Interview: Unheilig
By Maiya R.B.
Wenn an einem regnerischen Nachmittag das Telefon klingelt und die Stimme am anderen Ende der Leitung sagt "Hallo, hier ist der Graf!", dann geht die Sonne auf! Unheilig feiern riesige Erfolge mit ihrem neuen Album "Grosse Freiheit", welches die Charts unaufhaltsam erobert hat. Jeweils eine goldene Schallplatte in Deutschland und in Österreich sind das Resultat aller Mühen, und es werden sicher weitere Edelmetalle folgen! Metal Factory (MF) hat mit dem Grafen (G) über diesen Erfolg, diverse Rückschläge und grosse Emotionen gesprochen. Was dabei herausgekommen ist, spricht für sich selbst. Danke Graf!

G: Hallo, hier ist der Graf!

MF: Hallo Graf, hier spricht Maiya von Metal Factory! Wie geht es dir denn heute?

G: Danke, mit gehts sehr gut! Ich hab jetzt drei Tage lang Ruhe, da wir den ersten grossen Teil der Tour hinter uns haben. Vorgestern, gestern und heute waren die ersten Tage, wo mal überhaupt nichts los war. Ich bin dann nach Hause gefahren und hab mich mal auf die faule Haut gelegt. Das kann gar nichts schaden und tut echt gut!

MF: Sehr schön! Bevor ich dich nun mit Fragen löchere, möchte ich dir erst mal für das Lied "Spiegelbild" danken. Es hat mir immer sehr geholfen und tut es noch immer.

G: Oh, gerne! Danke DIR! Das tut mir wirklich gut, das zu hören!

MF: Gratuliere zum neuen Album! Wie fühlt man sich, wenn man in seinem Heimatland auf Platz 1 der Albumcharts steht?

G: Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, wie man das erklären könnte, weil ich das gerne auch für mich selbst so erklären möchte, wie ich mich denn jetzt fühle. Im Grunde genommen ist das, wie wenn man Geburtstag hat. Man hat am Abend eine Fete, und alle Leute kommen zu dir, klopfen dir auf die Schulter und gratulieren dir. Und dann fragen sie "Und, wie fühlst du dich?". Im Grunde genommen freut man sich darüber, dass alle gratulieren, aber man fühlt sich so, wie sonst auch. Wie man sich fühlt und an der persönlichen Einstellung hat sich nichts geändert. Das ist einfach ein schönes Gefühl und eine schöne Bestätigung für alle Menschen, die mit mir seit zehn Jahren mit Unheilig zusammen arbeiten.

MF: Wenn es mit der musikalischen Karriere nicht geklappt hätte, dann wärst du Arzt geworden...

G: Stimmt, ich wollte immer irgendwas mit Medizin machen. Ich hab mal eine Ausbildung gemacht als Hörgeräteakustiker, wo ich schon viel mit Menschen zu tun hatte, doch letzten Endes hab ich das gemacht, um eine gewisse Sicherheit zu haben, falls es mit der Musik nicht klappt. Falls es aber nicht mit der Musik geklappt hätte, dann wäre ich wahrscheinlich wirklich Arzt geworden. Lustige Vorstellung jetzt, aber es ist wirklich so!

MF: Das würde doch passen, du siehst sehr seriös aus!

G: (lachend) Danke, aber das liegt am Anzug!

MF: Unheilig unterstützt unter dem Namen "Die Grafschaft" das Projekt "Herzenswünsche e.V." für schwer kranke Kinder und Jugendliche. Das finde ich absolut grossartig! Woher kommt dein soziales Engagement?

