Interview: Sodom

By Tinu
 
Unbeabsichtigt in den Charts gelandet.



Tom Angelripper ist weitaus mehr als bloss Onkel Tom, der besoffen auf der Bühne steht. Hinter Tom steckt mehr, als man auf den ersten Augenblick erwartet. Der singende Bassist macht sich bedeutend mehr Gedanken über die Welt um ihn herum, als mancher anderer. Seit über 35 Jahren lärmt der Deutsche und konnte dabei mit «Agent Orange» unerwartete Erfolge feiern. Bis heute gehören Sodom zu den Aushängeschildern des deutschen Thrash und bilden die Speerspitze, zusammen mit Destruction und Kreator. Während andere Musiker völlig auf die Karte Musik setzen, gibt es für Tom aber auch andere Dinge die ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger sind. Was das ist, erklärt der sympathische Bassist im folgenden Interview, neben vielen anderen Dingen.

MF: Wie kam es zu deinem Namen Angelripper?

Tom: Zu der Zeit war das eine Modeerscheinung, sich besondere Namen für die Bandmitglieder auszudenken. Witchhunter, unser Trommler, kam irgendwann mit dem Namen Angelripper auf mich zu. Da steckt aber keine besondere Story dahinter.

MF: Nach 35 Jahren Sodom, welches Fazit ziehst du über die letzten Jahre?

Tom: Ich bin froh, dass wir noch immer dabei sind. Durch unsere Originalität geben uns die Leute noch immer eine Chance. Da bin ich sehr stolz darauf. Wir wollen aber noch einige Jahre weiter machen.

MF: Mit «Agent Orange» kam bei euch der grosse Durchbruch. Kam dies für dich völlig überraschend?

Tom: Diese Chartplatzierungen kamen völlig überraschend und wir haben auch nicht bewusst darauf hingearbeitet. Das hat uns ebenso wenig interessiert, wie die Verkaufszahlen. Irgendwann kam unser Manager und meinte, dass wir in den Charts auf Platz 34 stehen. Das konnten wir gar nicht glauben. Wir merkten aber, dass «Agent Orange» ein Album war, das viele Leute angesprochen hat und die musikalische Ausrichtung vernünftig war. Aus Chartsplatzierungen mache ich mir aber überhaupt nichts. Der Druck fürs Folgealbum… Wir hatten schon einen gewissen Druck von der «Persecution Mania» zu «Agent Orange». Als dann Frank Blackfire, unser Gitarrist, die Band noch 1990 nach «Agent Orange» verliess, wurde es für die Plattenfirma nochmals schwieriger. Auf das alles haben wir geschissen und uns auch nie reinreden lassen, wie und was wir zu machen haben. Ein Nachfolgealbum zu «Agent Orange» konnten wir nicht machen. Schon gar nicht mit einem neuen Gitarristen. So sind wir mit «Better Off Dead» in eine ganz andere Richtung gegangen. So ein Erfolgsalbum kannst du nur einmal machen und schon gar nicht ein zweites Mal erzwingen. Das war uns alles scheissegal. «Better Off Dead» ist auch gut gelaufen. Vielleicht nicht so gut wie «Agent Orange», aber diese Scheibe gehört zu unserer Historie und hat uns die Möglichkeit gegeben, noch mehr Konzertangebot anzunehmen. Und ein bisschen mehr Geld zu verdienen.

MF: Gab es mit diesem Erfolg auch Neid von anderen Bands?

Tom: Na klar… Kreator waren zu dem Moment nicht in den Charts. Kann schon sein, dass Neid da war, das hat uns aber nicht interessiert und war uns scheissegal. Jede Band macht ihr eigenes Ding. Dass «Agent Orange» in die Charts eingestiegen ist, war mehr oder weniger auch ein Zufallsprodukt. Wenn man unverblümt ran geht, werden solche Sachen sehr geil. So einen Erfolg kann man nicht erzwingen. Heute schon gar nicht mehr.

MF: Zwischen «Tapping The Vein» und «Masquerade In Blood» hatte ich das Gefühl, dass ihr euch musikalisch gesucht habt…

Tom: …«Tapping The Vein» ist für mich ein grandioses Album. «Get What You Deserve», das Album das zwischen diesen beiden lag, fand ich exzellent. Unser Anspruch war, Musik zu machen, die völlig unkommerziell ist. Jenseits von anderen Grenzen, wie man ein Album im Studio aufnimmt. Da wurde die ganze Scheibe live eingespielt. Die Platte kam bei vielen Leuten nicht gut an, und mit «Get What You Deserve» haben wir wahrscheinlich unsere härteste Platte aufgenommen. Die Idee fand ich gut. Wir wollten uns nicht an die Normen anpassen, wie man normalerweise im Studio arbeitet, sondern unseren Emotionen freien Lauf lassen und das machen, auf das wir Bock hatten. Bass links und Gitarre rechts aufnehmen oder umgekehrt. Das entsprach überhaupt nicht den gängigen Produktionsschemen. Das Album ist was Besonderes. In der kompletten Diskographie ist «Get What You Deserve» etwas völlig Spezielles. Damals haben wir bei jeder Probe einen neuen Titel mit Text geschrieben. Das war der Wahnsinn.

