Interview: Freedom Call

By Tinu
 
Keine Vergleiche mit Helloween mehr.



Vom einstigen Helloween-Plagiat zum Verfechter des Fun-Speed-Metals sind es oftmals nur «666 Weeks». Eine ziemlich blöde Einleitung für ein Interview, werden sich jetzt die Meisten denken. Aber die süddeutsche Truppe Freedom Call hat sich ihre dritte Scheibe «Eternity» nochmals zur Brust genommen und eben genau diese neunte Studioscheibe «666 Weeks Beyond Eternity» getauft. Wieso es gerade der dritte Streich von Freedom Call ist, erklärt Bassist Ilker Ersin an einem sonnigen Samstagnachmittag. Ilker spielte mit Bandleader Chris Bay (Gesang/Gitarre) schon bei Moon'Doc, der damaligen Combo des Ex-Accept- und Victory-Gitarristen Herman Frank. Wieso sich Mister Ersin 2005 von den hoffnungsvollen Freedom Call löste, 2013 zur Truppe zurück stiess, wieso der erste Gitarrist Sascha Gerstner nun überraschenderweise bei Helloween spielt und vieles mehr gab der wie immer freundliche und sympathische Basser zu Protokoll.

MF: Wie kams zu «666 Weeks Beyond Eternity»?

Ilker: Es sind genau 666 Wochen seitdem das Album «Eternity» aufgenommen wurde. Der Albumtitel wurde zum Programm, von Chris geschrieben, von uns aufgenommen und als Special für den Album-Re-Release verwendet.

MF: Was hat sich alles verändert zwischen den beiden Alben «Eternity» und «666 Weeks Beyond Eternity»?

Ilker: Puh, du weisst ja, dass ich von 2006 bis 2011 nicht bei Freedom Call mitspielte. In dieser Zeit wurden drei Studioscheiben komponiert. Jetzt versucht die Truppe mit mir zusammen ein bisschen «back to the roots» zu gehen. Dabei werden wir an die alten Sachen anknüpfen, als Sascha oder Cede noch Gitarre spielten. Das bedeutet nicht, dass wir uns reproduzieren oder neu erfinden! Es wurden in der Zeit ohne mein Beisein viele Dinge ausprobiert und dabei verliess man ein bisschen den Weg, welcher Freedom Call damals auszeichnete. Wir finden uns zurück (lacht).

MF: Wieso habt ihr euch gerade für «Eternity» als Re-Release entschieden?

Ilker: Weil dies das Album ist, auf dem die beiden Trademarks vorhanden sind. Zum einen «Warriors» und zum anderen «Land Of Light». Von meiner Seite her… Ich habe mich ein bisschen schwer getan mit der Entscheidung, denn auch das «Crystal Empire»-Album ist ein saustarkes Werk mit «The Quest» als Beispiel. «Eternity» war oder ist DAS Freedom Call-Album bei den Fans und identifiziert mit den beiden genannten Liedern die Zeit von Freedom Call. Alleine aus diesem Grund lag es nahe, genau «Eternity» wieder zu veröffentlichen. So viel ich gehört habe, war es auch das erfolgreichere Werk (lacht).

MF: Hast du spezielle Erinnerungen an die Aufnahmen zu «Eternity»?

Ilker: Auf jeden Fall. Jedes Mal, wenn wir die Stücke spielten, auch bei den Proben, erinnerte ich mich an die Studiosituation. Speziell die Balladen wurden geschrieben, als gewisse Emotionen am Start waren (grinst). Die Texte von Daniel (Zimmermann, Schlagzeug) haben mich in eine bestimmte Situation zurück geflasht. Zum Beispiel: Herzschmerz, Liebeskummer (grinst) und so weiter.

MF: War damals für euch «Eternity» auch so ein bisschen das «make it or break it», weil es die dritte Studioscheibe von Freedom Call war?

