Interview: Rage

By Tinu
 
Neuer Anfang ohne den respektlosen Smolski.



Rage sind wieder zurück, mit einer neuen Truppe und einem sichtlich motivierten Bandleader. Peter «Peavy» Wagner war und ist der Inspirator von Rage. Er hat die Truppe seit den 80er-Jahren immer angeführt und musste sich irgendwann dem musikalischen Regime seines langjährigen Weggefährten Victor Smolski beugen. Die letzten Alben von Rage glichen eher solistischen Höhenflügen denn tollen Melodien. Von einer gemeinsamen Bandleistung war nichts mehr zu spüren. Peavy zog die Notbremse, spielte vorher als Inspiration eine Überraschungsshow mit seinen alten Weggefährten Manni Schmidt und Chris «Efthi» Efthimiadis (Tres Hombres) und roch plötzlich wieder Lunte. Es gab da also mehr, als nur der schnellste Virtuose zu sein, und dies ging dem singenden Bassisten in den letzten Jahren zu stark verloren. Aus Tres Hombres wurde Refuge und eine Erfolgsgeschichte zwischen alten Freunden. Für Peavy wurde klar, er brauchte neue Freunde, um Rage weiter am Leben zu erhalten. Zusammen mit Gitarrist Marcos Rodriguez und Schlagzeuger Vassilios «Lucky» Maniatopoulos (Sänger von Tri State Corner) fand er Leute, die mit ihm seine Vision von Rage wieder voran treiben wollten. Was alles passierte, wie tief der Stachel immer noch sitzt und wie es weiter geht bei Rage, erfahrt Ihr in einem sehr ehrlichen Gespräch mit Peavy.

Peavy: Gleich vorneweg Martin, wir wollen unbedingt eine Show in der Schweiz spielen und unsere "20 Jahre «Black In Mind»-Tour" bei euch vorstellen. Die Tour mit Helloween in Januar und Februar gibt uns die Möglichkeit, Rage wieder einem grösseren Publikum zu präsentieren. Speziell auch wieder in Ländern aufzutreten, in denen wir in den letzten Jahren Probleme hatten uns zu zeigen. Für die 20 Jahre «Black In Mind»-Geschichte haben wir uns entschieden, weil es eine der Scheibe ist, die mir am meisten am Herzen liegt und zugleich die Erfolgreichste war, zusammen mit «Thirteen». «Black In Mind» war in den letzten Jahren einfach zu unterrepräsentiert, im Vergleich zum Beliebtheitsgrad. Das Album ist zu wichtig, dass es untergeht. Für Marcos, Lucky und mich hat diese Scheibe eine unglaubliche Wichtigkeit im Leben. Auch für die Entwicklung als Musiker der Beiden.

MF: Wie haben damals Victor und André auf die Tres Hombres- und Refuge-Geschichte reagiert?

Peavy: Sehr, sehr, sehr negativ (lachend). Beide sahen wahrscheinlich schon ihre Felle davon schwimmen. Vielleicht wussten sie schon damals, dass dies das Ende der Zusammenarbeit von Wagner, Smolski und Hilgers sein könnte. Wahrscheinlich hat sich schon die halbe Welt über mich kaputt gelacht, dass ich Idiot mich schon so lange mit den Beiden abgegeben habe (lacht). Lese ich die Reaktionen auf Facebook und den ganzen sozialen Netzwerken, könnte man diese Schlussfolgerung ziehen (grinst). Würde ich das alles auswerten, käme ich zum Schluss, dass der Grossteil der Rage-Fans schon lange nicht mehr verstand, wieso ich mich mit diesem Scheiss herum geschlagen habe und wann ich mich endlich wieder auf die eigenen Füsse stelle!

MF: Was waren die Hauptgründe für dich, dass es zu diesem Bruch zwischen euch Dreien gekommen ist?

Peavy: Am musikalischen Aspekt lags nicht. Das hat alles sehr gut funktioniert. Der persönliche und menschliche Part waren die ausschlaggebenden Punkte. Mit Smolski, aber auch mit Hilgers. Es gab keine Beziehung mehr zu und mit den Beiden. Sie haben die Möglichkeiten, die ich ihnen bot, als ich sie in meine Band holte, nur für sich ausgenutzt und mich dabei sehr respektlos behandelt. Es interessierte sie nicht, was und wer ich bin und fanden mich wahrscheinlich einfach nur doof. Das kann ja durchaus mal passieren, aber wenn sie von meinem Namen (Rage) leben, dann erwarte ich auch einen gewissen Respekt. Nicht sie haben die Truppe über all die Jahre aufgebaut und nicht sie waren dabei, als in den 80er-Jahren alles seinen Lauf nahm. Beide sind absolute Profimusiker, haben aber nicht verstanden, in welcher Situation sie sich befanden.