MF: Wie wichtig waren für die jeweiligen Produktionen die Gitarristen fürs Songwriting?

Tom: Ich selber bin kein Gitarrist. Wir gehen in den Proberaum und proben. Da hat Bernemann oder damals Andy Brings eine Idee und nach und nach kommen Bass und Schlagzeug dazu. Viele Truppen proben nicht mehr, sondern schicken sich nur noch Files zu. Der Gitarrist lebt in London und der Trommler in Los Angeles. Das ist doch keine Band mehr! Wir treffen uns regelmässig im Proberaum. Es kann auch sein, dass sich der Gitarrist meinen Text durchliest und darauf ein Riff oder eine Melodie baut. Wir sind da sehr oldschool geblieben.

MF: Du hast gerade Bernemann erwähnt. Es gab eine Zeit, da hat sich das Bandkarussell stetig gedreht. Wie war es für dich, plötzlich mit Bernemann und Bobby zusammen längere Zeit im gleichen Line-Up zu spielen?

Tom: Wir haben super miteinander harmoniert. Bobby ist ein toller Trommler, keine Frage! Ich würde nie eine Band auseinander reissen. Wenn ich einen aus der Band schmeisse, wie Bobby oder damals den Andy Brings, bedeutet dies für mich sehr viel Arbeit und ich muss mit den neuen Leuten wieder von vorne anfangen. Songs proben, den Live-Set einstudieren. Manchmal gehts in einer bestehenden Konstellation nicht mehr weiter. Das ist wie in einer Ehe. Es gibt Ehepartner, die leben fünfzig Jahre zusammen und lassen sich plötzlich scheiden. Aber nie ohne Grund. Nie aus einer Laune heraus. Zwischen Bobby und mir waren die persönlichen Probleme zu arg. Hätten wir weiter zusammengespielt, hätten wir keinen Spass mehr zusammen gehabt. Eine Trennung ist immer schade, aber es gibt kaum eine Band, die seit vierzig Jahren im Original-Line-Up heute noch Musik macht.

MF: Was ist heute noch die Motivation, neue Songs zu schreiben?

Tom: Unabhängig des Geldes, schreibe ich immer neue Lieder. Zum Glück verkaufen wir immer noch gut Platten. Das ist nicht eine Sache des Geldes, sondern wir sind Musiker und wollen immer wieder neue Songs schreiben. Schon jetzt haben wir wieder neue Ideen, die wir zu neuem Material verarbeiten wollen. Wir müssen aber warten, dass die Plattenfirma eine weitere Option für die Veröffentlichung eines neuen Albums ausspricht. Wir sind gut vorbereitet und ich habe schon einige neue Texte geschrieben. Was momentan auf der Erde abgeht, wird immer schlimmer. Das inspiriert mich immer mehr, noch bessere und intensivere Lyrics zu schreiben.

MF: Du hast gerade die Texte angesprochen. Politik, Kriege und Religion sind deine Lieblingsthemen…

Tom: …mach den Fernseher an und du hast genug Inspirationen für neue Texte. Man denkt ja immer, dass es nicht mehr schlimmer werden kann. Aber es wird noch schlimmer. Zuerst war es Paris, dann Berlin, wenn triffst als nächstes? Das sind Dinge, die mich bewegen und die ich mir notiere. So schlimm alles ist… Aber an Inspirationen fehlt es mir nicht. Ich kann nur den Kopf schütteln, wenn ich wieder lese, was Neues passiert ist. Wo soll das noch hinführen? Vielleicht werde ich dies alles nicht mehr erleben, aber was ist in zwanzig bis zwanzig Jahren? Da mache ich mir sehr intensive Gedanken darüber. Ich notiere mir Sachen, die mir gegen den Strich gehen. Dinge, die falsch laufen und die muss man als Metal-Band rüber bringen. Das sind keine Fantasy-Texte.

MF: Wie schnell wird man bei solchen Texten falsch verstanden?

Tom: Meine Texte versteht sowieso keiner (grinst). Ich kann Vieles erklären, aber man wird nie eine politische Richtung bei mir erkennen. Ich will Frieden haben und dabei überall auf der Welt meine Musik spielen können. Wahrscheinlich treten wir in zwei Monaten (März 2017) in der Türkei auf. Ich bin jetzt aber schon am zweifeln, ob das überhaupt klappen wird und ich mich dahin begeben kann. Verstehst du mich? Da ist alles zu gefährlich. Wenn eine deutsche Band dort spielt, bist du für die Terroristen ein perfektes Anschlagsziel. Das tut mir dann weh, wenn ich deswegen zu Hause bleiben muss und aus Angst nicht dahin fahren kann. Normalerweise haben wir keine Angst, aber unsere Frauen und die Kinder machen sich Sorgen. Es wäre schade, wenn wir in der Türkei, wo wir viele Fans haben, nicht spielen könnten. Oder in anderen Ländern. Das hat sich schwer geändert. Früher konnten wir überall auftreten. Wir erkundigen uns beim auswärtigen Amt und wenn die uns raten, besser zu Hause zu bleiben… Es gibt einfach Pflaster, wo es besonders gefährlich ist.

