Interview: U.D.O.

By Tinu
 
Als Vater sehr stolz auf den Drummer.



Es ist unglaublich, wie stilsicher, hart, dominant und kontinuierlich sich Udo Dirkschneider in den letzten Jahren präsentierte. Seit dem Ausstieg seines langjährigen Weggefährten Stefan Kaufmann (spielte mit ihm schon bei Accept zusammen) und dem Abgang des Schweizers Jgor Gianola hat sich der «German Metal Tank» zwei absolute Granaten an die Gitarrenfront geholt. Mit dem Russen Andrey Smirnov und dem Finnen Kasperi Heikkinen wurde das musikalische Bild wieder mehr in die Anfangstage von U.D.O. gelenkt, als mit Mathias «Don» Dieth ein filigraner Ausnahmekönner die sechs Saiten zupfte. Heute, mit dem internationalen Duo, können auch die damaligen Songs wieder gespielt werden und den Solos wird wieder mehr Bedeutung geschenkt, als dies noch mit der alten Besetzung der Fall war. Das bedeutet nicht, dass Stefan und Jgor schlechte Gitarristen gewesen sind, aber die beiden waren eher für das Rohe und Direkte zuständig, während Andrey und Kasperi auch das Filigrane und Feine beherrschen.

Mit dem neusten Streich «Decadent» ist U.D.O. wieder auf Tour. Eine, welche den Deutschen für längere Zeit auch nach Amerika bringen wird. Es geht einiges im Hause des 63-Jährigen, der noch lange nicht ans Aufhören denkt und seiner Musik wieder vermehrt Platz gibt, zu Lasten der Accept-Songs. Und dies passt bestens zu Udo, der in den vergangenen Jahren (1987 erschien die erste U.D.O.-Scheibe) so viele U.D.O.-Klassiker komponiert hat, dass er locker auf seine Accept-Vergangenheit verzichten kann.

MF: Udo, es hat wieder einen Wechsel in der Band gegeben. Wie kam es dazu, dass Francesco Jovino (Schlagzeug) ausgestiegen ist?

Udo: Was soll ich sagen, es scheint, dass der Mann ein paar private Problemchen hatte. Es kam für mich überraschend und war nicht geplant. Jeder muss selber wissen, was er in seinem Leben machen will. So musste ich leider einen neuen Trommler suchen.

MF: War es schnell klar, dass Sven, dein Sohn, den Platz übernehmen wird?

Udo: Wir haben ganz minimalistisch verkündet, dass wir einen neuen Drummer suchen. Darauf haben sich 300 Leute gemeldet, kein Scheiss! Das war echt der Oberknaller. Ich dachte nur: «Das kann ja nicht wahr sein!». Auf Grund der Bilder haben wir sehr schnell aussortiert (grinst), bei denen, wo man sofort gesehen hatte, das passt überhaupt nicht. Schlussendlich hat sich die Auswahl auf fünf bis sechs Trommler reduziert. Die wurden zu einer Audition eingeladen. Zeitgleich kam die Überlegung… Sven hat uns schon mal bei einer Wacken-Show ausgeholfen und der ausschlaggebende Punkt war, als er für Nigel bei Saxon eingesprungen ist. «Moment mal! Wenn Saxon Sven als Ersatztrommler anheuern, muss da was dran sein». Ich wusste, dass Sven einiges kann und so haben wir mit ihm zusammen geprobt. Da war es dann auch keine Frage mehr, wieso er bei Saxon spielt und nun bei uns als festes neues Bandmitglied ist. «Wieso in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah ist?!?» (lachend).

MF: Wie ist das für dich, dein eigen Fleisch und Blut…

Udo: …ich sag mal so! Ich bin schon ganz schön stolz! Sven macht einen richtig geilen Job (Anmerkung des Schreibers: Was man auf Tour Abend für Abend sehen und hören kann!!!). Auf Tour haben wir jetzt nicht die Vater-Sohn-Beziehung. Sven ist ein Bandmitglied, der keine Extrawurst geschenkt bekommt. Das war von vornherein aber ganz klar! Und da gibt es auch schon Ansagen, wenn was nicht passt.

MF: War es für dich jemals ein Thema, die beiden mittlerweile ehemaligen Accept-Mitglieder Herman Frank (Gitarre) und Stefan Schwarzmann (Schlagzeug) zu U.D.O. zu holen?

Udo: Ne!!! Herman war im Gespräch, bevor Jgor bei U.D.O. Gitarrist wurde. Bei Schwarzmann, da habe ich überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet. Sicherlich hat Stefan lange bei U.D.O. gespielt, aber ich glaube… Ne, das wäre nicht der Richtige gewesen. Für all das, was gerade so bei U.D.O. passiert. Zudem ist es ja allgemein bekannt, dass Herman und Stefan bei Accept gefeuert wurden. Oh Wunder (lachend)!

