Interview: Deep Purple
By Rockslave


Die Anfrage kam kurzfristig rein und musste terminlich noch zurechtgebogen werden. Glücklicherweise liess sich das Ganze für beide Parteien einrichten und somit kam ich nach einem Unterbruch von dreizehn Jahren zum zweiten persönlichen Interview mit einem Deep Purple Musiker. War es das letzte Mal in Grindelwald im Jahre 2000 mit Roger Glover (b), war nun Schlagzeug-Legende Ian Paice mein Gesprächspartner. Nach dem Tod von Jon Lord (R.I.P.) und dem Ausstieg von Ritchie Blackmore vor knapp zwanzig Jahren ist Ian nun der einzig verbliebene Ur-Member von Mark I. Das heisst nichts anderes, als dass jeder Song, der irgendwann mal unter dem Namen Deep Purple erschienen ist, immer vom gleichen Drummer eingespielt wurde! Echt krass, wenn man bedenkt, dass seit dem Debüt «Shades Of Deep Purple» satte 45 Jahre ins Land gezogen sind. Ich rief Ian zu Hause in London an und unterhielt mich mit ihm vor allem über das neue superbe Studio-Werk «NOW What?!», das mich total umgehauen hat und alle Fans ebenso freuen wie überraschen wird. Deep Purple selber sind auch sehr zufrieden damit, was nicht zuletzt auch der Verdienst von Producer-Ass Bob Ezrin sein dürfte.

Vor dem Interview stellte ich mich Ian kurz vor und kam natürlich nicht umhin ihm zu erzählen, dass ich ein ganz grosser Fan von Deep Purple sei und dies schon sehr lange. Dazu gehört natürlich untrennbar die Geschichte eines Albums mit dem Titel «In Rock» (1970) dazu, das damals, als ich es zum ersten Mal in die Finger bekam, meine musikalische Sicht der Dinge veränderte und mich fortan durch mein ganzes bisheriges Leben begleitet. Ian kommentierte dies kurz, aber geehrt mit einem „great!“

MF: Ian…, lass uns umgehend über das neue grossartige Album «NOW What?!» sprechen! Ich habe es jetzt mindestens schon zehn Mal angehört und es hat mich schlicht weggeblasen! Ich nehme an, dass auch du, respektive ihr damit zufrieden seid, oder?

Ian: Ja, wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis! Über die Jahre hinweg haben wir Platten gemacht, die uns einfach von der Hand gegangen wie einfach zu schreiben gewesen sind und solche, bei denen es genau umgekehrt war. Die so genannten „einfachen“ Scheiben neigten dabei dazu, die besseren Werke zu sein, und diese (also «NOW What?!» - MF) gelang uns sehr leichtfüssig. Wir befanden uns ja während sechs, sieben, acht Jahren nicht mehr in der unmittelbaren Umgebung eines Studios. Als wir uns entschieden, wieder neues Material zu komponieren, befanden wir uns für etwa gut zwei Wochen irgendwo in Zentraldeutschland, wo wir eine grosse Bühne zur Verfügung hatten. So spielten und jammten wird da herum und schauten mal, was für Ideen zusammen kamen. Es war dann offensichtlich, dass wir eine sehr kreative Zeit verbrachten, die jeden Tag eine ganze Menge guter Vorschläge abwarf. Nach zehn bis zwölf Tagen Arbeit hatten wir schliesslich dreizehn bis vierzehn Rohfassungen, die uns sehr stark vorkamen. Es war wirklich ein völlig unkomplizierter Prozess, und manchmal geht man in einen Rehearsal-Raum…, ich meine…, ein Jahr zuvor waren wir für ein paar Wochen in Süd-Spanien und hatten nach der gleichen Zeit vielleicht drei Ideen ausgearbeitet. Es funktionierte schlicht nicht und uns fehlte die Fähigkeit, einen Moment der Inspiration ausserhalb der Vorstellungskraft einzufangen. Das Ganze in Musik zu transferieren war so einfach nicht möglich, ein Jahr später hingegen schon!

MF: Fantastisch! Dann sind das also alles brandneue Songs?

Ian: Ja! So ist es…, alles ist neu, alles ist…, weisst du…, eine der Ideen (vielleicht auch zwei), die wir noch in Spanien erarbeitet hatten, wurden eingebunden. Alles andere aber enstand durch morgendliche Jams und einige Sachen steuerte Steve noch von Demos bei, die er hatte. Es war eine Art Auswahl-Prozess, der einerseits total chaotisch ablaufen und andererseits sehr effektiv sein kann. Und diesmal war es, wie schon gesagt, sehr effizient und viele Ideen kamen, recht unterschiedliche und für das Spielen wie Hören interessante zugleich.

