Interview: Nightwish
By Rockslave
Obwohl die Möglichkeit zu einem Interview mit einer der zur Zeit angesagtesten Metal Bands ziemlich kurzfristig reinschneite, überlegte es sich meine Wenigkeit nicht lange und sagte gleich zu! So kam es, dass ich mich anlässlich des offiziellen Nightwish Promo-Days in Zürich einfinden konnte. Stattfinden sollte das Ganze im Hotel Greulich, das mir zuvor nicht geläufig war, obwohl ich danach überrascht feststellen konnte, dass ich nach jedem Konzert im Volkshaus auf dem Weg nach Hause in Richtung Autobahn jeweilen unwissend daran vorbei gefahren bin! Im Hotel angekommen wurde ich von Andrea und Andi (MV) herzlich begrüsst und nahm erst mal in der Lobby Platz. Die Slots seien etwas in Verzug, aber sonst sei alles palletti, kriegte ich zu hören. Nachdem Drummer Jukka Nevalainen noch einen Phoner hinter sich gebracht hatte, sassen mir unvermittelt er und Keyboarder Tuomas Holopainen gut gelaunt gegenüber. Nachdem sich die beiden mit einheimischem (!) Flaschenbier (mit dem alten Gummiring-Verschluss) bewaffnet hatten, waren sie bereit für meine Fragen. (J = Jukka, T = Tuomas)

MF: Tuomas und Jukka..., ihr macht hier und jetzt den Promo-Part für das neue Album. Wo befinden sich die anderen Band-Members? In den Ferien?

T: Marco (Hietala), der Bassist, kümmert sich gerade um seine Zwillinge und geht seinen Vaterpflichten nach..., denke ich und Emppu (Vourinen, g) macht gerade was...

J: ...irgend etwas...

T: ...keine Ahnung, er hat in der letzten Zeit immer die verrücktesten Sachen am Laufen und Tarja hält sich in Südamerika auf, wo sie gerade klassische Konzerte gibt und zwar in Chile, Argentinien und Brasilien.

MF: Die ersten Schritte von Nightwish gehen auf das Jahr 1996 zurück, also noch nicht so lange her. Habt ihr in der Zeit je mit so einem grossen Band-Erfolg gerechnet?

T: Das ist der Punkt, denn wir hatten gar nichts erwartet. Wir verfolgten alle komplett verschiedene Pläne, was unsere Zukunft betrifft. Ich war auf der Universität und studierte Umweltwissenschaften und...

J: ...auch ich war wieder auf der Uni...

T: ...die anderen..., Tarja..., wir hatten völlig unterschiedliche Vorstellungen. Wir machten dann ein Demo-Tape, kriegten gleich einen Deal und spielten Shows. Es lief wie von alleine und so vergassen wir zu diesem Zeitpunkt die Uni und entschieden, dass das nun unser Ding sei. Seither befinden wir uns auf diesem Weg...

J: ... und wurden von Album zu Album besser, worüber wir uns natürlich freuten..., zu sehen, was in Zukunft abgehen könnte.

MF: Welche Rolle spielte dabei die (Fach-) Presse?

T: Es war für uns von Anfang an speziell, auch von den Magazinen getragen zu werden, aber..., ich weiss nicht..., wir kamen aus einem sehr kleinen Ort (im Osten Finnlands) und der Rest des finnischen Musik-Business ist konzentriert auf Helsinki. Deshalb war es zu Beginn schon etwas schwer..., im Sinne "was für Landeier seid ihr denn?"

J: Red necks (Proleten) ...

T: ... ja, genau! Es brauchte halt etwas Zeit, bis wir uns in die Szene einbinden konnten, aber es bestand von Anfang an ein Interesse an uns, da wir in einer gewissen Weise einzigartig waren.

MF: Tuomas, du bist der Bandleader und das komponierende Hirn der Band. Was ist der Beitrag von Tarja und den anderen Jungs an die Gruppe?

T: Für unsere Band ist es auf diese Art das Beste, dass einer für (fast) alle Songs und die Lyrics verantwortlich zeichnet sowie die Fäden (in der Hand) zusammen hält. Was ich musikalisch für die Band sehr gerne in Erwägung ziehe, ist das Abbild meiner Seele. Es muss einfach einer sein, der zur Sache schaut und die Kontrolle inne hat. Es steht aber ausser Frage, dass ich alles alleine mache. Die Band wird natürlich aus fünf Personen gebildet..., um die Songs arrangieren zu können und was das Ganze überhaupt ausmacht. Der Beitrag der anderen ist (immer) sehr wichtig!

MF: Für "Once", das kommende Album (VÖ: 7.6.04), sind viele orchestrale Parts und Aussagen zufolge die bisher "härtesten Gitarren-Riffs" eingespielt worden. Warum hast du gerade diesen Sound ausgewählt?

