Interview: Pain Of Salvation
By Kissi
Es gibt Bands, die zu definieren ein Unternehmen ist, dass im Vornherein schon zum Scheitern verurteilt ist. Pain Of Salvation ist so eine Band. Von der Melancholie, die all ihre Musik durchzieht könnte man schreiben, von der technischen Brillanz, welche alle Musiker auszeichnet oder von ihren sozialkritischen, fast schon philosophischen Texten und doch könnte man diese schwedische Ausnahmeband nicht wirklich fassen.

Schon 1984 vom gerade einmal 11-jährigen Daniel Gildenlöw im verschlafenen Eskilstuna gegründet, versetzte die Band um die Jahrtausendwende die Prog-Rock-Gemeinde mit durchdachten Alben wie «One Hour By The Concrete Lane», «The Perfect Element, Pt. 1» und «Remedy Lane» in taumelnde Euphorie. Mit dem sperrigen «BE» legte Pain Of Salvation 2004 ein Werk vor, dass auch von den Fans der Truppe gespalten aufgenommen wurde, kann man das Material doch kaum als Songs im klassischen Stil bezeichnen. Das düstere, auch schon mal ziemlich raue «sScarsick» hingegen begeisterte wieder ohne Abstriche und das organische, reduzierte, den Groove der 70er verströmende «Road Salt One» muss, trotz der Kritik von Frickelfetischisten, als eines der besten Alben dieses Jahres betrachtet werden.

Die einzige Konstante in der kreativ grenzenlosen, auch schon mal von einigen Line-up-Wechseln durchzogenen Geschichte der Band nebst der konstanten, unvergleichlichen Qualität: Daniel Gildenlöw (DG). Nicht nur könnte er alle POS-Scheiben als versierter und studierter Multi-Instrumentalist im Alleingang einspielen, auch für Layout, Teile der Produktion und natürlich für die tiefgründigen, mal persönlichen, mal sozialkritischen Texte zeichnet sich der Mann mit der eindringlichen Stimme verantwortlich. Warum «Road Salt One» mehr nach Pain Of Salvation klingt als die ersten vier Scheiben, warum sein Leben von einem Kind kontrolliert wird und was er ändern würde, würde er die Welt beherrschen, darüber und über Anderes diskutierte Daniel Gildenlöw mit Metal Factory bei einem entspannenden Becher Tee (Gildenlöws Lieblingsgetränk) vor seinem Konzert im Z7 Pratteln.

MF: Hallo Daniel!

DG: Hallo! Sorry für die Verspätung! Ich versuche jeden Tag mit meinen Kindern via Skype zu telefonieren und da wir heute noch das eine oder andere Problemchen lösen mussten hat sich das etwas nach hinten verschoben.

MF: Ein schlimmes Problem?

DG: Nein, nein! Immer, jeden Tag gibt es eine Schwierigkeit, die gemeistert werden muss. Sound, Equipment, Licht, Merchandise, irgendetwas muss immer angepasst werden.

MF: Was ist denn das Problem des Tages?

DG: Wir mussten die Gitarrenverstärker neu einstellen. Für die letzte Show, in Paris, mussten wir uns an eine ziemlich strikte und niedrige Dezibel-Grenze halten. Heute konnten wir die Amps nun wieder aufdrehen, was aber auch heisst, dass die Effekte und solche Sachen auch wieder neu eingestellt werden mussten. Das ist jetzt aber alles erledigt.

MF: Bis auf die gewohnten Probleme: Wie läuft die Tour?

DG: Die Tour läuft phantastisch! Die meisten Shows sind nahe an der Grenze, ausverkauft zu sein und die Reaktionen auf die Setlist sind umwerfend. Um ehrlich zu sein glaube ich, dass die Schweizer Konzerte immer die Tiefpunkte in Sachen Zuschauerzahl sind. Die Konzerte sind immer super, versteh mich nicht falsch, aber irgendwie schaffen wir es einfach nicht, hier viele Leute zum Kommen zu animieren. Trotzdem versuchen wir immer, hier zu spielen, wenn wir auf Tour gehen. Die Stimmung ist gut und was du nicht missachten darfst: Das Z7 ist super eingerichtet: gute Bühne, gutes Equipment, gutes Essen, Duschen und eine Waschmaschine.

