Interview: Nightwish
By Rockslave


Im Vorfeld der Veröffentlichung eines neuen Albums kommt man ab einem gewissen Status nicht umhin, entsprechend die Werbetrommel dafür zu rühren. Das galt natürlich auch für Nightwish, dessen von vielen Fans sehnlichst erwartetes, neues Studio-Album «Imaginaerum» am 2. Dezember 2011 bei uns erscheinen wird. Nebst dem Interview-Termin mit den angereisten Bandmembers Tuomas Holopainen (keys) und Marco Hietala (b/v) bekamen alle akkreditierten JournalistenInnen die Möglichkeit, das ganze Album ab einem extra dafür vorbereiteten, kleinen iPod ab zu spielen. Soweit so gut, aber mir blieb dafür vor dem Interview kaum Zeit, da ich mich zwar auch in einem Hotel namens "Renaissance" eingefunden hatte, dies aber, obwohl in der Nähe des Flughafens, das Falsche war! Damit deshalb nicht alles den Bach runter ging, schickte mir die PR-Frau von Warner kurzerhand ein Taxi, das mich dann in den Neubau neben der Maag Event Hall chauffierte. Dafür nochmals herzlichen Dank im Namen von Metal Factory, denn so konnte ich die beiden Protagonisten termingerecht befragen und bekam dann nachher noch die Gelegenheit, mir das kommende Meisterwerk in aller Ruhe rein zu ziehen!

MF: Tuomas, wie entspannst du dich nach dieser langen Zeit der kreativen Last und dem ganzen Druck?


Tuomas: Ich würde sagen, dass meine ultimative Erholung zu Hause statt findet. Ich will dann einfach heim in mein Haus gehen, ein Lagerfeuer machen und eine Flasche Rotwein trinken.

Marco: Bei mir sähe das sehr ähnlich aus. Wenn Du zu Hause bist, dann befindest du dich innerhalb der Wände, wo du dich wohl fühlst. Umgeben von deiner Familie kannst du ungezwungen in deiner Unterwäsche im Haus rum hängen, die Wäsche machen und all die Dinge, von denen gedacht wird, dass Leute wie wir dies nicht tun, aber wir tun es! Dann dir einfach die Zeit für irgendwas nehmen, was du gerade machst.

Tuomas: Alltägliche Dinge halt, die sind erholsam..., das Normale.

MF: War es denn für euch beide schwer, von all dem wieder runter zu kommen?

Marco: Es gibt da sicher eine bestimmte Geistesverfassung bei allem..., dem Touren, einem Album machen, einer Promo-Tour durchziehen und dann wieder nach Hause zu kommen. Speziell beim Spielen von Live-Shows über Wochen hinweg musst du einen Gang zurück schalten. Zuerst ist es eine bewusste Anstrengung, aber in den jetzigen Zeiten denke ich, dass ich etwa zwei Tage brauche, bis ich wieder "da" bin. Aber es ist normalerweise schon so und das wissen die Leute auch, dass wenn ich aus dem Flieger steige und nach Hause gehe, für ein paar Tage nicht wirklich zurück bin.

MF: Tuomas, du bist der Hauptkomponist, das Hirn von Nightwish und Marco hat auch ein paar Sachen beigetragen.

Marco: Danke!

MF: Wie bringen sich deiner Meinung nach die anderen Bandmembers im Entwicklungs-prozess der Band ein?

Tuomas: Ich mag es, die Dinge auf diese Weise zu tun, dass ich zuerst versuche, die Songs selber so gut wie möglich hin zu kriegen. Das ist eine ambitiöse Sache, die sich für mich aber am natürlichsten anfühlt. Und dann solange ich nicht Gitarre, Bass oder Schlagzeug spielen kann noch singe, mache ich einfach das Beste daraus mit den beschränkten Möglichkeiten, die ich besitze. Und wenn ich denke, dass ich einem Song nicht mehr geben kann, stelle ich ihn den anderen Bandmembers vor. Darauf beginnen wir mit der Arbeit..., ganz von vorne. Manchmal erfahren die Songs dadurch einen grossen Wandel, weil die anderen und das Girl viel Neues einbringen. Es kommt aber auch vor, das sich der Song überhaupt nicht mehr verändert, je nachdem. Das Bemühungen hierzu kommen aber definitiv von der Band.

Marco: Das Arrangieren und das Proben sind eine demokratische Angelegenheit innerhalb der Band. Alle sind gleichberechtigt und hören sich das Ganze an. Normalerweise ist so, dass wenn jemand eine Idee hat, hören wir uns das gemeinsam an, und wenn es für alle passt, wird es verwendet. Wenn du beispielsweise den Bass über einen Sequenzer laufen lässt, kommt dies ziemlich anders daher, als wenn du das Instrument normal spielst. Ich muss das dann soweit anpassen, dass es bequemer ist, als den Bass selber zu spielen. Das Gleiche gilt für die Gitarre und alles andere. Es macht dabei aber keinen Sinn, auf diese Weise den anderen in der Band damit zu überfahren, nur weil es einfacher geht. Das angenehme, relaxte und groovende Material mit Herzblut erschaffst du eigentlich nur dann, wenn die Leute selbst auch relaxt und überzeugt sind von dem was sie tun.