MF: Es bestand also kein wirklicher Anlass eine neue Scheibe zu machen, sondern es passierte einfach?!

Ian: Ja…, nun… in den letzten zehn Jahren war wir sehr oft auf Tournee und wenn du sechs bis sieben Monate im Jahr unterwegs bist, hat man kaum Zeit für andere Dinge, die wichtig im Leben sind, wie deine Familie oder andere Angelegenheiten. Das Jahr hat nur zwölf Monate und währenddem bleibt auch keine Zeit über andere Projekte nachzudenken. 2011 entschieden wir uns dann für ein deutlich entspannteres Jahr 2012 in Sachen Konzerte. Wir brauchten einfach mal eine Pause und unser Publikum ebenso. Dann so gegen Mitte Jahr dachten wir, dass wir wieder was Produktives machen sollten. Da wir keine gefestigten Termine für einen nächsten Tourstart hatten, kam die Frage auf, ob wir nicht vielleicht was Neues schreiben wollen, das wir dann gerne aufnehmen würden. Da dieser Druck also fehlte, war es einfacher umzudenken und wir hatten plötzlich Zeit, uns neuer Musik zu widmen und wenn man eben nicht unter Druck steht, hilft das einem enorm.

MF: Welche Geschichte steht hinter der Verpflichtung von Bob Ezrin als Produzenten für euer neues Album?

Ian: Als das Gerücht umher ging, dass wir eine neue Platte in Erwägung ziehen, sagte Bob dazu, dass er wünsche, hier miteinbezogen zu werden. Das war natürlich eine riesen Sache, da Bob schon immer eine ganze Menge guter Produktionen abgeliefert hat und auch weiterhin tun wird. Er hatte im Studio eine natürliche Herangehensweise wenn es darum ging, sich bei einem Musikstück auf das Wesentliche zu fokussieren. Er kam mal anfangs 2012 nach Toronto an eine Show von uns und sagte, dass wir uns am Morgen danach treffen und darüber befinden, welche Gefühle wir alle bezüglich einem anstehenden Studioaufenthalt hätten. Bob sagte uns dann, dass das, was er am Vortag gesehen hatte, eine wunderbare freie Form der Innovation und musikalischen Spontanität bezüglich unseres Spiels war…, quasi Feuer und Flamme. Was er nun gerne möchte, sei, dieses Feeling der Live-Show im Studio entsprechend einzufangen und umzusetzen. Er hatte keine Lust, eine stereotype Aufnahme zu machen, sondern dass möglichst viel live gespielt wird. Als wir dann merkten, dass wir uns darin einig sind, sagten wir „lasst es uns so tun!“

Darauf erzählte mir Ian ausführlich, wie die Arbeit mit Bob Ezrin vonstatten ging und seinen Anfang in einem wunderbaren grossen Studio in Nashville nahm. Sie mussten also nur noch dorthin gehen und anfangen, die Songs zu einzuspielen. Dadurch, dass man auch keinerlei Auflagen in Sachen Radiotauglichkeit an den Tag legen musste, stand lediglich die Musik im Vordergrund. Und obwohl man nicht immer gleicher Meinung wie Bob war, wusste er stets zu sagen, was passt und was nicht. Waren die Musiker ganz in ihr Spiel vertieft, hatte Ezrin stets das Gesamtbild vor Augen. Nach zweieinhalb bis drei Wochen war alles beisammen und man fühlte, dass es ein starkes Album geworden war und nicht bloss das Aneinanderreihen einzelner Songs. Dabei spielte es auch keine Rolle, wie lange zum Beispiel das jeweilige Stück dauert. Wenn alles in vier Minuten Platz finde, dann sei es eben so richtig und wenn dafür sieben oder acht Minuten zu Buche schlagen, ebenso. Die Freude im Studio währte für beide Seiten gleich und auch Bob Ezrin als fungierendem Produzenten gefiel die erstmalige Zusammenarbeit sehr.

MF: Du bist das Bandmitglied mit der am längsten andauernden Zugehörigkeit, notabene 45 Jahre nach «Shades Of Deep Purple». Möchtest du hier das halbe Jahrhundert noch erreichen oder dich doch früher zur Ruhe setzen?

