Interview: Rage
By: Rockslave
Victor Smolski & Peavey WagnerIch persönlich habe den Zugang zur Musik von Rage eigentlich eher spät gefunden, da mir viele deutsche Bands bis auf ein paar wenige so oder so nie so gut gefielen. Das hat sich mittlerweile aber geändert (Martin "El Tino" Fust sei Dank!), nachdem ich mir ein paar Werke von Peavy & Co. zur Brust nehmen konnte. Dabei kristallisierte sich heraus, dass ich dem neueren Material weitaus mehr abgewinnen kann. Die Orchester-Geschichten mit Lingua Mortis hingegen fielen bei mir durch. Die Songs der letztjährigen Scheibe "Welcome to the other side", wo die heutige Besetzung mit Victor Smolski (g) und Drum-Tier Mike Terrana erstmals zusammen arbeitete, ebneten den Weg zu "Unitiy", dem aktuellen Silberling, der grandios ausgefallen ist. Rage waren bisher wohl noch nie so kompakt und gleichzeitig virtuos. Da war es für mich natürlich eine Pflicht, auf der laufenden Tour (zusammen mit Primal Fear) einen Interview-Termin zu ergattern. Nach dem total überzeugenden Auftritt baten mich Peavy und Victor in den Tourbus, um sich meinen Fragen zu stellen. Als erstes fragte Peavy mich jedoch, was ich gerne trinken möchte. Erfreut wie überrascht entschied ich mich für ein kühles Bier und dann konnte es vor einer Armada von Whiskey-Flaschen auf dem Tisch (für wen waren die denn alle?) losgehen. Die Metal- und die Musik-Szene allgemein bekam dabei mächtig ihr Fett weg. Beide Musiker redeten Klartext und waren sich nicht zu schade, eine klare Meinung zu bestimmten Themen zu vertreten! (P: = Peavy / V: = Victor)

 

MF: Erst mal Kompliment zur neuen Scheibe! Ich denke, ihr seid auch zufrieden damit?

P: Ja, absolut...

V: Sehr zufrieden...

P: ...hat gut funktioniert! So wie für uns hier und auch für's Publikum, glaube ich. (lacht)

MF: Ich habe gesehen, dass "Unity" in den aktuellen Leser-Charts des Rock Hard in den Top-10, also auf Platz 8 steht. Interessieren euch solche Rankings oder ist...

V: (fällt mir gleich ins Wort!) ...ja sicher! Das zeigt am besten, wie Fans reagieren, weil Leser-Charts..., die kann keiner kaufen! Wenn ein (Heavy-) Magazin Punkte vergibt, dann kannst du nachdenken warum...

P: "Brennt-an"-Besprechungen meinste, ne?! (Es hörte sich zumindest so an, vielleicht sagte er aber auch "Break-Out", wie auch immer! Peavy redet eben sehr zügig! MF)

V: ...ob die Plattenfirma da vielleicht Einfluss hatte, aber Fans, also Leser-Charts, das ist das Ehrlichste so zu sagen.

P: Das weiss ich auch gerade von Götz (Kühnemund)..., die kriegen da wirklich ständig unheimlich viele tausend Zuschriften und das ist ziemlich repräsentativ, diese Leser-Charts. Gerade vom Rock Hard, das von allen Magazinen im deutschsprachigen Raum die derzeit repräsentativsten Leser-Charts bringt.

MF: Wie sieht es mit den Verkäufen des neuen Albums aus, habt ihr da Feedback?

P: Ja, die Verkäufe haben wieder angezogen und was für uns sehr wichtig war..., warum wir auch die Plattenfirma halt gewechselt haben (von BMG zu SPV), international weiter zu kommen. Die BMG, die haben eigentlich, bis auf den deutschsprachigen Raum überhaupt nichts für uns gemacht. Im restlichen Ausland waren wir nur als Import erhältlich. So war es natürlich nicht einfach, neue Fans zu gewinnen. Da wurde keine Promotion gemacht, keine Interviews arrangiert, keine Promotion-Reisen unternommen, gar nix. Das ist jetzt bei SPV viel besser irgendwie und in den letzten Jahren wird es für eine Metal-Band, wie vorher auch schon, immer wichtiger, dass man international arbeitet und auf allen Märkten vertreten ist, die es gibt. Sonst kann man einpacken.