Ilker: Oh Gott. Das ist mittlerweile Standard. Man sagt immer, mit dem dritten Album steht und fällt die Geschichte für eine Band. Damals war dies sicher so, auch für die Plattenfirma, die sich auf dem digitalen Markt neu orientieren musste. Heute hat dies keine Bedeutung mehr. Dieses «old school»-Denken, wie damals bei Bon Jovi mit «Slippery When Wet». Wenn du es mit der dritten Scheibe nicht geschafft hast, schaffst du es überhaupt nicht mehr. Würden wir heute nochmals neu starten, ist diese Denkenshaltung total überholt. Das interessiert keinen mehr, wie viele Platten du auf dem Markt hast, sondern wie oft kannst du live spielen, wie bist du präsent und welche Party schmeisst du! Wieso hatten Van Halen damals diesen Riesenerfolg? Die haben nicht nur in den renommierten Clubs, wie dem Whiskey und dem Troubadour gespielt, sondern haben ihre Garagenpartys geschmissen, zu denen die Leute jedes Wochenende hingefahren sind. So haben Van Halen ihre Platte schon verkauft, bevor sie überhaupt auf dem Markt war. Die Fans kannten die Songs schon! Das Gleiche haben wir heute mit dem medialen Prinzip Facebook. Du kreierst zuerst etwas, wirst bekannt und findest zu den Fans. Nicht umgekehrt.

MF: Werden noch andere Alben folgen, die wiederveröffentlicht werden?

Ilker: Ich denke, das war eine einmalige Geschichte. Du kennst uns ja (grinst), wir sind kreativ genug und haben immer wieder etwas Neues veröffentlicht. Zusammen mit Lars (Rettkowitz, Gitarre) Chris und mir sind genügend starke Songschreiber an Bord. Da komponieren wir lieber etwas Neues.

MF: Wieso hast du damals die Band verlassen?

I
lker (grinsend): Das ist jetzt mies (lacht). Es war für mich wirklich an der Zeit… Vorher habe ich zusammen mit Chris bei Moon'Doc gespielt. Das war das Baby von Herman (Frank). Chris war schon ins Songwriting integriert. Als Chris zusammen mit Daniel Freedom Call gründete, hat er mich gefragt, ob ich auch mitmachen will. Damit ich meiner Kreativität freien Lauf lassen kann, musste ich Powerworld gründen. 2006 habe ich schon gestartet mit dieser Truppe und die ersten Titel geschrieben. Bei Freedom Call kamen diverse andere Kleinigkeiten dazu, bei denen ich spürte, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss.

MF: Wieso bist du dann zu Freedom Call zurückgekehrt?

Ilker: Weil sie mich gebraucht haben (lacht)…

MF: …oder du die Band (beide lachen)?

Ilker: Oder so (lacht)! Chris und ich sind in Kontakt geblieben und er hat mich angefragt… Zuerst habe ich nur ausgeholfen. Weil damals der alte Bassist Sami Saemann Vater wurde. Aus diesem Grund war er nicht mehr so oft verfügbar. Chris hat mich gefragt, ob ich aushelfen könnte. Zu der Zeit spielte Ramy Ali (Drums) öfters mit. Auch wenn auf der Platte ein anderes Line-Up zu hören war, standen auf der Bühne immer Chris, Lars, Ramy und ich. Darum hat Chris bei Sami angefragt: «Sag mal Sami macht es noch Sinn, dass du in der Band bist, wenn Ilker immer die ganzen Konzerte spielt?»

MF: Du hast Moon'Doc erwähnt. War diese Truppe auch der Startschuss für Freedom Call?

Ilker: Es war der Startschuss, dass Chris und ich durch Herman Frank in die internationale Branche rein gerochen haben. Das Eine hat mit dem Anderen überhaupt nichts zu tun. Chris hat während und auch schon vor Moon'Doc immer eigene Lieder geschrieben.

MF: Mit Daniel (ehemals Gamma Ray) kamen auch die ganzen Vergleiche zu Helloween und Gamma Ray hoch. Hat dich das gestört oder war dir das egal?