G: Ich bin schon als Kind immer so ein Gerechtigkeitsmensch gewesen. Ich bin wirklich einer von den Typen, die jedem Bettler auf der Strasse was geben. Ich kann da nicht einfach vorbeigehen, egal was ist. Ich hab einfach das Bedürfnis, etwas zu geben. Das ist jetzt keine Schleimerei von mir, sondern meine innerste Einstellung. Bei Unheilig ist es so gewesen, dass wir vor zwei Jahren einen Aufruf gemacht haben an die Fans, weil in mir der Gedanke gewachsen ist, eine karitative Organisation zu unterstützen. Wir haben gar nicht gewusst, wo wir anfangen sollen, weil es so viele Einrichtungen gibt. Wir haben dann also die Fans gefragt, wo sie gute Erfahrungen gemacht haben, und so sind wir dann irgendwann auf "Herzenswünsche" gekommen. Ich bin dann dort hingefahren, hab mir das angeguckt und mich mit denen unterhalten. Ich hab mich dann auch entschieden, diese Institution zu unterstützen, aus dem Grunde, weil ich es gut finde, wenn man den schnellen Erfolg sieht. "Herzenswünsche" unterstützt ja Kinder, die im Krankenhaus sind und erfüllt denen ganz normale kleine Herzenwünsche. Das kann ein Hubschrauberflug sein, oder ein Kind will einen Prominenten treffen. Durch die Erfüllung dieser Wünsche soll den Kindern ihr Klinikalltag ein wenig aufgelockert werden. Das hat mich überzeugt, und aus dem Grund haben wir uns auch dafür entschieden. Wir haben auch diese Sache mit dem Benefizkonzert in die Welt gerufen, wo wir auf dem Rhein ein Schiff gemietet haben wo wir ein Konzert drauf machen. Die ganzen Einnahmen von dem Konzert gehen dann an "Herzenswünsche", und das ist auch so der erste Event, den wir für einen guten Zweck gemacht haben. Und das Schöne daran ist, dass alle Fans darauf aufmerksam werden. Ich finde es klasse, wieviel Zuspruch "Herzenswünsche" bekommt. Genau so habe ich mir das vorgstellt. Es ist so ein schönes Gefühl und man kann mit so einfachen Mitteln den Leuten zeigen, wie man helfen kann. Das ist total toll! Es ist so leicht!

MF: Du möchtest auch mit deinen Liedern etwas Positives vermitteln und hast das mal mit den Rocky-Filmen verglichen, bei denen man am Ende des Filmes immer gleich mit dem Trainieren anfangen möchte, weil man dermassen motiviert ist. Als Rocky-Fan halte ich das für einen sehr guten Vergleich. Logischerweise lautet meine nächste Frage: Welchen Teil der Rocky-Reihe magst du am liebsten?

G: Also ich fand den zweiten Teil am schönsten. Da gibts diesen Moment, wo er im Krankenhaus sitzt und sie gerade aus dem Koma wach wird. Er sagt ihr, dass er nicht mehr kämpfen wird, weil sie das nicht mehr will. Und sie sieht ihn an und sagt "Es gibt eine Sache, die du für mich tun kannst - kämpfe!", und dann hört man diese Glocke im Hintergrund. Ich krieg immer Gänsehaut, wenn ich das sehe. Ich hab die Rocky-Filme damals gesehen und habe das als Kind geliebt! In meinem Kinderzimmer hatte ich Poster von den Rocky-Filmen. Diese Lebensweisheit von den Filmen war genauso einfach wie genial: kämpfe, lass dich nicht unterkriegen, steh immer wieder auf und glaub an dich! Diese Lebenseinstellung hat mich einfach angesprochen und diese Filme haben mich immer motiviert, etwas zu tun. Wenn man zum Beispiel ins Fitnesscenter geht und da läuft diese Musik, dann fällt einem das Training viel einfacher. Diese Trainingsszenen bringen einen einfach dazu, aufzustehn und etwas zu ändern, das einen schon immer gestört hat. Und wenn man es geschafft hat, dann fühlt man sich hinterher wie der König auf Erden.

MF: Wo wir gerade von Motivation sprechen. Deiner Meinung nach darf Geld nicht das Motiv sein, um Musik zu machen. Was war deine Motivation? Immerhin hat es bei dir acht Jahre gedauert, bis das Geld floss.

G: Richtig! Wenn man sich von etwas motivieren lässt, das man nur eventuell in ferner Zukunft kriegt, dann übersteht man diese Zeit bis dahin nicht. Es gibt viele künstlerisch begabte Menschen, die stürzen einfach ab, weil sie sich nicht ums Geld kümmern. Es gibt zum Beispiel so viele geniale Handwerker, die bankrott gehen, weil sie es nicht auf die Reihe kriegen, sich auch ums Geld zu kümmern. Ein Musiker, der wirklich von Herzen Musiker ist, dem gehts nur um die Musik. Das mit dem Ruhm ist nur so eine Begleiterscheinung, wo man sich auch freut, wenn es dann soweit ist. Aber letzten Endes würde ein Musiker immer Musik machen, selbt wenn er kein Geld verdient, weil er sonst einfach nicht leben kann. Bei mir ist das so, und es hört sich vielleicht komisch an für jemanden, der gerade selber etwas Künstlerisches macht, aber es ist wirklich so.