MF: Ich habe in diesem Zusammenhang mal eine Auflistung gesehen, welche Bands in den Staaten drüben wieviele Alben verkaufen und war dabei erstaunt zu sehen, wie wenig einzelne Bands absetzten, von denen ich dachte, sie müssten dort gross rausgekommen sein.

P: Hmm, ja...

V: ...alle in Europa denken, dass wenn eine Band aus Amerika kommt, sie deswegen gut sind, den Ruf als Stars haben. Das ist lächerlich! Also Jungs wie..., ich weiss nicht..., Savatage oder so spielen in Amerika fast überhaupt nicht.

P: Ja..., Manowar, die gibt es da gar nicht, die dürfen ja nur die Clubs spielen.

V: Manowar gibt es in Amerika gar nicht..., es kann kein Mensch..., diese Jungs spielen da überhaupt nicht, diese Band existiert dort gar nicht. Alle denken "aahh", jetzt kommt ein Ami und macht alle platt, ich versteh das nicht.

MF: Europa ist da eh das bessere Pflaster für Metal!

V: Ich meine, es gibt weltweit gute Musiker. Du kannst nicht sagen, wo es die besten hat. In Brasilien gibt es Musiker, die genau so gut wie in Europa sind, aber das Business ist hier am stärksten.

P: Für jegliche Hard Rock-Musik im Augenblick, weil MTV hat leider in Amerika den gesamten Markt für Rockmusik generell versaut irgendwie, passiert hinterher auch schon in grossem Masse, aber hier gibt's dann halt noch Publikum, fern ab von MTV und diesem ganzen manipulierten Plastik-Scheiss, die sich noch eine eigene Meinung über Musik bilden.

MF: Wie ist es dann zu erklären, dass frühere Metal-Sendungen wie Metalla oder Headbangers Ball wieder verschwunden sind?

P: Das liegt daran, weil die Industrie das nicht supported. Das sind alles Geschichten, die bezahlt werden müssen letztendlich. Wenn die da nicht investieren und kein Interesse an dieser Musik haben..., die generell zu unterstützen..., können solche Sendungen auch nicht bestehen. Das ist alles nur gekaufter Mist, im Grunde alles gehackter Scheiss. Ich habe jetzt im November Rock Hard eine schöne Kolumne geschrieben über dieses Thema so. Es ist ziemlich weitreichend und ich möchte es jetzt auch nicht ausführen so, aber meiner Ansicht nach sägt die grosse Musikindustrie an ihrem eigenen Ast und macht die Musik auf längere Sicht hinaus kaputt, indem halt nur noch so Fastfood-Plastikscheiss gefeatured wird, der sich leicht verkaufen lässt. Das ist vor allen Dingen mal die Gewinnoptimierung sicherer.

MF: Prost!

P: Prost ne!...die Firmen investieren ja riesige Summen an Geld und sie kriegen sag ich mal ihre Gewinne, ihre Investitionen sicherer zurück, wenn sie in so 'nen Zeug investieren, als wenn sie auf lange Sicht versuchen müssten Rockbands auf zu bauen, wie das früher halt gelaufen ist. Da sind zuviele Unsicherheitsfaktoren und es ist einfach zu teuer, Rockmusik, verglichen mit diesem ganzen Plastikkrempel da, ne! Das kannste ja wirklich im Dutzend produzieren und gleich zwölf Produkte genau dieser Art an die Wand werfen und alles bleibt hängen, während du für dasselbe Geld versuchen kannst eine Rockband auf zu bauen. Und wenn die nicht funktioniert, haste das ganze Geld in den Sand gesetzt.

MF: Also mehr Quantität als Qualität?!!

P: So ist die Musikindustrie weisste..., die hauen dir irgendwie hundert Dinger vor die Wand, alsdass sie an einem Ding wirklich mal arbeiten. Das macht man heut' einfach nicht mehr. Das liegt daran, weil bei der Musikindustrie eigentlich nur Buchhalter in den Chefetagen sitzen und zu entscheiden haben und keine Leute, die was von Musik verstehen. In diesem ganzen Plattenfirmengeschäft sind nur Verkäufer und keine Musiker ne, deswegen ist unsereiner, die wir wirklich noch selber Musik machen und das gelernt haben, eine aussterbende Rasse (lacht und beweist Galgenhumor!).

MF: Na hoffentlich nicht..., ihr seid ja noch nicht so alt!