MF: Kannst du dir einen Grund vorstellen, warum ihr in der Schweiz nicht so zieht?

DG: Keine Ahnung! Wenn ich es wüsste, würde ich es versuchen zu ändern. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass das Z7 nicht mitten in einer Stadt liegt und vielleicht weniger Leute spontan vorbeikommen. Auf der anderen Seite habe ich gehört, dass die Verkehrsverbindungen optimal sein sollen. Also: Ich weiss es nicht!

MF: Dank dem Internet ist es heute für Fans möglich, schon lange vor der Show zu wissen, wie die Setlist etwa aussehen wird. Laut verschiedenen Homepages spielt ihr dieses Mal keinen einzigen Song von «One Hour By The Concrete Lake» und nur eine Nummer, nämlich «Kingdom Of Loss», von eurer letzten Scheibe «Scarsick».

DG: Yeah... Darauf wurden wir schon von einigen Fans hingewiesen. Setlists sind immer eine schwierige Sache. Es ist halt einfach so, dass dir nach einer Zeit der eine oder andere Song zum Hals raushängt. Nicht, weil dir der Song nicht mehr gefällt sondern einfach, da du ihn so oft Abend für Abend gespielt hast. Gleichzeitig musst du natürlich gewisse Nummern bringen, weil das das Publikum einfach erwartet. Diese Fragen musst du dir also stellen: Was will ich spielen? Was muss ich spielen? Diese Fragen diskutieren wir in der Band vor jeder Tour. Letzten Endes musst du ja auch wirklich spielen wollen, was du dann spielen wirst. Zum Beispiel fragten viele Fans nach «Rope Ends» und «A Trace of Blood» (beide von «Remedy Lane» - Anm.d.Verf.). Deswegen nahmen wir sie in die Setlist auf, doch fühlte sich keiner von uns wirklich wohl damit. Besonders ich dachte, als wir die Nummer vorbereiteten, dass ich Song X oder Song Y viel lieber spielen würde. Ein Song wie «Kingdom of Loss» zum Beispiel. Den Song wollte ich schon immer live spielen, da ich glaube, dass er die beiden Seiten von Pain Of Salvation gut zusammenfasst, die persönliche und die politische Seite.

MF: Viele eurer Songs sind alles andere als einfach zu spielen live, etwa durch zusätzliche Instrumentierungen, mehrstimmigen Gesang oder speziellen Sounds. Denkst du an solche Schwierigkeiten, wenn du einen Song schreibst?

DG: Eigentlich versuche ich immer, Songs zu schreiben, welche wir dann auch wirklich live mehr oder weniger gleich spielen können. Ich denke das Material von «Scarsick» ist am schwierigsten, live zu reproduzieren. Die Leute denken wohl, es wäre schwieriger mit Songs von «Remedy Lane» oder «The Perfect Element», aber die Songs sind von der Stimmung her viel einfacher gestrickt als «Scarsick», welches für mich deutlich differenziertere und kontrastreichere Stimmungen besitzt. Und noch schwieriger ist wohl «Road Salt One» in dieser Hinsicht. Die Komplexität dieser beider Alben ist wohl aber versteckter, weniger offensichtlich als auf unseren frühen Scheiben.

MF: Da kann ich dir nur zustimmen. Ich habe einige Statements gehört, in welchen behauptet wird, eure neueren Alben seien simpler, geradliniger und etwas reduzierter. Mehr Rock'n'Roll, weniger Technik.