MF: Beim letzten Interview hast du gesagt, dass du es kaum erwarten kannst, mit diesem Line-Up ins Studio gehen zu können. Wie war es nun für dich zum ersten Mal mit Kasperi und Andrey im Aufnahmetempel zu stehen?

Udo: Das war so, wie ich es mir gewünscht habe! Seit Langem haben wir wieder als Band komponiert und nicht, wie es ewig der Fall war, dass nur Stefan Kaufmann und ich als Duo zusammen die neuen Lieder schrieben. Oder bei «Steelhammer» aus zwingenden Gründen, alles nur mit Fitty (Wienhold, Bassist bei U.D.O.) komponiert wurde. Das war bei «Decadent» eine sehr angenehme, gemeinschaftliche Arbeit, die wir da abgeliefert haben. Klar, der eine mal ein bisschen mehr oder der andere mal ein bisschen weniger. Aber im grossen Ganzen war es eine Gemeinschaftsproduktion, bis auf die Texte. Das ist ein Band-Album und alles hat gerade erst angefangen! Das ist noch einiges, wie man so schön sagt, in der Tasche.

MF: Was hat sich für dich denn bei «Decadent» zu den anderen Alben geändert?

Udo: Jetzt kommt die blöde Antwort: «Neue Songs» (fieses Lachen)! Bei «Steelhammer» wurden die ganzen Gitarrenparts von Andrey eingespielt und bei «Decadent» war Kasperi auch mit an Bord. Das Schöne daran ist, dass es überhaupt keine Ego-Probleme gab, sondern die Einsicht: «Spiel du mal, das kannst du besser als ich». Das war eine Gemeinschaftsarbeit, die ich in der Form immer gesucht habe. Das hat ja selbst bei Accept nicht stattgefunden (Räuspert sich und lacht). Am Anfang haben sich Andrey und Kasperi beschnuppert. Es war ein Suchen und Finden. Kasperi ist eher der Techniker und Andrey ist eher der Gefühlsmensch. Daraus entstehen interessante Dinge. Ich glaube, das Endresultat ist gut gelungen und kann sich hören lassen?

MF: Absolut! Wie kam es zum Albumtitel «Decadent»?

Udo: Ach Gott ja, «Decadent». Das war zuerst gar nicht geplant, das Album so zu nennen. Ich sass zu Hause vor dem Fernseher und da lief eine Werbung von «Save The Children». Hungernde Kinder in Afrika. Dabei ist mir der ganze Text zu «Decadent» eingefallen. «In was für einer dekadenten Welt leben wir eigentlich?» So haben sich auch andere Texte ergeben, wie zum Beispiel «House Of Fake». Der Text dreht sich um Politiker, die Vieles erzählen und dann nix machen. «Pain» handelt von den täglichen News, die mehr Horrorfilm sind, als was anderes. «Rebels Of The Night»… Die Idee zu diesem Titel trug ich schon lange in mir rum und entstand, als wir in der Ukraine unterwegs waren. Zudem sind zwei persönliche Lieder zu hören, da verarbeite ich private Themen. Nicht meine musikalische Vergangenheit (grinst)! Bei «Under Your Skin» kann man viele Leute damit meinen, um das mal so auszudrücken (grinst). «Untouchable» handelt davon, dass wir uns nicht vorschreiben lassen, was wir zu tun haben, sondern in der Beziehung unantastbar sind und machen, was wir wollen. «Meaning Of Life» beschreibt, dass man immer nach vorne und nicht nach hinten kucken soll. Das alles sind Themen, die wir unter dem Oberbegriff "Dekadent" aufs Album stellten. Und weil grundsätzlich alles irgendwie dekadent ist, haben wir uns für diesen Titel entschieden. Zum Titelsong ist ein sehr extremes Video entstanden, aber da es nur das beinhaltet, was ich tagtäglich im TV sehen kann, ist es auch nicht unbedingt was Neues und Schockierendes. Über das Cover kann man sich streiten. Die einen sagen toll, die anderen furchtbar. Schaut man genauer hin und nimmt den Text von «Decadent», dann passt das Bild bestens. Man muss ja nicht immer jedem alles recht machen.

MF: Ist «Decadent» das Album geworden, das du schon immer zusammen mit U.D.O. schreiben wolltest?

Udo: Das kann ich so nicht sagen. Wenn ich ins Studio gehe, denke ich grundsätzlich nie darüber nach, was dabei heraus kommen soll. Da gibt es keinen Masterplan, der nach «Animal House» oder «Faceless World» klingen soll. Das Ziel ist es: «NEU!». Gute Songs und gute Melodien. Dabei setze ich mich nicht hin und schreibe bewusst eine Ballade.