P: Nein..., so alt sind wir noch nicht, aber ich sag ja, das wird auch nicht in zwei Jahren passieren, auch nicht in fünf, aber wart mal, was in fünfzig Jahren sein wird. Da sieht die Welt ganz schön anders aus!

MF: Ich denke auch, dass wenn mal grosse Namen wie zum Beispiel Dio weg sind..., genial was der immer noch bringt!

V: Ich habe eine Musikschule und sehe, wieviele Leute vor zehn Jahren noch Musik und Gitarre spielen lernen mochten und was jetzt passiert. Das ist schlimm..., schlimm...

P: ...also er kann das am besten beurteilen, er hat den Nachwuchs.

V: Es gibt keinen Nachwuchs an jungen Leuten mehr. Sie möchten gar nix mehr lernen, keiner will hinsitzen und üben, weil es diese beschissenen Computer gibt, welche schon fertige Loops anbieten. Keiner hat Bock so wie ich hin zu sitzen und 8 Stunden am Tag zu üben, keiner! Sie wollen nur mit diesem Spielzeug rumfummeln, nichts richtig lernen und keine echte Musik machen.

P: Ich sage mal einen guten Spruch dazu. Da kommen eben die Kiddies heute an und sagen: "Ich bin jetzt auch Musiker!" Wenn man sie fragt: "Was spielste denn?" lautet die Antwort: "Ich mache DJ weisste, ich spiele Plattenspieler". Das ist für die heute schon ein Musikinstrument. Ein Plattenspieler ist für die ein Instrument! Das muss man sich mal vorstellen..., das ist lächerlich! Die haben doch überhaupt keine Ahnung mehr, was ein Instrument eigentlich ist. Die glauben tatsächlich, dass ein DJ ein Musiker wäre..., so ein DJ ist nicht..., das ist kein Musiker! Das sind einfach nur Pappköppe, die Platten auflegen, weisste. Die haben mit einem Musiker so wenig zu tun, wie irgendwie 'ne Kuh mit einem Dichter (lacht).

MF: Das ist richtig, ja...

P: Das wissen die gar nicht mehr, die können das gar nicht mehr unterscheiden. Soweit sind wir schon und das wird sich noch verstärken dieser Trend und irgendwann wird kein Mensch mehr verstehen, was so Leute wie Victor und ich eigentlich hier machen überhaupt. In fünfzig Jahren werden wir unverstanden sein.

V: Ich halte viele Workshops in Musikläden und spreche mit diesen Leuten, den Verkäufern von Instrumenten wie Gitarren und Schlagzeugen und so. Der Absatz ist tierisch gesunken, weil die Mehrzahl der Jungen nicht mehr üben und richtige Musik machen will. Das ist grausam! Ich habe an einem solchen Workshop mal ein paar Songs von Hendrix gespielt und da kommt einer und sagt: "Jaaa, guter Sound..., von wem ist das?" Von Hendrix! "Von Hendrix?? Wo (und wann) hat der gelebt??" Die Leute kennen keine Musiker mehr, es ist vorbei! Nur irgendwelche DJ's..., diesen Rapper-Scheiss und sowas.

P: Kuck dir den Video-Schrott an im Fernsehen. Du siehst keine Musiker mehr, du siehst nur noch Typen, die da irgendwie lallend durch die Gegend laufen, mit weiten Hosen und so...

V: ...ich muss immer lachen, wenn da irgendein DJ-Wichser steht, seine CD's reinschiebt und im TV als Musiker präsentiert wird. Was hat denn der mit Musik zu tun?

P: Nix! (sagt's und kaut weiter auf seinen Erdnüssen herum...)

V: Diese Pfeife hat keinen Monat Musik studiert, gar nichts und nennt sich Musiker! Das ist lächerlich für mich. Ich habe achtzehn Jahre studiert, acht Stunden am Tag!

MF: Das hört man...

V: ...ja, aber die Leute akzeptieren (würdigen) das nicht und das stimmt mich traurig. Dem Musiker wird einfach kein Respekt mehr entgegen gebracht.