DG: Dagegen wende ich gar nichts ein! Was nicht stimmt, ist das Vorurteil, dass solche Sachen einfacher zu spielen sind. Anstelle von technischer Komplexität beinhaltet «Road Salt One» viel mehr kleine, feine Details und Finessen. Ein Song, welchen ich sehr gerne live spielen würde, ist «Tell me you don't know», diese bluesige, lockere Nummer. Aber ich glaube eben nicht, dass wir diesen Song so gut bringen könnten, wie ich das von uns erwarte. «Handfull of Nothing» (ein dramatischer, dunkler, technisch verdammt abgefahrener Track von «One Hour By The Concrete Lane» - Anm.d.Verf.) ist im Gegensatz dazu ein musikalischer Spaziergang für uns. Die Nummer ist lediglich technisch anspruchsvoll. Wenn du die Note dort spielst, wo du sie spielen solltest, dann hast du den Song. Und das, technisches, insbesondere rhythmisches Können, war und ist kein Problem für uns. Wir alle beherrschen unsere Instrumente blind und ich glaube, jeder einzelne von uns könnte locker in einer normalen Band Schlagzeug spielen und würde nicht abfallen. In rhythmischer wie instrumentaler Hinsicht gibt es für uns eigentlich keine Grenzen. Deswegen suche ich neue Wege, mich auszudrücken. Was dabei herausgekommen ist sind die Songs von «Scarsick» und noch verstärkt «Road Salt One». Diese Songs, welche hauptsächlich auf einer gewissen Stimmung, einem Feeling, einem Groove aufbauen, sind viel schwieriger zu reproduzieren. Bei «Tell me you don't know» zum Beispiel spiele ich alle Instrumente auf der Aufnahme selber und ich glaube, dass, wenn wir es live spielen würden, jeder der anderen einen Teil seines eigenen Stils einfliessen lassen würde, was sicherlich nicht schlecht klingen würde, dann aber wohl nicht mehr das wäre, was ich mir bei diesem Song vorstelle. Wie es genau klingen würde kann ich dir nicht sagen, da wir es gar noch nicht probiert haben. Ich fürchte mich ehrlich gesagt ein bisschen davor.

MF: Stimmst du mir zu, wenn ich behaupte, dass dies das Neue, das Unerwartete auf «Road Salt One», euer aktuellen Scheibe, ist? Dieses Bluesige...

DG: Persönlich würde ich es mehr mit 70's Hard Rock, mit dem handgemachten Rock'n'Roll aus dieser Zeit vergleichen. Aber natürlich ist die Wurzel dessen immer der Blues und somit hast du recht. Der Grund dafür ist wohl, dass ich in letzter Zeit eine Abneigung gegenüber all diesen modernen Produktionen entwickelt habe. Ich habe das Gefühl, dass die Musik irgendwo in diesem technischen Fortschrittsglauben auf der Strecke geblieben ist. Ich werde oft von anderen Bands und Künstlern angefragt, ob ich als Gast einen Song singen würde. Wenn ich dann mal die Zeit dafür finde, was selten der Fall ist, dann ist es leider so, dass die Demo-Versionen, welche ich kriege, mich viel stärker ansprechen als das überproduzierte, fertige Produkt. Das klingt dann immer alles so glatt. Die echten Drums wurden durch Trigger ersetzt, alles wurde angeglichen und mit einer wohlklingenden Schicht überzogen, sodass du den Song, zu dem du vor Wochen oder Monaten gesungen hast, gar nicht mehr findest. Dann denkst du: «Das war einmal ein guter Song und irgendwann wurde dieser zu Sound. Zu gutem Sound meistens, aber es ist kein wirklicher Song mehr».

MF: Vom Song zum Sound...

DG: Yeah! Und deswegen such ich momentan eine Produktion, welche die Instrumente, das eigentliche Spielen auf den Instrumenten unterstreicht anstatt überkleistert. Beim Suchen dieser Art von Sound bin ich dann immer wieder in den frühen 70ern gelandet, wo viele der heute schon fast wieder veralteten Produktionsmethoden erst nach und nach erfunden wurden. Da sie noch keine so ausgereiften Mittel hatten, legten sie Wert auf verdammt gute Verstärker, auf gute Gitarren usw. und hatten noch nicht begonnen, alles im Nachhinein überperfektionieren zu wollen. Diese Essenz der Musik wollte ich zurückbringen, aber auf eine moderne Weise. Mein Mantra bei «Road Salt One» lautete denn auch: 1976 auf Steroiden!

