenn ich kaum ein Privatleben habe, aber es war
schon früher wichtig, dass man sich durch ganz normale Dinge wieder
erdet. Roger Glover (ehemals Rainbow- und heutiger Deep Purple-Bassist)
hat mich nach einem Konzert gefragt: "Weisst du, auf was ich jetzt Lust
habe?" Ich setze mich jetzt hin und du entertainst mich, wie die Fans im
Publikum", lacht Graham und erinnert sich an seinen alten Bandkumpel.
"Es sind diese einfachen Dinge im Leben, welche dir helfen, dich auf den
Boden der Realität zurück zu holen. TV zu schauen oder Dinge, wie hier
mit dir zu plaudern, einen Kaffee zu trinken und zu erkennen, dass es
noch gute Menschen auf diesem Planeten gibt. Ritchie Blackmore verdanke
ich nicht nur den Einstieg ins Hardrock-Metier, sondern auch, dass ich
plötzlich vor einer sehr grossen Kulisse auftreten konnte. Bei meiner
damaligen Band war die Luft raus. The Marbles bestanden aus meinem Cousin
Trevor Gordon und mir. Dank Barry, Robin und Maurice Gibb hatten wir
Single-Hits. Ritchie holte mich in seine Band, die eine völlig andere
Welt für mich war. Ihm habe ich einiges zu verdanken, und auch wenn es
nur zu einer Platte reichte («Down To Earth»), lernte ich vieles kennen
und ebnete mir die Türe für meine Truppe Alcatrazz. Logisch suchten wir
damals eine Kopie von Ritchie", lacht Graham und erzählt weiter: "Mit
dem jungen Schweden Yngwie Malmsteen fanden wir auch den geeigneten
Gitarristen. Es war unglaublich, was der Typ alles spielen konnte und
wir waren sehr beeindruckt. Yngwie verliess uns dann, weil er seine
eigene Karriere vorantreiben wollte, was ich absolut verstand. Er mit
seinem Talent war prädestiniert dazu, seinen eigenen Weg zu gehen.
Als Ersatz kam Steve Vai, der sich aber nicht sicher war, ob er die
Lücke von Yngwie schliessen konnte, da er spielerisch ein völlig anderer
Gitarrist ist. Oft mussten wir ihm sagen, dass er einfach sich selber
sein soll. Steve verliess uns dann in Richtung David Lee Roth und mit
Danny Johnson trat ein weiterer völlig unbekannter Gitarrist bei uns
ein", berichtet Graham stolz von der Zeit mit Alcatrazz. "Die Zeit bei
MSG und Impellitteri war sehr spannend und wenn ich sehe, wie ich den
Weg zurück zu Michael Schenker gefunden habe, schliesst sich der Kreis
irgendwie wieder. Es ist eine unglaubliche Erfahrung, heute mit Michael
Schenker Fest und Robin McAuley, Gary Barden und Doogie White auf der
Bühne zu stehen. Was für einen Spass haben wir zusammen auf der Bühne!
Gefällt dir das neue Album «Resurrection»? Meine Güte, Michael ist
unglaublich", lacht der Shouter. "An einem Tag schickt er mir zwanzig
neue Lieder und am Tag darauf neunzehn weitere. Wo nimmt der Typ bloss seine
Kreativität her? Ich sollte mir die Besten aussuchen und ihm sagen, auf
welchen ich singen wolle. Bei all den Ideen, vielleicht hätte man am
Schluss aber trotzdem ein bisschen mehr an den Tracks arbeiten und ihnen
einen Feinschliff verpassen sollen? Trotzdem denke ich, dass
«Resurrection» für die Fans ein tolles Album geworden ist", gibt sich
der Engländer leicht kritisch dem neusten Studioalbum gegenüber. Mit den
Egos der bekannten Gitarren-Virtuosen schien Graham aber nie ein Problem
zu haben: "Nein, ich denke bei uns allen stand der Wille tolle Songs zu
schreiben und eine noch bessere Performance auf der Bühne abzugeben im
Mittelpunkt. Okay, Yngwie war ab und zu ein bisschen überambitioniert,
aber ich konnte ihn verstehen. Er wollte mit der Musik seinen
Lebensunterhalt verdienen. Der Erfolg gab ihn Recht", grinst Mister
Bonnet.
"Du kannst dir nicht vorstellen, wie
stolz ich bin, einige der grossen Klassiker eingesungen zu haben, da
schliesst sich aber auch der Kreis. Weisst du?! Früher war einiges neu
und frisch, vielleicht auch gefährlicher und wilder", grinst mein
Gegenüber. "Es war so eine Art Aufbruchstimmung, und die Musik hatte
damals noch einen anderen Stellenwert. Noch heute macht es mir grossen
Spass diese Hits zu singen, und mit meiner Soloband, in der alle tolle
Musiker sind, macht es gleich nochmals mehr Spass, weil sie diese Tracks
auch leben und nicht nur runterspielen. Meine Güte Beth (Beth-Ami
Heavenstone, der Bassistin, fiel der Unterteil des Wasserkochers runter)
mach doch nicht so einen Lärm", lacht Mister Bonnet. "Ich darf das
berühmte "F"-Wort in ihrer Nähe nicht aussprechen. Wir sind wie eine
grosse Familie, ständig auf Tour und verstehen uns bestens. Auch wenn
ich schon wieder Wechsel in der Band hatte", lächelt Graham. "Aber! Das
gehört heute einfach dazu. Es ist nicht einfacher geworden, du musst
deine Rechnungen bezahlen können, und wenn man ständig aufeinandersitzt,
musst du miteinander klar kommen", beendet der Sänger das Interview
nicht ohne sich für das Gespräch zu bedanken. "Martin, herzlichen Dank,
dass du dir die Zeit für mich genommen hast, es war sehr angenehm mit
dir zu plaudern und ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft. Weisst
du, genau solche Gespräche entschädigen für vieles, was ansonsten in
diesem Business schief läuft".
Der Dank gebührt
aber diesem grossartigen Sänger, der viele Höhen, aber auch einige Tiefen in seinem Leben
durchschritt und trotzdem sehr bodenständig, ehrlich und auch mit dem
nötigen Humor gesegnet ist. Man weiss ja nie, was einem passiert bei
einem Interview, wenn man einem Musiker zum ersten Mal gegenüber sitzt.
Aber solange sich die Mucker so nett und freundlich präsentieren, darf
man zu Recht von einem mehr als nur gelungenen Interview-Einstand
sprechen. Ich danke Graham für diese fantastische Erfahrung und das
ebensolche Gespräch.
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