MF: Wie kams dazu, dass du auch deutsche Texte komponiert hast?

Tom: Mit «Ausgebombt» hat bei uns alles angefangen. Deutsch ist sehr schwer zu singen, und da muss ich eine zündende Idee haben. Auch wenn es mir oftmals gelingt was Gutes zu fabrizieren, ist es nicht so einfach. Sollte ich beim nächsten Album eine gute Idee haben, klar gerne, aber ich setze mich jetzt nicht hin und will auf Teufel komm raus etwas Deutsches schreiben. Das geht in die Hose.

MF: Ihr seid mit Roberto Blanco in Wacken aufgetreten, wie kams dazu?

Tom: Die Werbeagentur suchte eine Truppe, die Bock darauf hatte das zu machen. Viele Bands die angefragt wurden, hatten gar keine Lust. Wir haben den Typen kennengelernt. Roberto ist mehr Rock'n'Roll als wir alle zusammen! Auf seine Art und Weise ist er eine Lichtgestalt. Das haben uns viele übel genommen, dass wir mit ihm zusammen aufgetreten sind. Mein Gott! Es war geplant zusammen ein Album zu machen, aber ich habe alles gecancelt. Man darf so etwas nicht überstrapazieren.

MF: Was war für dich früher wichtig, und was ist es heute?

Tom: Ich bin Musiker, aber für mich sind die Familie und die Freunde ebenso wichtig. Es gibt viele Mucker, welche die alten Seilschaften einfach vergessen. Ich versuche immer am Wochenende meine alten Kumpels zu treffen und mit ihnen ein Bierchen trinken zu gehen. Die Mucke ist und kann nicht alles sein. Man kann sein ganzes Leben nicht nur auf die Musik auslegen. Klar, das ist unser Job und unsere Leidenschaft, aber es gibt nebenbei noch viele Dinge, die man nicht vernachlässigen darf. Hey, ich kann acht Wochen in den USA auf Tour gehen und dann gleich vier Wochen in Südamerika spielen. Ja… Das muss ja nicht sein. Ich bin auch sehr gerne zu Hause. Bin Jäger und gerne in meinem Jagdrevier. Man muss das Leben auch mal geniessen können und weniger tun.

MF: Wie war es damals, als du zum ersten Mal eine Scheibe von Sodom in deinen Händen gehalten hast?

T
om: Das war die erste Mini-LP, die «In The Sign Of Evil» (grinst). Als ich die ersten paar Exemplare in den Händen hielt… Das war total geil! Da lag eine Scheibe in meinen Fingern, mit meinem Logo und meinem Namen drauf. Ein unbeschreibliches Gefühl. Zu der Zeit war ich in der Bundeswehr und habe meine Platte direkt mitgenommen. In der Küche haben wir uns versammelt und gemeinsam die Scheibe angehört. Dreissig bis vierzig Soldaten von meiner Kompanie. Da war schon geil, ein erhabenes Gefühl, das werde ich nie vergessen. Da ich selber eine grosse Plattensammlung hatte, stand da plötzlich noch ein Album bei all den andern mit meinem Foto und meinem Namen drauf. Unglaublich! Das war der Wahnsinn.

MF: Wenn du dir heute die alten Bandfotos von euch anschaust, mit den kurzen Haaren und der Schminke, wie denkst du darüber?

Tom: Da stehe ich nach wie vor dazu. Die kurzen Haare… Ich war halt gerade in der Bundeswehr. Das ist ein Teil meiner Geschichte. Das war früher einfach so. Die haben dir den Helm auf die Rübe gesetzt und alles was unten raus geschaut hat, wurde abgeschnitten (grinst).

MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?

Tom: Ein neues Album zu veröffentlichen, das hoffentlich 2018 erscheint. Wir machen uns keinen Stress und lassen uns auch nicht von der Plattenfirma unter Druck setzen. Wenn wir die Songs zusammen haben und bereit sind ins Studio zu gehen, dann machen wir das. Wir arbeiten ohne Druck. Weitermachen und niemals aufgeben. Solange mein Körper dies zulässt, werde ich nicht aufgeben.

MF: Dann sage ich besten Dank für deine Zeit und wünsche dir noch viele schöne Momente mit der Musik.

Tom: Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast. Und den Fans für die treue Unterstützung, und ich freue mich noch auf ein paar Jahre mehr zusammen mit euch. Danke!