P: Das meinte ich ja mit dem was ich vorher sagte, was ich in der Kolumne für das Rock Hard auch geschrieben habe, dass die Grossindustrie sich den eigenen Ast absägt, indem sie halt Musiker nach und nach zum Teufel jagt. Die ist dann schuld, dass irgendwie die Leute das auch nicht mehr verstehen können, den Unterschied zwischen einem wie ihm (Victor) und irgendeinem blöden Plattenaufleger, der dir den ganzen Tag nur noch was um die Ohren schlägt. Ist doch klar, dass so ein Typ, der sich mit dem Computer dahinsetzt und so ein paar Furzgeräusche und Loops zusammen schraubt, sich so einen Eierkopp dazu holt, der darauf ein bisschen herumspricht ne, viel billiger zu produzieren ist. Das Ganze kannste in zwei Tagen im Wohnzimmer machen, da haste Produktionskosten von 100 Mark (auch Peavy scheint noch so seine liebe Mühe mit der neuen Währung zu haben! MF). Wenn du aber 'ne Rockband aufnimmst, dann kannste nicht mal ein Demo dafür aufnehmen, eigentlich gar nichts damit machen! Und die Produktion von einer Rockplatte, die kostet einfach nun mal ein paar zehntausend Mark, oder mindestens!

MF: Wenn sie dann wenigstens noch so kreativ wären und eigenes Material komponieren und nicht bloss ein altes Cover nachspielen würden...

P: ...kannste sie ja nicht..., wie willst du denn das machen? Die klauen sich nur die Sounds zusammen, die es schon gibt. Die klauen uns unsere Riffs..., was meinste, was die als nächstes mit dem "Straight to hell"-Riff anstellen werden? Das wirste dann in irgendeiner Rap-Version hören..., mit einem Schwarzen, der darauf rumlabert: (Peavy stimmt das Riff an: blädädä- dä -dädädä -- yo man! -- blädädä - dä...) Weisste, so wird es abgehen. Über kurz oder lang wird diese Nummer so enden.

MF: Ihr habt gestern in Frankreich (ich sagte zwar zuerst Belgien, peinlich!) gespielt. Wie sind die Reaktionen auf diese(r) Tour?

V: Es ist o.k....

P: ...sehr gut! Die verrücktesten Fans sind aber immer noch die Spanier in Europa (lacht)..., das waren sie vorher auch schon.

V: Schweizer rauchen vielleicht zuviel!

P: (lacht laut) ...sind zugekifft!

V: Die Halle ist (respektive war ein bisschen) zugekifft, das kriegen wir auch auf der Bühne mit.

MF: Peavy, stört dich das beim Singen?

P: Nein..., gar nicht!

V: Och, das ist gar kein Problem, aber gewisse Leute kriegen dann weniger von der Musik mit und gehen völlig breit nach Hause, das ist schade!

MF: Man hört oft, dass Bands auf Tour neue Songs schreiben. Wie geht das bei euch ab?

V: Auf Tour ist das sehr schwierig. Wir geben soviel Energie für die Konzerte, dass wir danach platt sind, da ist nichts mehr (lacht)!

P: Ich habe in zwanzig Jahren Karriere vielleicht zwei Songs im Bus geschrieben. "Days of december", das habe ich im Bus geschrieben..., bloss teilweise.

V: Das ist schon passiert, aber...

P: ...ist aber nicht die Regel, zumindest nicht bei uns.

MF: Peavy, du bist das Urgestein von Rage und hast in verschiedenen Besetzungen gespielt. Was sagst du zum heutigen Line-Up?

P: Das ist die Krönung meines musikalischen Lebens! Ja, etwas Schöneres ist mir bisher nicht passiert, da bin ich wirklich stolz drauf.

MF: Das ist auch das, was ich heute Abend auf der Bühne gesehen habe. Drei gute Einzelmusiker, die als Einheit absolut harmonieren. Zudem versteht ihr es als Trio (ergänzt durch ein paar eingebrachte Keyboards), zum Teil erwartete Soundlücken gekonnt zu füllen.

P: Es gibt auch wenige Bands, die da rankommen von der Qualität her, da fallen mir eigentlich nur so die Progressiv Metal Bands ein. Dream Theater, die haben auch so ein Qualitätslevel. Und dass da jetzt kein Loch entsteht, liegt sehr stark daran, wie die Begleitung unter dem Solo arrangiert ist, also was Mike und ich dazu spielen. Das ist eben so gemacht, dass auch keine Löcher entstehen. Das muss man kapieren, wie das geht.

V: Andererseits spielen wir keine Metal-Songs, die unbedingt Riffs und Soli haben müssen. Wenn ich mir ein Solo ausdenke, dann möchte ich es gerne auch hören. In Bands mit zwei Gitarristen kommt es oft vor, dass Soli einfach Pause(n) für den Sänger bedeuten und sowas hasse ich. Es gibt Studioproduktionen, wo ein Solo kommt und ich höre es nicht! Macht die Stimme Pause, dann muss wohl das Solo kommen.