T: Wir wählen nie was zum Voraus aus! Das ist eine natürliche Angelegenheit; als ich mit den Songs angefangen habe, lag dem vorher nie ein Konzept für das ganze Album zu Grunde. Ich hatte ein paar Ideen..., neue Sachen und machte mich einfach an die Arbeit. Ich hatte keinerlei Vorstellung davon, wie es klingen sollte, bevor es fertig war. Ich widmete mich diesmal während des Songwriting-Prozesses mehr als bisher den Gitarren, was man auf dem Album deutlich hört. Zudem hatten wir immer auch schon die symphonische Seite der Musik, die wir auf den Vorgänger-Alben schon verwendeten. Für "Once" ging ich jetzt noch einen Schritt hin zum Maximum weiter und dies deshalb, weil es (das Orchester) eh das Beste ist, was du kriegen kannst.

MF: Was inspiriert dich für die Texte? Ich habe über deine Visionen was gelesen...

T: Jeder Song symbolisiert eine Seite aus dem Tagebuch meines Lebens. Hmm... (überlegt kurz)..., jedes Album stellt eine Reflektion des Lebens zu der jeweiligen Zeit dar. Es ist der Versuch, das Leben in der von dir geschaffenen Welt zu meistern. Nicht immer ist es persönlich gemeint, es können auch Dinge sein, die mich gerade interessieren, aber keine Umwelt- oder Polit-Themen. Ich will den Leuten nicht predigen, wie sie ihr Leben führen sollen und es steht auch nie eine Message dahinter, sondern einfach grosse Emotionen.

MF: In den finnischen Charts finden sich (für unsere Begriffe hier) ungewohnt viele Metal-Bands. Gibt es eine Erklärung dafür?

J: Ich denke, alle finnischen Bands haben etwas Spezielles ansich und die Leute begrüssen die hohe Qualität der Musik. Das ist der wesentliche Punkt, der für die Erfolge verantwortlich ist.

T: Dies ehrt uns, denn wenn du im Gegenzug Soul- oder Hip Hop-Musik anschaust, ist diese nicht echt, weil sie nicht in Finnland "geboren" wurde. Das ist jetzt nicht beleidigend gemeint, aber die Metal-Musik hat eine lange Tradition und reflektiert die melancholische Grundstimmung der Finnen mit diesen langen Nächten, dem Winter, der Kälte und all dem...

MF: Die Metal-Szene ist in den letzten Jahren wieder gewachsen und präsentiert sich stärker denn je. Zudem gibt es ziemlich viele Bands zur Zeit, aber wie steht es mit der Qualität?

T: Nicht nur in Finnland, sondern weltweit?

MF: Ja...

T: ...ich habe bisher kaum darüber nachgedacht.

J: Berühmte Bands..., ausser den Nu Metal-Acts aus den Staaten..., ich weiss nicht...

MF: ...bei vielen Bands muss man sagen, dass sie sich nach dem oder dem Vorbild anhören. Es ist wohl gute Musik, aber der Killer-Effekt fehlt weitgehend...

J: ...ich denke, dass es heutzutage schwierig ist, die Leute noch schocken zu können, weil alles schon mal auf einem bestimmten Level da war. Ich glaube, es hat damit was zu tun..., es bräuchte schon ganz neue Ideen, um das Publikum beeindrucken und sich von der Masse abheben zu können. Das ist sehr schwierig...

T: ...ja, das stimmt!

MF: Als sich Tarja eine Auszeit nahm, wurde dies den Fans über die Interviews der Metal-Presse mitgeteilt. Wie waren die Reaktionen in Finnland und dem Rest der Welt darauf?

T: Sie fielen in hohem Grad übertrieben aus..., ich meine, Bands tun sowas immer wieder, das heisst, dass man sich wegen irgend eines Grundes mal eine Pause gönnt.
Wir waren lange Zeit unterwegs auf Tour und Tarja wollte ihr Studium in Deutschland abschliessen. Für uns fühlte es sich normal an, deswegen eine Pause von sechs Monaten einzulegen, was uns die Gelegenheit bot, sich wieder mal mit Nebenprojekten zu beschäftigen. Die Band war zu keinem Zeitpunkt aufgelöst und wir hatten eh vor, im Sommer Festivals zu spielen und danach neues Material anzugehen. Die Fans waren in der Tat etwas aufgeschreckt, was aber ein gutes Zeichen ist, weil sie mit uns fühlen. Ich kann das schon nachvollziehen...

MF: Im Sommer werdet ihr ja auf ein paar Festivals spielen. Wird darauf auch eine reguläre "Once"-Tour folgen?

T: Mmm..h!

J: Das ganze Jahr ist praktisch schon ziemlich ausgebucht! Den ganzen Sommer hindurch werden wir auf europäischen Festivals spielen. Im August werden wir dann für das erste Mal während drei Wochen in den Staaten drüben unterwegs sein. Darauf freuen wir uns besonders! Von dort zurück, werden wir nach einer Woche Pause die Skandinavien-Tour bestreiten, um danach wieder für vier Wochen gross in Europa unterwegs zu sein. Gegen Ende des Jahres hängen wir schliesslich noch eine Headliner-Tour in Süd-Amerika dran! Wir haben also ganz schön was vor... (Bemerkung MF: Das Schweizer Konzert findet nun definitiv am 30.10.04 in Basel statt!)