MF: Die letzten Produktionen («Rev-Raptor», «Dominator») von Stefan Kaufmann haben dir persönlich nicht mehr so gut gefallen. Trotzdem hast du mit dem Titelsong des neuen Albums und «Mystery» Lieder, die mit einem ähnlich klinischen Sound daher kommen.

Udo: Das würde ich so jetzt nicht sagen. Klinisch kann das nicht sein, da wir nicht mit Computern gearbeitet haben. Das wurde alles eingespielt. Es klingt sicherlich ein bisschen maschinenmässig. «Decadent» ist sehr präzise gespielt. «Mystery» war so nicht geplant und klingt ein bisschen abgedreht. Der Track war so abgedreht, dass wir den einfach so machen wollten (lacht). Nach langer Zeit habe ich Keyboard gespielt (räuspert sich), in Anführungszeichen. Das Endprodukt hat sich aber noch mehr zu einem erdigeren Sound zurück entwickelt. Da hat auch Jacob Hansen einen grossen Anteil, der das Album gemastert hat. Das war eine sehr interessante Erfahrung mit ihm zusammen zu arbeiten. Der jagt die ganzen Lieder durch ein analoges Gerät. Das ist sehr interessant, daraus ergeben sich neue Elemente und dadurch hat das neue Werk auch eine gewisse Wärme erhalten. In dieser Richtung werden wir mit Sicherheit weiter arbeiten. Ich habe mich mit Stefan Kaufmann getroffen und glaube, dass er selber weiss… Das behaupte ich und dazu kennen ich ihn auch zu lange und zu gut, dass er mit seinen Produktionen bei U.D.O. in eine verkehrte Richtung marschierte. Das hat nichts mit seinen Kompositionen zu tun… Teilweise ja…

MF: …der Sound…

Udo: …ja, der Sound ging in eine Richtung… Da hat sich Stefan auch ein bisschen verrannt. Er hat die beiden Alben gehört, die ich ohne ihn fabrizierte. Da weiss er schon, dass das was er am Ende ablieferte, nicht so toll war. Kompositorisch möchte ich nichts auf Stefan kommen lassen. Er ist ein hervorragender Komponist. Darum will ich nicht abstreiten, dass er durchaus wiedermal als Songschreiber bei U.D.O. in Erscheinung treten wird. Wir sind so verblieben… Wenn er eine gute Idee hat… Da würde ich selbst einen Song von Heino mit aufs Album nehmen. Das ist mir egal! Nach langer, langer Zeit hatten Stefan und ich ein tolles Gespräch.

MF: Absolut, er hat tolle Songs geschrieben, aber ab «Mastercutor»…

Udo: …das wurde alles zu kalt. Kühlschrank! Schon bei «Rev-Raptor» habe ich zu ihm gesagt: «Stefan, das geht so nicht».

MF: «Decadent» weisst hohe Chartplatzierungen auf. Wie wichtig sind die für dich?

Udo: Wir wurden sehr schnell mit Accept verglichen, die mit dem letzten Album auf Platz Eins standen. Meine Güte, die veröffentlichten im August, als es kaum andere Releases gab. Das war ein cleverer Schachzug der Plattenfirma. Ich bin ja auch nicht seit gestern im Business und weiss, wie der Hase läuft (lachend). Chartplatzierungen sind schön, hat Accept aber auch keine vollen Hallen gebracht, so dass sie plötzlich nur noch in 3000er Hallen spielten. Pressemässig kann man was Schönes daraus basteln. Sollte U.D.O. nur noch auf Platz 95 einsteigen, dann würde ich mir schon Gedanken machen. Ist man aber in den Top-20, ist alles wunderbar (Fitty betritt den Raum)! Schau mal wer da ist!

Fitty: Ach mein Gott, der Martin, wie geht's dir? Ich muss mal meine Unterhosen ablegen, hab sie gerade frisch gewaschen.

MF: Wo würdest du selber «Decadent» in der Historie von U.D.O. einreihen?

Udo: Ach Gott, das ist schwierig. Jedes Album ist anders (lacht). Die Basics sind immer gleich und werden wahrscheinlich auch immer gleich bleiben. Das ist wie bei einer Torte. Der Boden ist immer aus demselben Material, aber die Garnierung ändert sich. Wo kann ich diese Platte einordnen? Ich glaube, es ist ein sehr melodiöses Album geworden. Zugleich aber auch hart. Das ist schwierig zu sagen. Da sind viele Komponenten zusammen gekommen, durch die beiden Gitarristen und durch Gesänge, die ich früher so nie gemacht habe. Das kommt auch immer auf die Kompositionen an. Es hat alles gepasst und es ist eine Weiterentwicklung.

