Interview: Coroner

By Rockslave
 
Gehen ihren Weg.



Meine früheste reale Wahrnehmung der Schweizer Kult Technical-Thrasher Coroner geht zurück auf den 30. Dezember 2011, als ich die Band zum ersten Mal überhaupt (!) live gesehen hatte. Und das nota bene in der klassischen Besetzung mit Tommy Vetterli alias Tommy T. Baron(g), Ron Broder alias Ron Royce(v/b) und Markus Edelmann alias Marquis Marky (d), die nun auf den 23.09.2016 hin mit dem audiovisuellen Meisterwerk „Autopsy“ die Jahre 1995 bis 2014 abdeckt, bevor dann im nächsten Jahr gar ein brandneues Studioalbum veröffentlicht wird. Da heisst also nichts anderes, als dass die Band Coroner wieder voll da ist. Allerdings wird der nächste Karriere-Abschnitt ohne Drummer Marky stattfinden, der durch Diego Rapacchietti adäquat ersetzt worden ist. Man darf also gespannt sein, was im nächsten Jahr passiert, und mitunter dazu durfte ich Tommy Vetterli im Rahmen eines Skype-Interviews befragen. Dieser zeigte sich relaxt und realistisch zugleich, was die künftigen Monate und vielleicht Jahre angehen wird. Des Weiteren konnte ein schon länger wie fast hartnäckig haltendes Gerücht in Sachen Reunion-Zeitpunkt ein für alle Mal angesprochen und berichtigt werden.

MF: Wie fühlt es sich für dich aktuell an, im Jahre 2016 Interviews zu Coroner zu geben?!

Tommy: Ehmmm… (lacht) – Nun, es ist eigentlich noch ziemlich anstrengend, da es so extrem viele sind wie noch nie!

MF: Ah ja…

Tommy: …es ist irgendwie total krass, und ich glaube, dass es jetzt viel besser als früher läuft…

MF: …schön zu hören…, ist doch fantastisch!

Tommy: Es fühlt sich super an…, was soll ich sagen…, früher hat Marky die Interviews gegeben und nun ich…, meistens. Da muss ich jetzt durch, obwohl ich lieber Musik mache… (lacht) – aber es ist ok. Man merkt jetzt eben, dass man mit Sony (Music Switzerland – MF) einen grossen Partner hinter sich hat. Das ist nun eine andere Abteilung.

MF: Die eigentliche Reunion wird (zum Beispiel bei metal-archives.com – MF) mit 2010 angegeben, nachdem es fünf Jahre zuvor so zu sagen aus zeitlichen Gründen noch etwas zu früh war. Was gab letztlich den entscheidenden Anstoss dazu, um wieder einzusteigen?

Tommy: Also eigentlich so ab 2011 fand die Reunion statt, aber das vorher? Das hört man zwar vielfach, aber davon weiss ich gar nichts…, von wegen fünf Jahre vorher. Diese Frage höre ich immer wieder und lässt mich ratlos zurück. Aber ich glaube, dass da mal ein Gerücht umher ging, womit wir aber überhaupt nichts zu tun hatten.

MF: Dann ist das also eine typische „Journalisten-Ente“?!

Tommy: Ja…, irgendwie schon (lacht) - Eigentlich hat das Ganze jedoch schon viel früher angefangen…, fünf, sechs, sieben Jahre vorher…, mit Anfragen für dieses und jenes Festival. Dann nahm das immer mehr zu, aber was letztlich den Anstoss gab, war auf Facebook und Youtube zu sehen, wie sich Leute unser Bandlogo tätowiert haben, unsere Songs Note für Note auf der Gitarre auswendig gelernt und perfekt nachgespielt hatten. Dazu wurde laufend die Frage gestellt, ob wir wieder einmal zusammen spielen. Schlussendlich war dies das Ausschlaggebende…, und, das muss ich ehrlich zugeben, haben wir für die ersten paar gespielten Festivals eine ordentliche Gage erhalten. Nicht gerade im sechsstelligen Bereich wie andere Bands, gar nicht, aber doch so, dass ich den Jungs gesagt hatte, dass wir mit diesem Geld doch easy proben wie schauen können, ob wir es noch drauf haben und dann mit Spass weiter machen oder es andernfalls bleiben lassen.

MF: Eine gute Entscheidung würde ich mal meinen…

Tommy: …ich glaube auch!