MF: Noch ein Wort zur Zusammenarbeit mit dem Lingua Mortis Orchester. Wer musste sich da auf wen einstellen und war das schwierig?

P: Wer musste sich auf wen einstellen..., hmm..., eigentlich haben wir die Stücke umarrangiert, dass für ein Orchester die Noten da waren, also das, was sie zu spielen hatten und dann haben wir die Leute einfach angemietet. Diesen Musikern legste die Noten hin, spielst es einmal mit ihnen durch und dann können sie das.

MF: Hört ihr euch bewusst auch Musik von anderen Bands an und falls ja, welche?

P: Wir drei hören verschiedene Musikstile und sind da offen. Ich höre im Augenblick gerne so progressive Bands wie Spock's Beard, Transatlantic und solche Geschichten und manchmal auch ganz anderes Zeug. Die neue Korn gefällt mir zum Beispiel, obwohl das nicht viel mit uns zu tun hat. Eine Art härtere Auflage von Siouxiee and the Banshees. Hmm..., Mike mag viel Jazz..., der hat sehr gerne Frank Sinatra und so 'nen Zeuch. Was Viktor jetzt im Augenblick gerade hört, kann er gleich selber eben sagen!

V: Boa..., alles Mögliche, schwer zu sagen. Ich versuche, den Überblick nicht zu verlieren, deshalb höre ich oft extra verschiedene Richtungen, zum Beispiel Ark.

MF: Peavy hat vorhin Spock's Beard und Transatlantic erwähnt. Ich habe so das Gefühl, wenn ich mir das neue Album anhöre, dass so einiges an Progressivem eingeflossen ist. Ist diese Ansicht richtig?

V: Das ist normal. Ich denke, jeder Musiker probiert etwas Neues zu finden, wenn es nicht einfach eine stumpfe Kopie von bisher Vorhandenem sein soll. Wenn du also was Neues machst, dann wird das immer progressiv, geht nicht anders. Klar, wir können auch alte Songs nehmen und einfach in das heutige Metal-Gewand stecken. Vielleicht gibt es Fans, die immer das Gleiche hören wollen, aber mir als Musiker macht es schon Spass, etwas Neues zu finden versuchen.

P: Es ist im Grunde der Trick, den jede Band herauskriegen muss, dass sie sich auf eine Art und Weise immer neu erfindet. Bei der neuen Platte haben wir versucht, das Ganze ein bisschen mehr auf den Punkt zu bringen. Bei der Platte davor haben wir sehr viel Veschiedenes drauf gehabt. Die war vielleicht zu lang gewesen, die Hälfte hätte auch gereicht. Daher kamen dann solche Sprüche, die wäre sehr progressiv. Sie ist nicht progressiver als die Neue und andere davor. Wir haben einfach ein bisschen zuviel auf einmal gemacht. Mittlerweile ist es komprimierter, fokussierter.

V: Deshalb ist "Unity" auch so gut geworden, weil wir so viel bei "Welcome..." experimentiert haben. Da haben wir alles ausprobiert, was möglich ist. Darum ist "Unity" so tight geworden. "Welcome..." war die perfekte Übergangsplatte. Wäre sie kürzer ausgefallen, wäre "Unity" nicht so stark. Die Scheibe ist das Resultat der Entwicklung der Band nach "Welcome...". Viele Leute erschraken über den Song "Straight to hell". Keine Metal Band hat jemals zuvor einen Shuffle mit Heavy Metal-Groove gemacht!

P: Grad deswegen hat ihn der Bully beim "Schuh des Manitou" da reingepackt..., wegen dem Shuffle-Groove.

V: Es ist etwas Neues, das niemand erwartet hat und wir hatten auch keine Angst, das aus zu probieren.

P: Wir waren in dem Moment unserer Zeit vielleicht ein wenig voraus. Die Leute haben wirklich etwas anderes erwartet nach der "Ghost", es komme irgendwie wieder was aus der Richtung oder was.., Bombast und so. Da haben wir einfach etwas verändert, wir sind im Grunde ja auch eine neue Band. Die konnte nicht so klingen wie auf der "Ghost", obwohl wir drei auf dem Foto zu sehen sind. Die Scheibe ist ja noch mit dem alten Line-Up entstanden. Insofern war die "Welcome..." unser erstes Ding, das wir zusammen verbrochen haben. Ist klar, das die nicht so klingt wie die "Ghost", nur haben die Leute das eben nicht erwartet.