MF: Aber was entgegnest du jemandem, der behauptet, du würdest dich der ganzen Retro-Welle à la Wolfmother, Bigelf und Co. anschliessen? Zum Beispiel hat ein Bekannter von mir geklagt: «Das klingt nach Hippie-Geschrumme und Flower Power. Das ist gar nicht mehr Pain Of Salvation!»

DG: Meine erste Antwort wäre: Ich weiss am besten, was Pain Of Salvation ist, also halt die Klappe! Nein, ernsthaft: Darüber habe ich mir in letzter Zeit einige Gedanken gemacht. Viele Leute denken, der Ursprung von Pain Of Salvation, der Nullpunkt sozusagen, sei «Entropia», unser erstes offizielles Album von 1997. Was sie nicht bedenken ist, dass ich Pain Of Salvation schon 1984 als 11-jähriger gegründet habe, wir zuvor also schon über eine Dekade lang Musik machten. «Entropia» war das vierte Albumkonzept, welches ich geschrieben habe und einfach das erste, dass wir offiziell veröffentlichten. In diesem Sinne sehe ich «Entropia» nicht als Anfang, sondern vielmehr als Mitte meiner musikalischen Laufbahn. Was wir jetzt mit «Road Salt One» machen ist für mich viel originaler und ursprünglicher Pain Of Salvation als unsere ersten vier Veröffentlichungen.

MF: Aber was denkst du über diese Retro-Welle zurück in die 70er?

DG: Das ist eine zweischneidige Sache. Bei Bands wie Bigelf habe ich manchmal das Gefühl, dass ihre Musik schon beinahe als Nachahmung zu bezeichnen ist. Sie scheinen geradezu gewissen Kultbands nachzueifern und zu versuchen, konkrete Elemente abzukupfern. Das habe ich nie gemacht und habe ich nicht die Intention es jemals zu tun. Ich versuche immer Wege zu finden, auf welchen ich das, was ich denke und fühle, mit Musik und Texten auszudrücken. Von diesem Ziel lasse ich mich leiten. Persönlich habe ich noch nie etwas gehört, was man als Blaupause für «Where it Hurts», «Darkness of Mine» oder «Sisters» bezeichnen könnte. Alles, was ich getan habe, war die Verwendung eines Sound-Ideals, welches eben aus den 70ern kommt. Das wollte ich übrigens schon auf «Scarsick» tun. Durch die gegenteilige Meinung der Knöpfchendreher auf diesem Album verliess mich aber am Ende der Mut und ich polierte dann die Drums doch noch. Bei «Road Salt One» stand dagegen schon von Anfang an fest, dass ich keine Kompromisse eingehen und es ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen würde.

MF: Du hast gesagt, du versuchst mit deiner Musik deine Gefühle und Gedanken auszudrücken. Warum hast du dafür die Musik gewählt? Warum nicht Kunst, Literatur oder Film?

DG: Das tue ich ja alles! Die Albumkonzepte und die Lyrics sind ja so etwas wie Literatur, auch wenn nicht im normalen Sinn, und den Grossteil der Layouts und Covers gestalte ich ja auch selbst, also bin ich auch so etwas wie ein bildender Künstler. Was Filmemachen betrifft: Man kann ja nicht einfach einen Film drehen. Obwohl ich das sehr gerne machen würde. Warum ich aber gerade die Musik gewählt habe, um mich auszudrücken: Ich denke, ich bin gefangen im Kopf eines elf Jahre alten Jungen, der sich in den Kopf gesetzt hat, eine Band zu gründen und ein Rockmusiker zu werden. Um so älter ich werde, umso mehr werde ich mir bewusst, dass ich immer noch nach den Entscheidungen lebe, die ich mit elf gefällt habe. Das ist eine komische Sache. Ich bin jetzt 37 Jahre alt und normalerweise würde ich mir niemals von einem 11-jährigen sagen lassen, was ich zu tun habe. Und trotzdem: Alles, was ich heute mache ist das Resultat der Entscheide dieses Jungen. Ich frage mich, ob dieser Junge geahnt hat, was er mit dieser Entscheidung für Konsequenzen auslösen würde.

MF: Kannst du dich noch daran erinnern, welche Vorstellungen du vom Musikerleben hattest?