MF: Und für mich als Spätberufener in Sachen Coroner mit dem Wunsch verbunden, dass ich noch ein paar Gigs von euch erleben kann, ehe es dann definitiv vorbei ist.

Tommy: Das ist ja auch der Grund, warum wir jetzt ein neues Album aufnehmen. Du kannst ja nicht zwanzig Jahre lang mit den gleichen Songs touren! Irgendwann muss man ja mal was Neues machen.

MF: Am kommenden Freitag erscheint mit «Autopsy» zunächst mal ein schönes Schmankerl für die Fans. Zuvor (2012 – MF) habt ihr mit der DLP «The Unknown» (Rare & Unreleased) schon mal was (wieder) vorgelegt. Gibt es hier irgendwelche Überschneidungen?

Tommy: Ich weiss, ehrlich gesagt, gar nicht mehr, was auf der «Unknown» drauf ist. Eine LP war ja eher so Filmmusik-Zeug für einen Coroner-Film, der jedoch nicht beendet und auch nie veröffentlicht wurde. Und auf der zweiten LP…

MF: …sind Konzertaufnahmen von 1995 aus Zürich…

Tommy: Nein, das überschneidet sich in keinster Weise. Auf der einen DVD oder Blu-ray, je nachdem welche Version man wählt, ist ein Doku-Film zu sehen. Dann hat es Reunion-Shows ab 2011 in unterschiedlicher Qualität. Von beinahe Hi-End Aufnahmen mit Multitrack-Recording (vom mir selber gemischt) bis zu einer Club-Show in Athen, wo der Vibe stimmte, jedoch nur mit drei Kameras und einer Stereo-Spur gefilmt wurde. Also von total underground bis Hi-End, und auf der dritten Disc sind rare Sachen wie «Live in East Berlin», sämtliche Video-Clips und noch Spezielles wie Tom von Celtic Frost, der unser Demo einsingt. Aufgenommen auf Super-8 und etwas shaky, aber dennoch noch ziemlich cool.

MF: Das Ganze ist ja auf 3‘000 Stk. Limitiert, hälftig auf beide Formate oder…

Tommy: ...von der handsignierten Version (3 Blu-ray & 1 LP) sind es 3‘000 und bei der DVD & CD wird es sich zeigen, wieviel davon weggehen werden. Der DVD und Blu-ray Markt ist ja nicht mehr so gross. Es ist vielmehr ein Package für die Fans und eigentlich Markys Requiem. Wir haben uns hierzu extrem viel Mühe gegeben und Zeit gelassen. Zudem habe ich das Gefühl, dass zum ersten Mal in meiner Karriere, zumindest bezüglich Coroner, mit «Autopsy» was raus gekommen ist, wie wir uns das vorgestellt haben. Der mit Chrom versehene Print ist wirklich schön gemacht und nicht so ein Scheiss-Silber oder sonst was. Und total genial, so mit Sony zusammenarbeiten zu können.

MF: Das auf 2017 angekündigte neue Studio-Album…, ist es schon komplett im Kasten?

Tommy: Nein! Noch gar nichts…, respektive nicht viel. Es gibt einige Songideen, Fragmente, Riffs…, und nun müssen wir uns heavy ran halten. Bisher hat jeder für sich etwas rumgewerkelt, aber gerade nächste Woche gehe ich mit Diego, unserem Drummer, in eine Ferien-Hütte, wo wir zu zweit intensiv arbeiten wollen. Wir werden dabei verschiedene Sessions abhalten…, ich mit Diego, dann mit Ron und wieder alle drei zusammen, damit alle Möglichkeiten abgecheckt werden können. Es gab ja eine Zeit, wo ich die Songs ganz alleine bei mir zu Hause erarbeitete. Das wollen wir diesmal nicht, sondern mehr eine Mischung aus einzelnen Ideen und Parts kreieren, die aus Jam-Sessions hervor gehen.

MF: Wirst du in Zusammenhang mit der Produktion, im Gegensatz zu vorher, etwas fundamental anderes machen oder gleich wie früher vorgehen?