MF: Die Songs von «Dark Passion Play» waren ja schon komplett im Kasten, als Anette ihre Vocals hierzu nachträglich ergänzte. Wie war es jetzt, respektive hat sie Vorschläge für ihren Gesang eingebracht oder hast du festgelegt, was sie zu singen hat?

Tuomas: Ich trug ein ziemlich klares Bild in mir, wie sie zu allen Songs singen sollte..., die Gesangslinien und die meisten der Harmonien. Marco brachte auch noch einige mit ein, doch mir war es ziemlich klar. Sie interpretierte viel und das bildet das Grundgerüst eines Songs, um ihn dann live bringen zu können. Sie setzte ihre Bemühungen auf ein neues Level auf diesem Album und ich meine, sie machte einen guten Job für «Dark Passion Play», doch der Hauptunterschied zu jetzt ist das Vertrauen und der Glaube an sich selbst. Offen zu sein und ihre ganze Bandbreite in die Songs zu tragen. Das hörte man vorher nicht im Gegensatz zu jetzt, wo es natürlich klingt.

MF: Es muss für Anette schon eine ganz andere Situation als vorher sein. Nun ist sie näher an der Sache dran...

Marco: ...yeah..., sie tourte jetzt zwei Jahre mit uns und absolvierte eine unglaubliche Anzahl Konzerte, mehr als wohl in ihrem ganzen Leben zuvor. Und dann waren da die Sorgen, ob sie in die Fussstapfen (von Tarja Turunen - MF) treten kann und alles auf die Reihe kriegt, was diesmal im Studio anders war. Aber wie Tuomas schon sagte, kannst du einerseits das Vertrauen heraus hören und andererseits die Entspanntheit, für alles offen sein zu können.

Tuomas: Darüber hinaus spürt man die aufrichtige Liebe, die sie den Songs entgegen bringt. Vom ersten Demo an, das ich gemacht hatte, sagte sie zu mir, das sei das beste Material, das sie jemals gehört hätte. Und sie ist sehr glücklich und stolz darauf, dies singen zu dürfen. Sie hatte ihre Hausaufgaben bestens hinter sich gebracht, als wir die Demo-Aufnahmen machten. Sie kannte alle Songs und legte viel Emotionen in die Sache hinein. Das schmeichelt ihr natürlich das zu hören, und da steckt viel Aufrichtigkeit darin.

MF: Ich denke, sie fühlt sich jetzt sehr gut und wir werden nun eine "neue" Anette auf der Bühne sehen?!!

Marco: (lacht) - nun..., ich weiss nicht, aber zwei Jahre lang touren war eine harte Schule für sie und für uns auch. Wir hatten sowas vorher noch nicht gemacht und werden es wahrscheinlich auch nicht wieder tun. Nach einer gewissen Zeit waren wir alle etwas unten, aber zum Glück nicht alle gleichzeitig, sodass wir uns gegenseitig jeweils wieder aufbauen konnten. Wir werden es diesmal etwas ruhiger angehen und das wird hoffentlich allen gut tun.

MF: Tuomas..., du mit all deinen Visionen im Kopf solltest eigentlich ein Regisseur für Blockbuster Filme sein!?

Tuomas: Ich verstehe nichts vom Film-Business! Das Wenige, das ich in Montreal sah, wo wir unseren Film drehten, war nicht mein Ding. Wenn du der Meinung bist, das Music-Business sei eine komplizierte Angelegenheit, hievt dich das Filmwesen auf ein ganz anderes Niveau.

Marco: Und bei Filmen Regie zu führen, braucht es ein gerüttelt Mass an Passion und Geduld, damit alles so kommt, wie man es sich vorstellt.

Tuomas: Um Regie zu führen, nehme ich mal an, musst du fähig sein, mit aberdutzenden von unterschiedlichen Leuten jeden Tag zusammen arbeiten zu können. Dazu die Verantwortung zu tragen, immer nett zu allen zu sein und das soziale Umfeld mitzutragen. Ich denke nicht, dass ich für sowas geschaffen wäre..., nie!

Marco: Darum erstaunt es auch nicht, dass einige der grossen Namen eben gross sind!

MF: Hinsichtlich des kommenden Fantasy-Films, wie wurden die Schauspieler ausgewählt und in welchen Rollen wird man die ganze Band dann sehen?