MF: Was hat dir die Show zusammen mit Tres Hombres zurück gebracht?

Peavy: Diese Show war für mich ein «eye opener». Nach vielen Jahren spielte ich endlich wieder mit Manni und Efthi zusammen (die klassisches Rage-Besetzung aus den 80er-Jahren). Das hat mir die Augen geöffnet. Man kann auch mit einer freundschaftlichen Atmosphäre arbeiten und Spass an der Arbeit haben (lachend). Versteht du, was ich meine? In den ganzen fünfzehn Jahren, die ich mit Smolski verbrachte und die sieben bis acht Jahre mit Hilgers, herrschte ein komplett anderes Arbeitsverhältnis. Persönlich war nichts da und plötzlich arbeite ich wieder mit alten Freunden zusammen… Efthi kenne ich seit dem Kindergarten. Die Gründe, speziell bei Manni, wieso wir uns damals trennten, waren wirklich lächerlich. Das war naiver und stupider Kindergartenkram. Als erwachsene Person hätte man das völlig einfach aus der Welt schaffen können. Wären wir damals reifer gewesen, hätte dies nie zum Split geführt.

1999 war ich sehr verletzt, als mich die damalige Besetzung verliess. Es hatte mir sehr weh getan, meinen alten Freund Efthi zu verlieren. Die Gründe damals gingen nicht unbedingt von ihm aus, sondern eher von seinem Bruder (Spiros war damals Gitarrist bei Rage), da sie mit Sub7even eine neue Truppe starten wollten. Aus familiären Gründen hatte Efthi mitgemacht. Später hat er mir mal alles erklärt. Efthi wusste damals nicht, wie er sich verhalten sollte. Da war einfach das Familienblut dicker als die Freundschaft. Sub7even gibt es schon länger nicht mehr. Letztes Jahr näherten wir uns wieder an und konnten so unsere alte Freundschaft wieder erneuern. So stand einer Reunion zwischen Manni, Efthi und mir nichts mehr im Wege. Mit Manni hat sich die Freundschaft schon vor langer Zeit wieder ergeben. Als wir die alten Tracks probten, war dies für uns Drei eine unglaublich emotionale Geschichte. Da waren wir wirklich alle kurz vor dem Heulen (lacht). So schnell lösten sich zwanzig Jahre Missverständnisse in Luft auf (lachend). Da bemerkten wir, dass noch viel Positives zwischen uns ist, das weiterleben muss. Ein Jahr später sind wir superfroh und geniessen jeden Moment, den wir zusammen verbringen können. Die Freundschaft steht über allem Geschäftlichen.

MF: War für dich klar, dass du mit Rage weitermachen willst oder gab es auch einen Moment, bei dem du alles hinschmeissen wolltest?

Peavy: Es gab einen Moment, da wollte ich wirklich alles hinschmeissen. Das war aber bevor ich mit Manni und Chris wieder zusammengekommen bin. Vor zwei Jahren hatte ich das Gefühl, dass die Luft raus ist. «Ich kann nicht mehr, bin am Ende und will nicht mehr!» Das Arbeitsverhältnis zusammen mit Smolski hat mich innerlich wie mental total ausgelaugt. Rage war meine Band, mein Baby. 1999 ist Victor auf meinen Zug aufgestiegen, hat mir jedes Jahr nach und nach mehr die Fäden aus der Hand genommen und das Ganze an sich gerissen. Lange Zeit bemerkte ich dies nicht und schon gar nicht, wie er mich an den Rand drängte. Da will ich ihm keinen Vorwurf machen, er ist einfach so. Victor ist kein Team-Player, sondern ein Mensch, der seinen Stiefel fährt. Er ist ein Egomane und ein Solo-Mensch. Das macht ihn nicht zu einem schlechten Menschen, er ist, wie er ist. Die fünfzehn Jahre vor seinen Einstieg waren die grösste und erfolgreichste Zeit. «Black In Mind» und «Thirteen» waren die beiden Alben, die sich am besten verkauften.