Tommy: Das ist jetzt noch eine gute Frage…, von dem Ding (er meint «Autopsy») habe ich es nicht so gesehen. Als wir die Aufnahmen für die «Best-Of» remastered haben, also die Songs auf der LP/CD, war die Ernüchterung gross. Teilweise hat das alte Material ziemlich dürftig getönt, und man hört sich ja auch andere Sachen wie zum Beispiel Anthrax oder Megadeth an. Da merkt man dann, dass diese ein höheres Budget hatten und es etwas, wenn auch nicht viel, geiler klingt. Eine topmoderne Produktion für Coroner sehe ich jedoch nicht, also wo man Pro-Tools laufend heraus hört und alles editiert ist. Ich weiss noch nicht genau, wie ich es machen werde, aber sehr wahrscheinlich werde ich es analog aufnehmen und gleichwohl mit Pro-Tools weiter arbeiten. Mein Studio ist eine Art Hybrid, also das Beste aus beiden Welten. Nur die alte Technik, also nur analog, klingt dann für diese Art von Musik halt auch nicht so toll. Es geht aber vor allem darum, zuerst mal alles analog aufzunehmen. Das bedeutet, dass wir das Material, wenn wir ins Studio gehen, spielerisch drauf haben müssen. Das ist heutzutage bei vielen Bands anders. Die gehen ins Studio, beherrschen noch gar nichts und kommen schon mit der Erwartung, dass ich dann sowieso alles mit Pro-Tools zusammen schustern werde. Es muss knallen wie bei einer modernen Produktion, aber dennoch oldschool sein. So wie bei der letzten Slayer («Repentless» - MF), da haben sie es vom Sound her noch recht gut hingekriegt. Ich finde das für Slayer noch ziemlich cool. Das Oldschoolige wurde bewahrt und gleichwohl haut das Ding voll rein. Ich finde, so muss das sein. Wir brauchen jedoch einen anderen Sound, denn so würde das für Coroner gar nicht funktionieren. Von der Ideologie her geht es aber in diese Richtung.

MF: Existiert bezüglich des Songwritings schon eine Vision oder wird es einfach das Beste als Mischung von alt und neu sein?

Tommy: Also eines ist vorneweg klar…, es wird klar nach Coroner klingen…, schnell, hart, kompliziert, seltsame Rhythmen, vertrackt, teilweise unlogische Songstrukturen und doch kann es im gleichen Song sphärisch, langsam, heavy und fast Pink Floyd mässig sein. Wir haben aber schon früher gesagt, dass es uns scheissegal ist und wir uns nicht anbiedern, nur um ein paar Platten mehr verkaufen zu können. Wir haben, und da bin wirklich stolz darauf, jeweils nur das gemacht, worauf wir Bock hatten. Und das wird dieses Mal nicht anders sein. Natürlich können wir heutzutage nicht völlig was anderes bringen, es muss in dem Rahmen sein. Für meinen Geschmack etwas zwischen «No More Color» (1989) und «Grin» (1993), angereichert mit Einflüssen der letzten 25 Jahre. Zudem haben wir mit Diego Rapacchietti einen neuen Schlagzeuger, der seine Handschrift hinterlassen wird. Wir sind selber gespannt, was dabei heraus kommen wird. Gleichzeitig ist uns aber bewusst, dass wir uns auf dünnem Eis bewegen und es heikel ist, ein Reunion-Album anzugehen. Deshalb wollen uns dafür genug Zeit einräumen.

MF: Ihr habt jetzt einen Deal mit Sony Music Switzerland abschliessen können. Ist dieser an Verbindlichkeiten bezüglich mehreren Alben geknüpft?

Tommy: Nein, überhaupt nicht! Eigentlich ist es genau umgekehrt gewesen. Sony ist schon vor Jahren auf uns zugekommen und regte an, dass wir doch ein (neues) Album machen sollen. Wir dachten damals aber, dass Sony womöglich nicht der richtige Partner für uns sei. Wir sind ja jetzt nicht Krokus oder Gotthard, und für uns sind eh andere Länder fast wichtiger als die Schweiz. Frankreich ist enorm wichtig oder auch Amerika. Wir hegten die Befürchtung, dass wir bei so einer grossen Plattenfirma in diesen Ländern untergehen würden. Dann wollten wir mit Century Media signen, da wir die Antje Lange (European Label Manager – MF) schon ewig kennen. Sie war ja früher die Chefin von Noise in der Schweiz, und sie wollte uns unbedingt an Bord holen. Wir schauten uns jedoch sonst noch um, und jede Plattenfirma, die für diese Art von Musik in Frage gekommen wäre, hätte uns genommen. Und das ist ja das Schöne daran und kam nicht aus dem heraus, dass man mit uns jetzt viel Geld verdienen wollte, sondern weil es da Leute gibt, bis hin zum obersten Chef von Sony in Deutschland, die Fans sind und uns geil finden. Wir sind ein Nischenprodukt und darum ist es speziell. Danach erfuhren wir, dass Century Media von einem Major übernommen wird, und zufällig war das dann eben Sony! Besser geht es gar nicht, und somit hatten wir beide auf eine Art und sind jetzt total happy mit dieser Konstellation.