MF: Du hast auf der letzten Tour endlich das umgesetzt, was du schon lange machen wolltest. Nämlich möglichst wenig Accept-Lieder zu spielen…

Udo: …jaja! Es sind aber immer noch drei (leicht gequält!)

MF: Immer noch zu viel?

Udo: Das ist so eine Sache! Wir waren kurz davor, die Accept-Tracks wegzulassen. Ich glaube aber, dass man dann dem Publikum nicht gerecht wird. Dieses will diese Songs hören. Was spielen wir auf dieser Tour? «Balls To The Wall», «Princess Of The Dawn» anstelle von «Metal Heart» und «Fast As A Shark». «I'm A Rebel» ist für mich kein Accept-Song (wurde nicht von Accept geschrieben). Den spielen wir, wenn wir Lust haben. Schon auf der «Steelhammer»-Tour stellten wir den Set komplett um. Das haben wir zu dieser Tour nochmals gemacht. Zum ersten Mal bauten wir ein Akustik-Set ein. Das war zu Beginn vielleicht ein Wagnis damit, denn das hat es bei U.D.O. noch nie gegeben. Die Fans akzeptieren dies aber und das ist sehr gut angekommen. Das zeigt mir, dass man mit U.D.O. noch mehr machen kann. Der Keyboarder ist nochmals wichtiger geworden. Harrison Young habe ich bei Doro geklaut. Da war sie nicht unbedingt so glücklich darüber, aber egal (grinst). Das ist ein hervorragender Musiker. Der kann neben den Keyboards, Gitarre spielen und singen. Den sehe ich im Augenblick schon etwas fester bei U.D.O., vielleicht sogar was die Kompositionen angeht. Das wird sich alles entwickeln und dabei ist noch viel Luft nach oben. Dann ist noch Sven, der irgendwann auch ein Mikrofon umgehängt bekommt, damit er singen kann. Songs schreiben kann mein Sohn auch… Keine Ahnung, was noch alles passiert, aber es sind viele Möglichkeiten offen und das ist wunderbar! So kommt nix ins Stocken und man kann neue Dinge ausprobieren. Das heisst nicht, dass wir mit Tangomusik durchstarten!

MF: Auf der letzten Tour ist mir auch aufgefallen, dass ihr mit «Metal Heart» einen Accept-Song gespielt habt, den ich live vorher nie in einer solchen Perfektion gehört habe. Nicht einmal von Accept.

Udo: Das hängt dann wahrscheinlich auch (lachend) mit den Gitarristen zusammen. Der Andrey macht folgendes. Er spielt die ganzen Accept-Solos. Dabei hält er sich ziemlich an die Grundmelodie, baut aber immer noch sein eigenes Ding ein, was er verdammt gut macht. Wir proben gerade eine «Metal Heart»-Version, die mit dem Klavier beginnt. Da folgen noch ein paar zusätzliche Überraschungen, und das alles macht einfach sehr viel Spass.

MF: Kannst du und willst du diesen Accept-Schatten jemals loswerden?

Udo: Der wird mich wahrscheinlich immer verfolgen. Das wäre auch blöd, wenn ich sage, damit habe ich nichts mehr zu tun. Das gehört zu meiner Historie! Ich habe kein Problem damit, diese Nummern zu spielen, aber irgendwann wird es einen reinen U.D.O.-Set geben. Mittlerweile glaube ich, dass wir selber genügend Material haben, um einen Set zu füllen. Es wird immer schwieriger, und es ist ein Albtraum, eine Setliste zu kreieren. Dabei kannst du nicht jeden zufriedenstellen.

MF: Was ist mit deinem Buch, das du veröffentlichen willst?

Udo: Ach Gott! WANN??? Im Augenblick stockt die ganze Geschichte, weil momentan… Ich muss mir gleich die Aufnahmen mit dem Marine-Orchester anhören. Diese sollen im Juli dieses Jahr veröffentlicht werden, das war eine Höllenarbeit. Für das letzte Studioalbum haben wir uns sehr viel Zeit genommen. Dazwischen bleibt kaum Luft. In den paar Tagen, in denen nichts läuft… Wir sind bis Ende Jahr komplett ausgebucht und so geht es weiter bis 2016. Bist du dann mal zwei Wochen zu Hause, hast du keinen Bock, dich hinzusetzen und noch ein Buch zu schreiben. Das wird mit Sicherheit kommen, aber gut Ding will Weile haben. Uns wird nicht langweilig und wir sind rund um die Uhr beschäftigt.

MF: Dann sage ich besten Dank fürs Interview, weiterhin alles Gute und ich bin gespannt, was noch alles aus dem Hause U.D.O. kommt!

Udo: Kein Problem! Danke dir für die Zeit, die du dir immer nimmst!