MF: Wie so viele andere Musiker warst auch du jahrelang eher einem kleineren Publikum bekannt. Nachdem nun die Single "Geboren um zu Leben" so hoch gechartet hat, wurde dein "Unheiliger Fanclub" aufgelöst. Woran liegt es deiner Meinung nach, dass viele Bands wie z.B. auch Nightwish oder Dimmu Borgir Fans einbüssen, sobald sie einem breiteren Publikum bekannt werden?

G: Hmm, wenn man eine Band gut findet, die nicht jeder gut findet, dann ist das eine Art Geheimtipp. Aber in dem Moment, wo die Band mehr Fans hat und auch mal im Fernsehen oder im Radio gezeigt wird, finden das plötzlich viele blöd. Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen, weil ich mache ja Musik für alle Menschen, und nicht nur für ein paar Ausgesuchte. Und wenn ich irgendwo eingeladen werde, wo man mich hören will, dann ist es mir egal, wo ich eingeladen werde. Die Hauptsache ist, dass es dort Menschen gibt, die meine Musik hören wollen. Ich mache Musik für alle, und ob ich nun bei "The Dome" auftrete, bei Stefan Raab sitze oder ob ich bei "Big Brother" auftrete, das ist mir so egal. Wenn es dort Leute gibt, die die Musik hören wollen, dann spiele ich da. Beim Fanclub ist das was anderes, denn man muss man von vornherein wissen, dass es da auch andere Gründe gab, die da im Hintergrund arbeiteten, aber ich möchte jetzt keine schmutzige Wäsche waschen, weil das für mich abgehakt ist. Als dieser Fanclub geschlossen wurde, hat es gleich vier bis sechs neue Fanclubs gegeben. Im Augenblick existieren ganz viele Fanclubs, die man auch über unsere Homepage erreichen kann. Naja, je berühmter man wird, desto mehr Menschen gibt es, die einen gut oder blöd finden. Dann gehn halt welche, aber dafür gibts wiederum neue Leute, die wieder einen Fanclub machen. Ich halte das für eine normale Entwicklung. Am Anfang hatte ich da schon viele Fragezeichen und wunderte mich darüber, was da passiert, weil das für mich völlig neu war. Für Fans ist es natürlich schöner, wenn man zum Konzert geht, und da stehn nur zweihundert Leute. Dann kann man den Künstler vorher sehn, ihn in den Arm nehmen und sich mit ihm fotografieren lassen. Wenn man als Künstler da oben auf der Bühne steht, dann hat man alle vorher mal gedrückt und persönlich begrüsst. Wenn man als Fan dann plötzlich mit 2000 statt 200 Fans konfrontiert und nicht mehr persönlich begrüsst wird, dann findet man das natürlich nicht mehr gut. Und dann kommt dieses "Früher war alles besser...", weil man sich über seine eigene Anonymität ärgert, da der Künstler sich nicht mehr um jeden einzeln kümmern kann. Das hat sicher eine ganze Menge damit zu tun, dass viele nicht damit klar kommen, den Künstler nicht mehr für sich alleine zu haben. Viele Bands, die später mal berühmter sein werden, werden das auch so wie ich erleben. Da kann man sich noch so anstrengen, es werden immer irgendwelche beleidigt sein, die einen nicht mit anderen teilen wollen. Bei mir fing das damals mit "Puppenspiel" an, wo dann plötzlich eintausend bis zweitausend Leute bei den Konzerten waren. Da fing es schon an, dass viele sagten, es sei nicht mehr so schön wie früher, es sei anders. Klar ist es anders, aber da kann man als Künslter nichts dagegen machen.

MF: Du hast sehr viel Verständnis dafür, alle Achtung!

G: Ich habe mir sehr viel Gedanken darüber gemacht. Ich stelle mir im Grunde immer die Frage, ob der Fehler bei mir liegt. Ob man da irgendwas tun kann, oder ob ich etwas falsch gemacht habe, dass die sich jetzt von mir abwenden. Andererseits denke ich mir und bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich wahrscheinlich genauso reagieren würde. Wenn ich jemanden hätte, der mir ganz viel Aufmerksamkeit schenkt, und plötzlich ändert sich das, weil da noch hunderte anderer Leute dazukommen, dann ist das natürlich nicht mehr so schön. Mache kehren einem dann den Rücken zu, aber es gibt auch viele, die sich darüber freuen, dass man sie auch mit einbezieht.

MF: Du sagst, dass alles was du machst irgendwo autobiografisch ist, auch deine Musik. Ich zitiere dich: "Wenn so ein Album fertig ist, fühle ich mich sauberer und irgendwie leer." Wenn man seine Gedanken und Emotionen in seiner Musik verewigt, kann man dann jemals eine gewisse Distanz zu den persönlichen Tragödien seiner Vergangenheit gewinnen, oder wird man immer wieder davon eingeholt?