Dann sprach ich Tommy auf kommende Konzertaktivitäten an, und da man sich nun mit dem Album genügend Zeit lassen will, wird es im nächsten Jahr, ausser einem geplant vorgezogenen Auftritt beim „Hellfest“ in Frankreich, nicht viele weitere Konzerte geben. Der Fokus steht hiermit auf 2018, wo man auf allen grösseren Festivals spielen will, und dabei fiel auch das „Sweden Rock“, was natürlich ein Traum wäre. Des Weiteren empfahl ich das BYH!!!-Festival, was natürlich ebenso kultig wäre. Dennoch wird man nicht mehr monatelang unterwegs sein, zum Beispiel in Amerika, weil sich das finanziell nicht rechnen würde. Trotzdem kann und darf man sich auf einige kommende Konzerte freuen und Coroner sind heiss, nicht zuletzt auch wegen Diego Rapacchietti, der voll motiviert ist und den Geist von Marquis Marky würdig weiter tragen wird.

MF: Was war früher für dich wichtig und was ist es heute?

Tommy: „Früher“ ist ein etwas weit umfassender Begriff. Am Anfang der Karriere, also zu Zeiten von «R.I.P.» (1987) und «Punishment For Decadence» (1988), den ersten zwei Alben, war es noch ein wenig pubertär. Man hat damals noch extrem viel geübt…, ich spielte zehn Stunden pro Tag und wollte das auch zeigen. Dabei stand das Technische sehr oft im Vordergrund, und heute ist das schon auch noch ein Punkt, aber für mich ist jetzt das Musikalische wichtiger, der Ausdruck davon. Ist noch schwierig zu beschreiben. Mittlerweile ist mir das wichtiger, das Technische auch, gehört dazu, aber ich würde es nicht mehr nur daran festmachen. Wenn dadurch die musikalische Message transportiert wird, macht es Sinn. Aber nur sinnlos im Zeug herum dudeln…, das machen ja genug andere Bands heutzutage, interessiert mich einfach nicht mehr. Auch was Stilrichtungen angeht, das interessiert mich ebenso schon lange nicht mehr, wie eigentlich früher bereits nicht. Entweder ist es ein Stück Musik, eine Melodie, ein Riff, ein Beat…, was auch immer, das mich vereinnahmt oder zum einen Ohr rein und beim anderen wieder raus geht. Das ist mir wichtig.

MF: Vor etwas mehr als vier Jahren haben wir uns persönlich zu einem Interview getroffen. Das war in der roten Fabrik in Zürich, zusammen mit Nina (Tommys Frau – MF) und das Thema war da natürlich 69 Chambers. Hierfür wirst du nun weniger Zeit übrig haben, oder?!

Tommy: Wir legten eine längere Pause ein und fanden dann vor zwei Jahren, dass wir wieder ins Studio gehen und einfach mal loslegen. Das ist jetzt gut eineinhalb Jahre her. Wir arbeiteten hier halt immer zwischen anderen Produktionen, und das ist etwas frustrierend für diese Band. Doch das Album ist bald fertig aufgenommen, es fehlt nicht mehr viel und wird, meiner Meinung nach, sehr geil. Anfang des nächsten Jahres sollte es fertig gestellt sein und hoffentlich im Frühling released werden.

MF: Was möchtest du zum Schluss den Leserinnen und Lesern von Metal Factory noch mitteilen?

Tommy: Ich möchte mich in erster Linie dafür bedanken…, weisst du, es hätte ja bei den ersten Reunion-Shows passieren können, dass alle bloss mal herum stehen und schauen, ob die alten Säcke es noch bringen. Dieses Gefühl hatten wir nie, sondern wir wurden warm empfangen und die Leute sind extrem gut drauf gewesen. Für das möchte ich mich bedanken, das ist genial, und ohne Fans könnten wir nichts ausrichten.

MF: Perfekt.., besten Dank für das Interview!

Tommy: Ich danke dir vielmals, und das nächste Mal wieder in der roten Fabrik, dann können wir zusammen ein Bierchen zwitschern.

MF: Aber sicher!

Tommy: Danke dir für das Interview, und dann sieht man sich mal an einem Gig…, melde dich!