Tuomas: Nun, das war der Regisseur, der alle Schauspieler gecastet hat. Wir sahen zu verschiedenen Rollen ein paar Auditions, hatten aber nicht viel dazu zu sagen. Wir wussten, dass der Regisseur weiss, was das Beste ist. Als wir dann dran waren, hatten wir aber keine Parts oder Dialoge. Man sieht die ganze Band in zwei verschiedenen Szenen, einfach am Spielen..., als Band. Nicht wirklich als uns selber, aber als Band.

MF: Um berühmte Schauspieler dabei zu haben, fehlte wohl das Geld?!

Tuomas: Die erste Sache ist in der Tat das Geld. Wir hatten ein Budget von etwa 3'500'000 Euro und wenn wir Tom Cruise hätten dabei haben wollen...

MF: ...Johnny Depp vielleicht?

Tuomas: Wer auch immer..., es gab geldbedingt keine Möglichkeit irgend eine Berühmtheit zu engagieren. Zum anderen wenn du unbekannte Gesichter bringst, die wirklich glaubwürdig sind, ist dies die beste Lösung, da es so keine Vorurteile gibt.

Marco: Es passiert dann nicht, dass du zum Beispiel sagen kannst "hey, das ist Robert de Niro und den habe ich in Frankenstein schon gesehen, von wegen dass der ein schön modelliertes Gesicht bekommen hat". Man kann sich aus all dem raus halten.

MF: Schläfst du generell gut oder hast du nachts Albträume..., die dich vielleicht zu Texten oder Musik inspirieren?

Tuomas: Pfff..., immer wenn Vollmond ist, schlafe ich schlecht! Das ist kein Witz, kommt nicht immer vor, hat jedoch schon was damit zu tun. Ich hatte letzte Nacht einen schrecklichen Albtraum und schreckte um 04.30 Uhr auf. Normalerweise schlafe ich aber gut, kommt aber darauf an.

Marco: Mir geht es gleich..., es gibt manchmal Situationen, wo ich mich in die Schulzeit zurück versetzt sehe..., und keine Hosen trage. Das ist widerwärtig und es gibt nichts Schlimmeres, als ohne Hosen in der Schule zu sein. (lacht)

MF: Neben den Tätigkeiten für das Business wie die Promotion, Interviews geben und so weiter. Was macht ihr, bis die Tour im nächsten Jahr starten wird?

Tuomas: Es steht eine umfangreiche Tourplanung an, viele Proben kommen auf uns zu, aber vielleicht werden wir einen angenehmen Unterbruch über die Weinnachtstage machen. Zusammen mit der Familie wie Freunden sein und nicht an die Tour zu denken. Und uns mit Energie für die Tour im kommenden Jahr aufzuladen.

Marco: Ich nehme zum sechsten oder siebten Mal am traditionellen Happening vor Weihnachten teil. Es gibt viele Leute in Finnland, die an dieser heavy x-mas Show teilnehmen. Da werden all diese Weihnachtslieder im Symphonic Metal Style gezockt, im Band-Rahmen. Da kommen viele Leute zusammen, die sich dann gegenseitig fragen, was man im vergangenen Jahr alles so erlebt hat. Das ist wirklich eine tolle Sache, ein paar solcher Shows zu spielen und im Tourbus, zusammen mit diesen schrägen Vögeln, unterwegs zu sein.

MF: Ich habe gesehen, dass ihr auch auf dem Billing von «70'000 Tons Of Metal» steht! Wisst ihr was da abgeht und was erwartet ihr von diesem Abenteuer?

Marco: Wenn wir da so unterwegs sein werden, erinnert mich das an die Möglichkeit eines neuen "Titanic"-Films von James Cameron. (lacht laut und anhaltend). Nun, im Pazifik hat es ja keine Eisberge, aber ich bin überzeugt, dass wir das überleben werden.

MF: Ist an sich eine geniale Idee..., oder?!!

Tuomas: Nun..., 40 Metal Bands zusammen auf dem gleichen Schiff..., wenn ein paar davon aus Finnland stammen, klingt das wie ein positives Desaster.

Marco: Ja..., hört sich nach schwerem Chaos an...

MF: ...aber es wird interessant werden! Doch für mich ist das zu teuer!

Tuomas: Gestern hörte ich von diesem Girl, das letztes Jahr mit dabei war, dass sie auf dem Top Deck in einem Pool sass, darüber der blaue Himmel und die Sonne die hell schien. Sie trank Margheritas und zehn Meter nebenan spielten Sonata Arctica! Als Fan würde ich dazu sagen, dass mir das gefällt..., definitiv..., eine meiner Lieblingsbands vom Pool aus ansehen zu können. Mit einem Drink..., und wer auch immer auf diese Idee zu «70'000 Tons Of Metal» kam, das geht ab!