DG: Nicht wirklich! Für mich, denke ich, war es aber schon damals wichtig, eine Möglichkeit zu haben, meine Gefühle kanalisieren und ausdrücken zu können. Aber natürlich hast du deine Vorbilder, besonders in diesem Alter. Und wenn du dann an die Zukunft denkst, stellst du dir irgendwie vor, dass du mal wie diese Vorbilder sein wirst. Eigentlich glaubt man, dass man jemand anderes würde, aber das geht nicht. Dein Ich bleibt ja nicht irgendwo hinter dir liegen. Wenn ich berühmt wie Madonna wäre, würde ich nicht so sein wie Madonna, sondern immer noch ich. Mit elf hast du diese Vorstellung aber irgendwie. Dazu kommt, dass man sich immer Ziele macht und das Erreichen dieser für das Ultimative hält. Wenn man sie aber erreicht hat, wird man sich dessen gar nicht richtig bewusst, da man sich schon lange wieder neue Ziele gesetzt hat. Ich kann mich daran erinnern, wie ich als Teenie einen meiner Lieblingssongs hörte und dachte: «Scheisse, wär das geil, wenn ich diesen Song so gut spielen könnte!» Irgendwann bist du 26, hörst diesen Song wieder und denkst: «Wart mal! Als Kind wollte ich diesen Song unbedingt spielen können. Das kann ich ja seit 10 Jahren spielen und ich habe das nicht einmal bemerkt!» Bis man ein Ziel erreicht hat, hat man schon ein Dutzend weitere aufgestellt. So ist das Leben halt.

MF: Was kann Musik deiner Meinung nach besser ausdrücken als andere Kunstformen?

DG: Uhh... Ich weiss nicht, ob man verschiedene Kunstformen wirklich miteinander vergleichen kann.

MF: Deine persönliche Meinung vielleicht?

DG: Das weiss ich auch nicht wirklich... Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht... Vielleicht ist einer der Vorteile, das ist jedenfalls meine Meinung, von Musik, zumindest gegenüber Malerei oder Literatur, die menschliche Stimme. Mit der Stimme kannst du eine sehr direkte, intuitive, emotionale Verbindung herstellen zwischen Musiker und Hörer. Wenn du Qualen darstellen willst in der Malerei, dann kannst du zwar ein Bild wie «Der Schrei» von Edvard Munch malen, aber trotzdem denke ich, dass diese Nähe, diese unvermittelte Verbindung herstellen. Ich glaube, Bücher können dafür etwas anderes. Als Schriftsteller hat man Zeit, seine Figuren und Stimmungen aufzubauen. Man kann viel beschreiben und die Leser an ein Thema heranführen. Das ist auch der Grund, weswegen ich Konzeptalben mache. So kann ich einen dramatischeren Spannungsbogen konstruieren, um das was ich ausdrücken will, spannender, differenzierter und tiefer zu präsentieren. Bei Bildern ist das wiederum nicht möglich. Bilder haben dafür dieses Visuelle, Schnelle. Das ist der Vorteil dieser Kunstform.

MF: Wie nun schon einige Male erwähnt, ist es dir wichtig, dich selbst auszudrücken, deine Gedanken, Emotionen und grossen Ideen. Gleichzeitig hast du aber einen Plattenvertrag und lebst von der Musik. Es ist nicht nur Kunst sondern auch dein Beruf. Wie kommst du mit diesen zwei Polen klar, Ausdrücken und Geldverdienen?

DG: Hahaha... Das ist eine fiese Frage! Ich hatte und habe diese wohl völlig weltfremde Idee, dass wenn ich das tue, was ich wirklich tun will, und mich dabei auch verdammt anstrenge, sodass es etwas Einzigartiges wird, das von niemand anderem geliefert werden kann, dass das dann von alleine funktioniert. Passiert ist das bis jetzt offensichtlich noch nicht. Ich bin weder in den Charts noch reich. Solange es reicht stört mich das auch nicht. Das Problem ist aber, dass du von Jahr zu Jahr etwas verbitterter und niedergeschlagener wirst, wenn du siehst, dass du von anderen Künstlern überholt wirst, denen es aus irgendwelchen Gründen besser und lockerer gelingt als dir. Das ist übrigens eines der Hauptthemen auf «Road Salt One»: Dass ich trotz besseren Wissens immer wieder den steinigen Weg wähle, weil ich daran glaube. Und glaub mir, ich wünschte, es wäre leicht, auf den Highway hinunter zu schauen und kein Problem damit zu haben, von den anderen überholt zu werden, aber das ist es es nicht wirklich. Trotzdem bleibe ich auf dem Trampelpfad und das freiwillig, was wohl heisst, dass ich mich nicht beschweren sollte.