T: ...und nach ein paar Wochen Pause um Weihnachten/Januar herum, beginnt das Ganze wieder von vorne...

J: Ja..., auch 2005 werden wir meistens mit Touren beschäftigt sein!

MF: Sicherlich habt ihr von den Troubles mit Stratovarius gehört. Was ist eure Meinung dazu und könnte sowas auch Nightwish passieren, weil du Tuomas ja auch der alleinige "Chef" in der Band bist?!

T: Ich habe mich bis jetzt nicht mit Kabbala auseinander gesetzt...

J: (lacht)

T: ...aber..., nun..., zuerst mal weiss ich nicht, was im Strato-Camp genau abgeht und zweitens darf man nicht alles glauben, was da so geschrieben wird! Und drittens können Finnen eine ganz spezielle Art von Humor entwickeln. Ich werde jedoch definitiv nichts mehr kaufen, bevor ich das nächste Album nicht vorher gehört habe. Die Situation ist in der Tat etwas abgefahren..., aber ich wünsche ihnen alles Gute, denn sie haben einen starken Einfluss auf uns ausgeübt. Es ist ein Riesendurcheinander und keiner weiss eigentlich genau, was da los ist!

J: Mal sehen, wie das weiter gehen wird..., interessante Sache.

MF: Vor ein paar Wochen wurden Timo Tolkki und Joacim Cans (HammerFall) von gewalttätigen "Fans" angegriffen und gar verletzt! Wie gefährlich ist es heutzutage, ein Musiker einer Heavy Metal Band zu sein?

T: Ich weiss nicht..., ich denke, es ist nicht gefährlicher als Autofahren im Stau...

J: ...du hast eher einen Crash...

T: Ich will auch gar nicht daran denken...

J: ...wenn Leute zu etwas angestachelt werden, dann tun sie es vielleicht, aber wenn man freundlich bleibt und sein Ding durchzieht, dann...

T: ...hat man eine bessere Chance! Aber es macht einen schon etwas Angst. Es ist wie im Fussball, wenn die Heim-Mannschaft ein Eigentor fabriziert. Das kann gefährlich werden, wie damals mit der kolumbianischen Elf..., aber man soll doch die Musik in den Vordergrund stellen und sich daran erfreuen.

MF: Heute freut ihr euch über...?

J: ...das neue Album und die anstehende Tour!

T: Ich sehe das genau so..., was uns das neue Album bringen wird?!

J: Wir sind zur Zeit total zufrieden mit dem Resultat der neuen CD und wir pushen uns gegenseitig hoch, so stark es geht und setzen alles daran, dass es die beste Sache für uns wird.

T: Die nächsten zwei Monate werden eine sehr aufregende Zeit für uns sein.

MF: Ich habe letzthin einen Beitrag zum finnischen Sprachgebrauch gelesen. Was heisst dabei das Wort "Koti" genau und wie übersetzt sich der Nachname "Kotipelto"?

T: "Koti" heisst einfach "zu Hause" oder "Heim" und "Kotipelto" bedeutet übersetzt "Heimfeld".

J: Ich glaube es hat damit was zu tun, dass früher die meisten Familien ländlich wohnten, also Heim und Feld hatten.

T: Dieses Wort wird sonst noch vielfach angewendet.

MF: Das Letzte, was ich sagen wollte, ist: "..."?

(Es folgte zuerst eine kleine Denkpause, ehe Tuomas und der grinsende Jukka sich dazu äusserten)

T: ... dass ich mir nun einen weiteren Whiskey ordern werde..., weil ich mich so schlapp fühle..., danach geht's mir dann besser!

MF: Wirklich?

T: Trink schottischen Whiskey, speziell "Lagavulin" und "Laphroaig"..., das sind die Besten!

J: (lacht laut)

MF: Und was ist mit dem berühmt berüchtigten Vodka?

J: Nun, ich habe gerade vier Liter aus Italien besorgt, weil das Zeug bei uns so sauteuer ist! Aber jetzt, dank der EU können wir mehr davon kaufen...

T: ...endlich hat die Regierung mal an die Rockmusiker gedacht!

Zum Schluss gaben die zwei augenzwinkernd zu Protokoll, dass sie aber nie sturzbetrunken auf die Bühne steigen, obwohl Tuomas das immer vorhandene Lampenfieber jeweilen mit einem Bier, ergänzt durch einen "White Russian" besänftigt. Mit diesem "feuchtfröhlichen" Schlusswort ging ein sehr angenehmes Interview zu Ende, das die landläufige Meinung, Finnen seien wortkarg und introvertiert in keinster Weise bestätigte. Im Anschluss an das Gespräch durfte ich, zusammen mit Oil4 von der Metalworld, spontan gar am gleichen Tisch wie die beiden Musiker Platz nehmen. Während wir (Oli4 und ich) gemütlich noch ein, zwei Bierchen stemmten, bestellten die anderen ihr Nachtessen und verbreiteten einfach gute Laune. Speziellen Dank an dieser Stelle auch an Andrea und Andi von MV - you rule!