Danach erzählte Marco, dass er vor ein paar Jahren die gleiche Idee hatte, dass ein Schiff die Küsten Finnlands abklappert und jeweils die Leute der Städte aufnimmt, wo man gerade vor Anker liegt und dann zum Beispiel in den Häfen auftreten könnte. Dabei würde man auch an verschiedene Landesgrenzen wie Russland, Estland, Polen oder auch Deutschland stossen. Marco sprach in dem Zusammenhang bereits mit dem Management von «70'000 Tons Of Metal», aber er wisse nicht, ob man sich ernsthaft auch mit dieser Variante auseinander setzt. Tuomas kommentierte dazu, dass dies eine sehr gute Idee sei.

MF: Nightwish ist eine weltweit bekannte Band und die nächste Tour wird wiederum länger andauern. Die Fans von überall auf der Welt erwarten euch, somit steht wieder ausgedehntes Reisen an...

Tuomas: ...wir würden dies nicht tun, wenn wir das Reisen, die Konzerte und uns selber untereinander hassen würden. Wir machen das, weil wir das lieben. Es ist in jedem Job so, dass es einen zwischendurch anscheisst. So musst du darüber denken und es muss dann halt stressig und ermüdend sein. Im übergeordneten Kontext ist es aber das Beste, was du haben kannst!

Marco: Das Lustige ist, dass von 24 Stunden die eineinhalb bis zwei Stunden es ausmachen, die Shows das Lohnenswerte daran sind. Dazwischen muss man halt viel reisen, aber ich habe nichts gegen Busreisen. Du hast da deine eigene Koje zum Liegen, Kaffeemaschinen, Fernseher, Unterhaltungssysteme..., einfach alles. Bücher, Spiele..., was auch immer. So ist es zumeist auszuhalten, um die Zeit vorüber gehen zu lassen. Klar ist es langweilig zwischendurch, aber die Show ist dann immer dazu da, den Tag zu retten.

MF: Das neue Album «Imaginaerum» ist ein Konzept-Album. Werdet ihr es am Stück durchspielen?

Tuomas: Auf keinen Fall! Aber ich will nicht über andere urteilen. Wenn eine Band ihr neues Album vom Anfang bis am Schluss durch spielt, glaube ich nicht, dass das der Mehrheit des Publikums gefallen wird. Ich meine, was Metallica mit «Master Of Puppets» gemacht haben, war wirklich cool..., 25 Jahre danach. Aber wenn man mit einem neuen Album ankommt..., nein, ich glaube wir werden das nie tun.

Marco: Ich bin gleicher Meinung, denn wenn ich mich in die Lage eines Fans versetze und mir eine Show anschauen gehe, dann will ich verschiedene Songs hören und dann auch möglichst die, die mir besonders gut gefallen. Ein ganzes Album durchspielen..., ok..., für ein, zwei, drei Shows mag das ja gehen, aber sonst. Ich versuchte das ja mit meinen Jungs von Tarot auch mit dem 25-Jahre Jubiläum des ersten Albums. Wir spielten das ganze Album an ein paar Festivals durch und das war dann auch gut. Danach spielten wir wieder einen gemischten Set, weil dir das auch als Band viel mehr Energie gibt.

MF: Was können wir vom kommenden Bühnenaufbau erwarten? Wieder ein Schiff und ähnliche Elemente wie das letzte Mal?

Tuomas: Kein Boot und kein Anker diesmal! Aber etwas in dieser Art natürlich schon...

Marco: ...explodierende Schweine und Zwerge!

Tuomas: Während wir hier sprechen, ist man daran, die Bühne und die Konstruktion zu designen. Im Moment befindet sich aber alles noch in Planung. Es wird Pyros geben und wahrscheinlich ein paar Leinwände und Bühnenaufbauten. Ich kann dir jetzt aber kein Beispiel davon, respektive eine genaue Antwort darauf geben.

Marco: Das ganze Licht wird wieder eine Riesensache. Wir teilen den Jungs ein paar Ideen mit und setzen dann den ganzen Kram in Finnland um.

MF: Was möchtet ihr zum Schluss den Lesern von Metal Factory und allen Schweizer Nightwish Fans noch mitteilen?

Marco: Metal Factory..., verwechselt das nicht mit X-Factor! Klingt etwas trocken..., nicht?!!

Tuomas: Sehr trocken!

Marco: Wir sind hier in der Schweiz, haben viele Fans und gute Shows gespielt! Wir sind erfreut, dass wir als Headliner in der grössten Konzerthalle vor 13'000 Leuten spielen werden. Die Erwartungen an den kommenden Frühling sind gut und ihr werdet alte wie neue Songs hören. Wir zollen allen Respekt, die freudig auf das neue Album gewartet haben und hoffentlich sehen wir uns bald!


Unser Rockslave (mitte) mit Marco Hietala und Tuomas Holopainen >>>