V: Es gibt zwei Arten von Musikern. Die einen gehen auf Nummer sicher und die anderen entwickeln sich weiter und probieren was Neues aus. Auf Sicherheit habe ich aber keinen Bock. Da reicht schon Running Wild, wo alles beim alten bleibt. Die spielen seit zehn Jahren den gleichen Song und kopieren ihn immer wieder. Darauf kann ich aber echt nicht.

P: Ja, das wäre der Tod für uns als Musiker. Das ist halt alles ein bisschen eine Gratwanderung, wie es natürlich auch ein Risiko darstellt, das die Leute verstören kann, weil sie es nicht nachvollziehen können. Ich habe in meiner Karriere schon viele Alben veröffentlicht, die ihrer Zeit voraus waren und erst später von den Fans entdeckt wurden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war es vielleicht einfach zuviel für die Leute.

MF: Wenn ihr wählen könntet, mit welchen Musikerkollegen würdet ihr gerne mal zusammen arbeiten und vielleicht sogar ein Album aufnehmen?

V: Mindestens mit tausend Gästen! Ich möchte mit so vielen Musikern Aufnahmen machen, aber die würden alle zusammen gar nicht in ein Studio passen.

P: Victor nimmt ja auch mit jedem auf... (lacht)!

V: Ich habe tierisch Bock auf Festivals und Jams und das fehlt mir sehr. Ich finde das sehr schade, dass es gerade in Europa sehr wenig davon gibt. In Amerika und Russland gibt es immer wieder solche Anlässe, Musikertreffen, wo man zusammen spielt. Hier ist alles so ernst, kaum einer macht mit.

P: Alle denken sofort immer daran ach, jetzt gehen sie wieder fremd und so 'nen Scheiss, ne. Diese blöden Fragen vonwegen "Bist du noch Mitglied von Rage?", bloss weil Mike zum Beispiel noch tausend andere Sachen macht. Dann glauben sie eben nicht, dass er noch Mitglied bei uns in der Band ist..., ist doch alles Blödsinn!

V: Ich finde solche Treffen unter Musikern so geil, gemeinsam auf die Bühne zu gehen und los zu jammen. Wie anlässlich des Grave Digger-Jubiläums, wo wir alle zusammen mit Helloween gespielt haben. Das war wunderschön und findet viel zu wenig statt. Mike hat dazu (zur beschriebenen Situation, dass sich kaum einer für gemeinsame Aktionen begeistern mag) einen passenden Spruch..., hmm, wie geht der auch wieder...?

P: Ich weiss jetzt nicht, was du meinst..., "Geh doch zum Lachen in den Keller?" - irgendwie so.

V: Vergessen..., (überlegt) ...schade schade..., egal!

P: "Laughing is a sign of weakness"?

V: Genau!

MF: Letzte Frage zum eben genannten Stichwort "Festivals". Victor, 1989 fand ja in Moskau, also noch vor der Wende in Deutschland, das "Music and Peace"- Festival statt (u.a. mit Skid Row, Gorky Park, Cinderella, Ozzy Osbourne, Mötley Crüe, The Scorpions und Bon Jovi). Warst du damals auch dabei und was hat sich seither in der russischen Szene getan?

V: In Russland war es so, dass das Music-Business sehr gut und viel besser organisiert als hier war. Das war perfektes Business, aber nur für Russland. Es gab keine Möglichkeiten, ausserhalb zu touren. Agenturen wie bei uns in Europa bezüglich der Zusammenarbeit fehlten. Trotzdem war alles sehr professionell und die Tour mit meiner ersten Band super genial und ehrlich gesagt besser organisiert als hier. Heute ist die Zusammenarbeit untereinander besser, aber es ist zu europäisch geworden und die Qualität von früher ist weg. Traurig, aber wahr..., tja. Das ist der Kompromiss zwischen Sozialismus und Kapitalismus mit all seinen Vor- und Nachteilen. (Gesagt hat er es zwar nicht, aber ich gehe jetzt mal schwer davon aus, dass Victor beim "Music & Peace"-Festival '89 auch dabei gewesen ist! MF)

MF: Das ist ein schönes Schlusswort! Danke vielmals, hat Spass gemacht mit euch zu sprechen!

V: Yo...

P: ...bitte sehr!