Victor hatte keinen Bezug zu dieser musikalischen Vorgeschichte. Logisch, er kommt aus einem anderen Kulturkreis und kannte damals wohl noch nicht so viel von Rage. Er behandelte das bestehende Material nicht mit Respekt. Lieder, mit denen die Fans Rage auch verbunden haben. Von Beginn weg wollte er die Plattform Rage so drehen, dass er sich verkaufen kann. So legte er den Schwerpunkt der Setliste auf seine Songs und sah den Wert der alten Klassiker nicht. Lieder, mit denen Rage noch heute verbunden wird. Irgendwann eskalierte dies, und so bestand die Setliste dann nur noch zu 90 Prozent aus den Smolski-Tracks. Der Grossteil der Lieder, welche die Fans hören wollten und welche die Band auch berühmt machten, fielen dabei aus dem Set. Ganz viele Fans haben uns dies sehr übel genommen. Viele Jahre verstand ich dies nicht. Dabei muss ich voraus schicken, dass ich ein technischer Spätzünder oder Dinosaurier bin (lachend). Es ging sehr lange, bis ich die sozialen Medien nutzte und überhaupt einen eigenen Account hatte (lacht). Facebook habe ich erst letzten Dezember (2014) eröffnet. Seit dieser Zeit besitze ich auch ein Smartphone (grinst). Da war ich schon sehr rückständig (lacht). So bekam ich jahrelang nicht mit, wie die Rage-Fans über die Band denken und deswegen war es für Victor auch sehr leicht, mir was vorzumachen. Seine Meinung war, dass der alte Scheiss nur ein paar Thrash-Fans interessiert. «Das will keiner mehr hören.» Ich war total verpeilt und hatte keine Ahnung, wie die Fans über uns dachten. Tut mir sehr leid! Aber als Dinosaurier versuche ich mich jetzt zu informieren (grinst). Es fällt mir schwer, mich mit den ganzen Medien zurecht zu finden, da bin ich ganz ehrlich. Aber ich bemühe mich (lachend) und denke, dass ich in den letzten Jahren verstanden habe, für was Rage bei den Fans steht. Dabei hoffe ich, dass ich dem wieder Rechnung tragen kann.

MF: War für dich schnell klar, dass es bei Rage wieder im Trio und nicht im Quartett weiter gehen sollte?

Peavy: Wir dachten tatsächlich darüber nach, mit einer Viererbesetzung weiter zu machen. Ganz am Anfang bestand die Idee, dass wir Marcos dazu holen und Victor in der Band bleibt. Schnell verstanden wir aber, dass Victor da nicht mitspielen würde. Zwischenzeitlich sind wir eine Familie aus acht Musikern geworden. Rage, Refuge und Tri State Corner. Dabei unterstützen wir uns alle gegenseitig. Victor passt in ein solches freundschaftliches Vertrauenskonzept nicht hinein. Er fährt lieber seinen eigenen Film. Das ist okay und da kann jeder machen, wie er möchte. So kristallisierte sich schnell heraus, dass wir mit einer komplett neuen Bandbesetzung starten müssen. Aus diesem Grund trieben wir Ende Januar diesen radikalen Umbau der Bandbesetzung voran. Da kein zweiter Gitarrist in Aussicht war… Es ist auch nicht nötig, denn Marcos kann vom Spielerischen her alle eins zu eins ersetzen. Darum bestand keine Dringlichkeit, einen zweiten Gitarristen in die Band zu holen. Was wir für die Show im Dezember machen… Die steht im Motto des 20-jährigen Jubiläums von «Black In Mind». Da werden wir fast das ganze Werk spielen. Damals wurde die Scheibe von zwei Gitarristen eingespielt (Sven Fischer und Spiros), und so werden wir einen zweiten Saitenspieler auf die Bühne stellen. Dieser Musiker wird jedoch nicht zum Line-Up gehören. Das wird Markuz sein, der Bassist von Tri State Corner. Eigentlich ist er ein Gitarrist und seit seiner Jugend ein grosser Rage-Fan, der sich wie ein Schneekönig freut, mit uns auf Tour gehen zu können.

MF: Wie hat sich die heutige Bandkonstellation ergeben? War das sofort klar, dass Marcos und Lucky die beiden Neuen sein werden oder gab es noch andere Kandidaten?