Ilker: Zu Beginn hat mich das, ganz ehrlich gesagt, gestört. ABER. Heute klingen ja selbst Helloween nicht mehr so, wie zu «Walls Of Jericho»-Zeiten. Mit den ganzen Parts, sind die Kürbisse schon fast eine progressive Truppe geworden. Songs zwischen 12 und 18 Minuten, das sind richtig kleine Epen. Ich kenne Andi (Deris, Gesang) noch von Pink Cream 69 (lacht). Wir beide sind «old school» Heavy-Metal- und Hardrock-Fanatiker. Tyketto, PC69, Gotthard… Aber kommen wir auf deine Frage zurück (grinst). Damals hat es mich gestört, dass wir als Klone oder Abklatsch angesehen werden. Heute ist es so, dass sich Freedom Call dermassen entwickelt hat, dass wir unseren eigenen Sound haben. Das Songwriting und die Arrangements von Chris haben einen Wiedererkennungseffekt.

MF: War es ein Thema, Daniel in die Band zurück zu holen, da er nicht mehr bei Gamma Ray spielt?

Ilker: Von meiner Seite her nicht. Weil es auch Entscheidung von seiner Seite gab… Er ist Vater geworden. Hätten wir nicht ein so starkes Line-Up bei Freedom Call, könnte man freundlich anklopfen und anfragen. Aber die jetzige Besetzung ist sehr solide, die auch in der menschlichen Zusammensetzung unschlagbar ist. Man versteht sich blind. Darum besteht auch keine Notwendigkeit etwas zu ändern. Würde Daniel anfragen, kann ich dir nicht sagen wie Chris reagieren würde. Die alte Freundschaft ist da, aber da hat das Eine mit den Anderen nichts zu tun. Entscheidungen wurden damals um 2008 und 2009 getroffen. Dann hat Klaus (Sperling, Nitrogods) ausgeholfen und kam fest ins Line-Up. Wie bei Rami und mir. Die Sache hat sich gefunden und es gibt gewisse Gründe, wieso sich etwas findet. Für uns vier ist es so, wie es ist: Einfach perfekt! Sonst würde ich es nicht machen, dazu kennst du mich lange genug (lacht).

MF: Sascha (Gerstner) hat euch damals verlassen. Was waren die Gründe?

Ilker: Sascha ist ein Mensch, der ein ziemlich grosses Ego hat. Er war von seiner Persönlichkeit her noch sehr jung und naiv, hatte aber einen Dickschädel und immer versucht, den durch zu bringen. Zusammen mit Chris passte dies nicht. Eine Truppe erfordert auch gewisse Strukturen, das ist in einem Job genau gleich. Akzeptiert einer diese Strukturen nicht, das hat nichts damit zu tun jemanden Dogmen aufzudrücken… Man muss teamfähig sein. Ich attestiere dem Herrn Gerstner damals mangelnde Teamfähigkeit (lacht).

MF: Warst du dann überrascht, dass er bei Helloween eingestiegen ist?

Ilker: Insofern war dies überraschend, weil uns damals der Produzent bei einer Produktion sagte, dass Sascha nicht zu Freedom Call passt. «Der ist nicht teamfähig.» Genau der gleiche Knöpfchendreher hat ihn dann zu Helloween gebracht. Aus diesem Grund war es logischerweise überraschend (lacht).

MF: Ihr wollt die Leute immer mit einem Lächeln nach einem Konzert nach Hause schicken. Wie schwierig ist es, selber immer mit einem Lächeln auf der Bühne zu stehen?

Ilker: Sehr schwer! Aber das ist der Job! Das ist nicht gespielt, denn ich versuche eine Stunde vor dem Gig in mich zu gehen. Die Fans bezahlen harte Währung für das Ticket und die haben es nicht verdient, dass ich die mit meinen Problemen belaste.

MF: Gibt es aber auch Momente, bei denen du auf der Stage explodieren könntest?

Ilker: Klar, wenn die Technik nicht funktioniert. Dann könnte ich aus der Haut fahren (lacht). Aber sonst ist alles easy. Diese Dinge kann man mittlerweile auch händeln. Ansonsten, mein Gott, das sind die alltäglichen Dinge aus dem Leben, mit denen sich jeder rumquält.