Ian: Warum sollte ich da aufhören? (lacht) – ich weiss es nicht mein Freund. Um ehrlich zu sein, gibt es nur zwei Dinge, die Deep Purple stoppen können. Das Erste ist, wenn uns niemand mehr hören und sehen will und das Zweite, wenn wir das Ganze physisch nicht mehr stemmen, respektive nicht mehr den von uns gewünschten Standard halten können. Und wenn wir weiterhin gesund bleiben und Spass haben, sowie die Fans uns weiterhin die Stange halten, werden wir so lange weiter machen, wie wir dazu imstande sind.

MF: Wie schon angesprochen, spielt ihr immer noch sehr viele Konzerte an zahlreichen Orten auf der ganzen Welt. Was brauchst du persönlich, um dir die Reiserei möglichst angenehm zu gestalten?

Ian: Wenn du es mal raus hast, wie man ernsthaft auf Tour geht, wird dies zum Vergnügen. Ich sage das aber natürlich aus der sehr komfortablen Lage heraus, in einer erfolgreichen Band zu sein. Wenn du so zwischen 18 und 20 Jahre alt bist, spielt das keine Rolle. Da ist jeder Tag eine Riesen-Party, du machst einfach und denkst über nichts nach, hast keine Frau, keine Kinder, kein Haus. Alles was du hast, ist dein Instrument, deine Freunde und das Publikum. So ist das Leben sehr simpel und die Tourneen bereiten immer Spass, egal was kommt oder ist. In lausigen Hotels zu nächtigen oder mit einem dreckigen alten Bus unterwegs zu sein…, nichts davon kümmert oder hält dich auf. Später dann, also viiiel später realisierst du schliesslich, dass es nicht mehr so wie früher abgehen kann. Dein Körper erholt sich nicht mehr in der gleichen Art und Weise. Jeden Tag bis morgens um fünf in Clubs abhängen, fünfzehn Liter Bier trinken, spät aufstehen und dann am folgenden Abend eine Show spielen…, das kannste vielleicht einmal so machen. Doch das geht nicht mehr sieben Tage die Woche, als du noch jung warst. Das heisst, du lernst und führst Veränderungen herbei.

Dann verstehst du auch so simple Dinge, wie es zum Beispiel wichtig ist, genug Schlaf zu kriegen. Somit bist du dann immer fit für das nächste anstehende Konzert. Wir gehen einfachen Dingen nach, die wir uns…, aufgrund des Erfolges vom Glück begünstigt, halt gewähren…, wie in guten Hotels zu logieren und mit Privat-Jets zu reisen. Deshalb müssen wir auch nie früh aufstehen…, das heisst, wenn wir morgens um ein oder zwei Uhr ins Bett kommen, stehen wir nie vor zehn Uhr auf. Wir gönnen uns also immer etwa gut acht Stunden Schlaf und das ist sehr wichtig! Wir haben unseren eigenen Fahrplan und gehen immer um etwa ein Uhr mittags los. Das Equipment wird ja jeweils über Nacht transportiert und wir brauchen dann mit dem Flieger so eineinhalb bis zwei Stunden bis zum nächsten Ort. Das heisst so gegen halb vier nachmittags kommen wir jeweils im Hotel an. Auf diese Weise kann man es aufrecht erhalten und jeder bleibt fit. Genügend Schlaf und gutes Essen sowie das Fernhalten von Stress. Das ist es, was Deep Purple über all die Jahre am Leben erhalten hat, uns weiterhin reisen und all die guten Konzerte überall auf der Welt, so wie du das gesagt hast, spielen lässt.

MF: Ihr habt eine Unmenge an Live-Aufnahmen aus fast allen Karriere-Abschnitten veröffentlicht, aber bis heute fehlen da einige brillante Sachen mit Joe Satriani aus der Zeit von 1993/1994. Besteht eine Chance, dass da jemals was Offizielles davon veröffentlicht wird?

Ian: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass da überhaupt mal was aufgenommen wurde. Sollte es davon aber Aufnahmen geben, so steht ausser Zweifel, dass wenn jemand die Tapes finden würde, diese entsprechend bearbeitet und veröffentlicht würden. So wie ich mich erinnern mag, waren die Konzerte mit Joe stets toll und machten mächtig Spass. Käme was zum Vorschein, dann, und da wäre ich mir sicher, wäre es sehr gut….