Peavy: Dass Marcos bei Rage spielen wird, hat sich schon sehr früh raus kristallisiert. Er ist seit 2008 ein sehr guter Freund von mir. Ursprünglich war meine Idee, mit ihm zusammen eine Soloscheibe zu kreieren. Als sich das Ende der Zusammenarbeit mit Victor anbahnte, war klar, dass Marcos bei Rage einsteigen würde. Lucky kenne ich schon seit den 90er-Jahren. Der Kontakt kam damals über Efthi zustande. Lucky nahm bei Efthi Drumunterricht und war einige Jahre auch sein Drumtechniker. Was ich nicht wusste, war, dass Lucky später noch die Hochschule besuchte und das Schlagzeug studierte. Technisch ist er ein sehr guter Trommler, hat die letzten vier Jahre aber kaum mehr gespielt. Er konzentrierte sich mehr auf die Rolle des Sängers bei Tri State Corner. Im Moment übt er wie ein Bekloppter, dass er auch physisch bereit ist. In drei Wochen (Anfangs September) gehen wir ins Studio und wollen die neue Scheibe aufnehmen. Mein Hauptaugenmerk lag darauf, dass ich bei Rage wieder Leute um mich habe, mit denen ich mich menschlich sehr gut verstehe, genau gleich wie bei Refuge. Ich wollte wissen, mit welchen Menschen ich meine musikalische Zukunft verbringen werde. Das musikalische Niveau ist eine Grundvoraussetzung. Noch viel wichtiger war aber, dass ich mit Freunden meine Musik spielen kann. Da ich Marcos und Lucky schon seit Jahren kenne, suchte ich keine anderen Musiker mehr. Es haben sich viele auch namhafte Mucker beworben. Da bedanke ich mich auch herzlichst für ihr Interesse. Wegen der letzten Phase von Rage war mir das persönlich zu wichtig, als dass ich mich auf Experimente einlassen wollte. Auf der hoffentlich letzten Fahrt (lacht) möchte ich nicht nochmals einen Wechsel bei Rage haben. Eine Situation wie mit Smolski und Hilgers will ich nicht nochmals erleben. Musikalisch war das toll, vom Persönlichen her aber ein Desaster. Du kannst dir nicht vorstellen, wie einsam du dich fühlst, wenn du mit Leuten auf Tour gehst, die dich nicht leiden können. Das ist sehr deprimierend. Willst du eine Truppe lange Zeit am Leben erhalten, muss man sich untereinander blind verstehen können. Sei es deine Band, die Crew, oder die Jungs im Studio. Das war mein Lernprozess in den letzten fünfzehn Jahren zusammen mit Smolski (lachend). So toll die Zeit auch war, Victor ist ein hervorragender Musiker, aber damit kannst du das Persönliche nicht aufheben…

MF: …du sitzt in einem Tourbus, fährst durch die halbe Welt und siehst dich in deiner eigenen Band, bei deinem eigenen Kind und Baby, plötzlich wie der Aussenseiter…

Peavy: …JA! Bestens ausgedrückt. Du fühlst dich in deiner eigenen Welt als Aussenseiter. Wie schrecklich ist das? Es gibt nichts Schlimmeres!!! Du fühlst dich nicht akzeptiert und schon gar nicht verstanden. Das ist so grausam, das kann man sich nicht vorstellen.

MF: Was kann man musikalisch von den neuen Rage erwarten?

Peavy: In den letzten zwölf Monaten habe ich begriffen, was die Fanbase von Rage erwartet und verbindet. Das Schöne ist, dass das, was die Fans mit Rage verbinden genau das Gleiche ist, was auch ich mit der Band assoziiere. Die neuen Lieder sind schon alle geschrieben. Es klingt wie eine direkte Fortführung der «Black In Mind». Es beinhaltet mehr thrashige Elemente. Der Fokus liegt auf den Melodien und den geilen Refrains. Das Ganze ist rauer und weniger kopflastig… Genau die Schiene wie Rage klangen, bevor Victor dazu kam. Es wird nicht gleich klingen wie bei Refuge, da klingts noch ein bisschen rudimentärer. Die Orchesterparts wollen wir gesondert behandeln und auf späteren Alben einfliessen lassen. Die neue Scheibe wird «The Dark Side Of The Sun» heissen und wird bedeutend songorientierter und weniger auf solistischen Grosstaten aufgebaut sein. So eine «Black In Mind 2.0» (lachend).

MF: Peavy, herzlichen Dank für das ausführliche Interview!

Peavy: Gerne, gerne, gerne und besten Dank für deine Unterstützung über all die Jahre und dass du wieder oder noch immer für Rage da bist.