MF: Das letzte Studioalbum erschien 2014, arbeitet ihr schon an neuen Liedern?

Ilker: Wir sollten bald starten, ja (lacht). Ideen sind sicher schon da und wie ich Chris kenne, hat er schon einiges aufgenommen. Selber habe ich auch schon gewisse Dinge vorbereitet und wir werden uns sicher nach der Tour zusammensetzen. Das muss dann alles wieder schnell gehen. Für das erste Album hast du ein Leben lang Zeit, aber wenn du auf dem Markt bist, musst du spätestens alle sechzehn Monate etwas Neues hinterher schmeissen. Es macht aber Sinn, dass wir unsere neuen Songs im Proberaum zuerst einfach mal durchknüppeln. Wir haben erst jetzt wieder gemerkt, als wir die alten Tracks von «Eternity» probten, dass es viel geiler klingen kann, wenn der Riff-Teil zuerst kommt und man den Anfang umdreht. Darum hat auch Chris gesagt, dass es Sinn macht, die neuen Songs einfach mal durch zu spielen. Erst dann findest du heraus, was greift und was nicht!

MF: Chris ist Produzent, Komponist und Sänger der Truppe. Ist er der Bandleader von Freedom Call?

Ilker: Auf jeden Fall ist er unser Kapitän. Er organisiert und macht alles. Daniel und er waren früher das feste Team bei Freedom Call. Durch die ganzen Wechsel ist Chris alleine geblieben. Jetzt hat sich wieder eine Mannschaft gefunden und Chris versucht alle zu integrieren, so wie es in den Anfangszeiten war. Das schätze ich sehr an ihm, sonst wäre ich nicht dabei und würde für Geld bei irgendeiner Band spielen. ABER! Chris ist der Hauptproduzent und lässt uns dabei unser Mitspracherecht. Die letzte Entscheidung liegt aber bei ihm. Dafür trägt er auch die Verantwortung, wenn etwas in die Hose geht.

MF: Ist Freedom Call der Sound, den du immer spielen wolltest?

Ilker: Hmm! Die Frage hat dir Spass gemacht (grinst)! Sagen wir es mal so. Jeder hat seinen persönlichen Geschmack. Aus diesem Grund gibt es Stücke, die sich besser mit dem verbinden lassen und Lieder, bei denen dies weniger passt. Früher war ich nie ein Freund von diesen ganzen Doublebass-Drum Attacken. Weil ich der Meinung bin, dass Songs ab einer bestimmten Geschwindigkeit live nicht mehr klingen. Ich bin eher ein Freund von getragenen und melodiöseren Geschichten. Wobei das nicht heisst, dass ich schnellere Songs nicht schreiben kann. Aber meine Welt sind die «New Wave Of British Heavy Metal» und die «old school» Dinger. Kommt im Moment auch wieder sehr oft im Fernsehen. Keine Ahnung wieso! Dauernd diese Metal-Nacht von 1983 (Rock Pop In Concert), mit Krokus, Iron Maiden, Judas Priest, MSG, Quiet Riot, den Scorpions, Def Leppard und Ozzy. Das ist der Hammer und die haben das Ganze noch restauriert. Thunder war damals eine meiner Lieblingsbands. Wie Gotthard mit dem ersten Album oder Victory.

MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?

Ilker: Gesund bleiben und Spass haben (lacht)! Dann ein neues Album mit Freedom Call aufnehmen und wenn die Zeit reicht, auch eines mit Powerworld. Ich kann nicht nichts tun (lacht), dazu stehen bei mir zu viele Gitarren und Bässe rum zu Hause. Wenn ich keine Musik mache, dann grille ich oder koche! Egal ob türkisch, italienisch, mediterran oder asiatisch.

MF: Besten Dank fürs Interview, weiterhin viel Spass, Erfolg, Glück und Gesundheit.

I
lker: Danke, dir auch mein Freund!