MF: Obwohl, oder vielleicht gerade weil ihr andauernd den harten Weg wählt habt ihr eine eingeschworene Fanschar. Um ehrlich zu sein wundere ich mich immer wieder, welch buntes und unterschiedliches Publikum an eure Konzerte kommt. Es ist nicht einfach, euer Publikum zu charakterisieren. Trotzdem: Was sind das für Leute, die Pain Of Salvation mögen?

DG: Ganz Verschiedene, da hast du recht. Ich denke es sind hauptsächlich Leute, die auf der Suche sind, Leute, die etwas suchen, worauf man nicht mit dem Finger zeigen kann, die eine Art von Ruhelosigkeit in sich drin haben betreffend ihres Lebens und der Art und Weise, wie die Gesellschaft so drauf ist. Viele unserer Fans suchen das Andere. Das wäre wohl das Gemeinsame unserer Fans, denn wir haben eine sehr breite Fanschicht. Im Publikum siehst du den Progrocker aus den 70ern neben dem Prog-Metaller stehen, den politisch angepissten Jugendlichen, den Punk, den Hippie, New-Metal-Leute und sogar Goths. Was mir dabei immer unglaublich gefällt, ist diese verschiedenen Typen im Publikum nebeneinander zu sehen und wie sie auf ganz unterschiedliche Weise alle von unserer Musik berührt werden. Da spielt auch das Alter gar keine Rolle, vom 10-jährigen Mädchen mit seiner Mutter bis zum 70-jährigen Opa, der seine Hippiezeit wieder erlebt ist alles dabei. Würden sie sich auf der Strasse begegnen, dann würden sie vielleicht nicht einmal wissen, dass sie etwas gemeinsam haben. Wenn sie dann aber auf der Bühne stehen, dann wirkt es irgendwie, wie wenn sie zusammengehören würden. Auch unser Publikum hat was von einem Kunstwerk.

MF: Lass uns noch über eure nächste Scheibe, die Fortsetzung von «Road Salt» sprechen. Geplant ist die Veröffentlichung auf März. Was können wir, vielleicht im Vergleich zu «Road Salt One», erwarten?

DG: Ich denke, dass es ziemlich nah bei «Road Salt One» sein wird. Es sieht so aus, als würden diese beiden Scheiben die meisten Ähnlichkeiten in unserer ganzen Karriere zueinander haben. Wir haben ja die Tendenz, von Album zu Album was komplett anderes zu machen. Diese beiden werden aber hoffentlich wie aus einem Guss klingen, denn sie wurden ja gemeinsam geschrieben und gehören auch inhaltlich zusammen. Vielleicht wird Teil 2 etwas düsterer als der erste, wobei das auch nur eine subjektive Vorahnung sein könnte. Also verlass dich nicht zu sehr auf diese Prognose.

MF: Habt ihr die Scheibe schon aufgenommen oder steht das für den Winter an?

DG: Ein Grossteil des Materials ist schon aufgenommen. Viele Songs haben wir gleichzeitig mit «Road Salt One» aufgenommen. Danach habe ich mich aber komplett auf den ersten Teil konzentriert und mich seither nicht mehr wirklich mit «Road Salt Two» beschäftigt. Ich bin ein bisschen gestresst deswegen, da ich nicht weiss, wie viel Arbeit letzten Endes noch ansteht.

MF: Dann kommen wir zu den letzten beiden Fragen. Normalerweise stelle ich an dieser Stelle immer die Frage, wo du glaubst, in 10 Jahren zu sein. Für dich aber etwas anderes: Wenn du für einen Tag Präsident der Welt sein könntest, was würdest du ändern?