MF: … es gibt ja einige Bootlegs aus der Zeit…

Ian: …,,ja…, diese gab es schon immer. Wir hatten in der Vergangenheit die Situation, dass Aufnahmen gemacht wurden, diese aber damals bis heute nie erschienen sind, weil sie für uns nicht gut genug waren. Dann, zwanzig Jahre später, kamen diese Bänder wieder zum Vorschein und weil man da nicht immer alles unter Kontrolle halten kann, kam das Zeug halt raus und wir mussten leben damit. Meine Theorie dazu ist aber immer noch, dass wenn wir es vor zwanzig Jahren nicht für ausreichend gehalten haben, es dies auch aktuell nicht tun. Es gibt so viele Aufnahmen von unzähligen Bands, die nie ans Tageslicht kommen werden, weil sie einfach zu schlecht sind. Du hast halt nur diese eine Chance, wenn du Live-Aufnahmen machst. Nimmst du die nächste Show auf, ist diese fantastisch, aber du hast nie eine Garantie dafür. Wenn man sich an Live-Aufnahmen heran wagt, besteht immer eine fifty-fifty Chance, dass du dein ganzes Geld entweder in den Sand setzt oder es wird was daraus und dann ist es ok.

MF: Im kommenden Juli werdet ihr zweimal wieder bei uns in der Schweiz auftreten. Einmal in Zürich (15.07.13) und einmal in Montreux (19.07.13) – Im Januar starb Claude Nobs (Gründer des „Montreux Jazz Festivals“ – MF) tragisch bei einem Sportunfall. Wären Deep Purple ohne ihn eine andere Band geworden?

Ian: Claude war so ein lieber Mensch und damals (1972 – MF) letztlich unser Retter in der Not. Ohne ihn hätten wir «Machine Head» nicht auf diese Art und Weise machen können. Es hätte womöglich diese Magie gefehlt, weil wir es anderweitig an einem anderen Ort und zu einem anderen Zeitpunkt hätten fertig machen müssen. Es wäre unter Umständen eine andere Platte entstanden. Claude befand sich ja in einer sehr misslichen Lage wegen des Casino-Brandes (der Deep Purple bekanntlich zu «Smoke On The Water» inspirierte!) und kümmerte sich dennoch aufopfernd um uns und das werden wir ihm nie vergessen. Von da an war er nicht nur ein Promoter, sondern ein enger Freund von uns. Für sein Festival gab er alles, er lebte und liebte die Musik. Immer wenn wir die Jahre danach dort gespielt haben, war Zeit für eine fünfminütige Session, wo er uns jeweils auf seiner Mundharmonika begleitete und darin war er wirklich gut. Und ohne ihn wird es niemals mehr das Gleiche sein!

MF: Der 16. Juli 2012 (Todestag von Jon Lord, R.I.P.) war ein sehr trauriger Tag in deinem und meinem Leben. Ich denke jetzt mal, dass Jon sehr stolz darauf wäre, wenn er die neuen Songs hören könnte, oder?!

Ian: Wenn er uns von da oben zuhört, bin ich sicher, dass er an einigen Sachen sehr interessiert wäre, da er erkennen würde, was von ihm inspiriert wurde, als er mit Steve Morse zusammen arbeitete, bevor Don Airey (2002 – MF) fest zur Band stiess. Ich denke da im Speziellen an das Intro von «Uncommon Man», wo Ideen von früher in absolut freier Form verwendet wurden. Es war dann allerdings Bob Ezrin, der uns dazu ermunterte, hier was Entsprechendes einzubauen. Es dauerte nur etwa drei Minuten und dann hatten wir diesen Part beisammen, nahmen den Take direkt nur einmal live auf und das war es bereits. Es hörte sich unglaublich gut an! Dieser Song gehört zu meinen absoluten Favoriten, denn es fühlte sich so magisch an, wie wenn ein Zauberer etwas aus dem Nichts erschaffen hätte…, einfach perfekt!

MF: Magisch! Genau das richtige Wort zum Ende des Interviews…

Ian: …great!

MF: Ian…, ich danke dir vielmals und was möchtest du zum Schluss unseren LesernInnen von Metal Factory noch mitteilen?!

Ian: Hört Euch bitte das Album an und ich bin sicher, dass Ihr es oder irgendwas daran mögen werdet, und wir werden etwas später wieder zu Euch anreisen. Es bereitet uns immer Freude, hierher zu kommen, passt auf Euch auf und seid bereit für uns!