G: Das ist wirklich eine sehr gute Frage! Bei mir ist es so, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass es mir hilft, wenn ich das verarbeite. Wenn ich ein Lied darüber schreibe, dann ist es aus mir raus. Zum Beispiel diese persönliche Tragödie hier, wo mein Freund gestorben ist, das konnte ich so verarbeiten, indem ich das Lied "An deiner Seite" geschrieben hab. Das war in dem Moment, wo er noch lebte. Für mich war das eine Art Abschied, den ich selber irgendwie gestalten konnte, und aus dem Grunde fühlte ich mich danach besser. Oder das Lied "Spiegelbild"... ich habe lange über meine Jugend und über meine Kindheit nachgedacht, warum ich so bin wie ich bin. Ich konnte es erst so richtig verarbeiten, als ich dieses Lied darüber geschrieben habe. Ich habe es geschafft, meine ganzen Gedanken und Emotionen in einen Text zu verpacken, der mir dann gezeigt hat, wie ich bin. Das war gut so, und danach fühlte ich mich einfach freier. Aber Erinnerungen sind wichtig, weil man durch sie weiss, wer man heute ist, und woher man kommt. Aus dem Grund tut es mir gut, wenn ich ein Lied darüber schreibe, in dem ich etwas verarbeite, mich dadurch aber trotzdem immer wieder erinnern und empfinden kann.

MF: Du hältst ja auch Filme für gute Empfindungsgeber. Kannst du dir vorstellen, Musik für einen grossen Hollywood-Film zu komponieren?

G: Oooooh ja, das wär ein grosser Traum von mir! Ich bin mit Filmmusik gross geworden und hatte eine Menge Sachen noch auf Schallplatte. Ich hab auch alle Sachen von Rocky noch auf Vinyl, die hab ich mir alle gekauft. Filmmusik von Hans Zimmer oder Ennio Moricone find ich toll! Für mich war es immer ein Traum, selber mal Filmmusik zu machen, die den Zuschauern dieses Filmes dann aich ein gutes Gefühl gibt. Die Chance hat sich bisher noch nicht ergeben, aber das wird sicher irgendwann mal machbar sein.

MF: Und was möchte der Graf beruflich sonst noch alles erreichen?

G: Beruflich, hmm... also eigentlich ist das mit der Musik für mich immer noch eine Art Hobby, daher macht es mir immer noch so viel Spass. Wahrscheinlich würde ich auch nicht so viel Zeit investieren, wenn ich es als reinen Beruf sehen würde. Ich würde gerne was mit einem grossen Orchester machen, aber das ist schweineteuer! Da muss ich erst mal die richtigen Leute haben, die das mit mir organisieren. Das mit dem Orchester ist so eine Sache, die ich mir irgendwann mal vorstellen könnte. Ansonsten will ich einfach nur gesund bleiben und noch laaange Musik machen. Eigentlich würde mir Geundheit und lange Musik machen schon ausreichen. Der Rest wird sich dann schon irgendwie ergeben, oder eben auch nicht.

MF: Den Sommer über spielt ihr ein paar Konzerte. Wie wird der Rest des Sommers bei dir aussehen? Wie sind deine Pläne?

G: Wir sind jetzt noch so zwei, drei Wochen auf Tour. Wir haben die ganzen Autogrammstunden während der Tour abgesagt, weil es einfach zuviel wurde. Dafür haben wir aber vereinbart, dass wir im Sommer eine Meet & Greet-Tour machen, wo wir uns dann vier bis sechs Stunden lang um die Fans kümmern, uns mit ihnen fotografieren lassen, Autogramme geben, und so weiter. Ansonsten freu ich mich auf die Festivals. Danach ist erst mal Erholen angesagt, weil dann auch schon bald die Herbst-Tour beginnt.

MF: Kommen wir zur letzten Frage: Hast du eine Botschaft für deine Schweizer Fans?

G: Ja, die hab ich! Erst mal vielen, vielen lieben Dank für die vielen vergangenen, tollen Konzerte! Danke für die tolle Stimmung, für die Unterstützung, und dass ihr alle da wart! Wir kommen bald wieder, und es wäre schön, wenn wir dann bei den Konzerten zusammen eine schöne, grosse Fete feiern könnten! Vielen Dank, und ich freue mich auf euch!

MF: Ich danke dir für dieses wirklich interessante und nette Interview!

G: Und ich danke dir! Hab noch einen schönen Abend!