DG: Das ist das Problem! Politisch ist es verdammt schwierig überhaupt etwas Grosses zu verändern. Und wenn du dann nur einen Tag Zeit hast...

MF: Ok, dann formuliere ich die Frage um: Wenn du einen Tag lang Diktator der Welt sein könntest, was würdest du ändern? Welche Gesetze würdest du erlassen?

DG: Ich würde alle meine Kräfte dafür einsetzen, die Unterschiede und Ungerechtigkeiten unter den Menschen aufzulösen. Diese grosse Schere zwischen arm und reich. Denn wenn wir ehrlich sind ist es einzig ein Verteilungsproblem. Es liegt nicht daran, dass wir zu wenig Ressourcen haben. Auch sind wir nicht zu viele Menschen auf der Erde, obwohl das in diesen Tagen häufig behauptet wird. Laut einer Statistik von WWF könnten wir mit den natürlichen Rohstoffen der Erde 50 Milliarden Menschen versorgen, ohne die Erde zu zerstören, sofern wir es klug anstellen und gerecht teilen. Auf Tour bekomme ich das grosse Problem unserer Welt immer wieder zu sehen: An manchen Orten kriegst du eine grosszügige, an anderen ziemlich mickrige Gage. Dabei ist es oft so, dass es gerade in den reicheren Ländern die kleineren Gagen gibt. Der Unterschied besteht dann darin, dass der Klubbesitzer aus dem reichen Land einen fünfmal teureren Wagen fährt als derjenige aus dem armen Land. Knapp formuliert geht es um folgendes Problem: Viel zu viele Leute fragen sich heute ständig: «Wie viel bin ich wert?» Dabei sollten sie sich fragen: «Wie viel weniger, kann ich wollen, haben Andere wegen mir?». Der CEO fragt sich, wie viel Geld er wert ist, während er sich eigentlich mal überlegen sollten, wie viel Geld weniger jeder Arbeiter verdient wegen ihrem Riesenlohn. Politisch gesehen braucht dies aber ein komplett anderes Denken. Natürlich könntest du als Diktator oder auch Politiker obere und untere Lohngrenzen einführen. Gleichzeitig macht es aber auch keinen Sinn, dass viele Leute keinen Job, andere viel zu viel zu tun haben. Letzterer ist gestresst und wird unglücklich, der andere hat das Gefühl, kein Teil der Gesellschaft zu sein und wird unglücklich. Wirklich unglückliche Menschen werden instabile Teile, was letzten Endes vielmehr kosten wird als wenn wir es ändern würden. Meiner Ansicht nach könnten wir, wenn es die Leute endlich begreifen würden, die ganze Welt ohne grosse Mühe zu einem besseren, gerechteren und glücklicheren Ort machen. Und trotzdem sind wir wohl noch Ewigkeiten davon entfernt.

MF: Nach diesem humanistischen Aufruf zu mehr Gerechtigkeit und Bescheidenheit kommen wir zur letzten Frage, welche vom Weltblick wieder zurück zu dir selber geht. Wie sieht für dich ein perfekter Tag aus?

DG: Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich einen Tag lang Diktator der Welt sein, hahaha... Nein! Ein realistischer, perfekter Tag für mich würde mit Ausschlafen beginnen. Danach hätte ich für einmal keinen Stress, sodass ich Zeit mit meinen Kindern verbringen könnte. Am Abend würde ich wohl mit meiner Frau in ein gutes Restaurant gehen, was Gutes essen, ein Glas Wein trinken und danach mit ihr ab in die Badewanne. Überhaupt gehört zu einem perfekten Tag ein Bad, egal ob mit einem guten Buch oder einer hübschen Frau. Ein perfekter Tag braucht nicht viel.

MF: Hört sich wirklich toll an! Daniel, ich danke dir für das ausführliche und intelligente Gespräch!

DG: Hat Spass gemacht! Ich hoffe, einen Tag lang Diktator sein klappt irgendwann mal...

MF: Da hätte ich auch nichts dagegen.